Helding der Wahlpropaganda

Tankstellencallgirl

d'Lëtzebuerger Land vom 16.08.2013

Heute loben wir eine Heldin der Wahlpropaganda. Nicht alle Politiker haben ein sicheres Gespür für elektorale Kapriolen. Wenn zum Beispiel der Landwirtschaftsminister liebevoll ein paar Ähren umarmt oder den Pressefotografen mit zärtlich-dramatischer Geste eine Handvoll Weizenkörner entgegenstreckt, sträuben sich des Wählers Nackenhaare. Das ist schlechtes Theater, das haben die Früchte des Feldes nicht verdient. Der Minister könnte seine Kompetenz ja zum Beispiel beweisen, indem er ein paar Hektar Ackerland umpflügt. Oder im Stall ein paar Dutzend Kühe an die Melkmaschine anschließt. Aber das wäre nicht günstig für die Pressefotografen. Soviel Zeit haben die gar nicht. Und es könnte vorkommen, dass am Ende der Charakterkopf des Ministers auf den Pressebildern gar nicht sichtbar wäre. Weil ihn die Fahrerkabine auf dem Traktor verdeckt. Oder weil er hinter einem Kuheuter verschwindet. Dann doch lieber die offene Porträtvariante: aufstellen, Ähren umarmen, Körner greifen, Blitzlicht, fertig. Um die kompetente Visage geht es. Den ganzen Rest mit Traktorbrimborium und Melkfirlefanz kann ich mir schenken, denkt der Minister wohl.

Von ganz anderem Kaliber beim Stimmenfang ist die amtierende Tourismusministerin. Sie ist eine knallharte Aktivistin und scheut vor allem den Ganzkörpereinsatz nicht. Sie steht nicht einfach nur periodisch vor einer bukolischen Landschaftskulisse und ruft: Hallohallo, winkewinke, hier bin ich, habt ihr mich alle gesehen? Nein, für sie ist der Tourismus tatsächlich eine Art Werkstatt für Schwerstarbeit, ein raues Einsatzgebiet jenseits aller lieblichen Fremdenverkehrszuckerbäckerei. Diese Politikerin begibt sich hinunter ins Volk. Es ist ja bekannt, wie riskant eine solche Konfronta­tion sein kann. Nichts ist für eine Politikerin gefährlicher als das Volk. Es kann unter Umständen sehr widerspenstig und unberechenbar sein, das Volk. Vor allem, wenn es als Masse in Erscheinung tritt. Auf riesigen Tankstellen zum Beispiel.

Was also traut sich eine Ministerin, die ausgerechnet auf einer riesigen Tankstelle ihr Propaganda­lager aufschlägt? Ganz allein und ohne jenen devoten Rattenschwanz aus Beratern, mit dem sich etwa die Unterrichtsministerin immer vor dem Volk abschirmt? Frau Hetto begibt sich einfach mit ministeriellem Impetus auf die Aire de Berchem und nimmt ahnungslose Durchreisende in die Propagandamangel. Sie wirbt buchstäblich mit eigener Denk- und Muskelkraft für ihre touristische Sache. Das ist stark! Das sollte Schule machen! Das können wir uns bei anderen Ministerinnen aus dem Ostbezirk gar nicht vorstellen. Oder sind Sie schon einmal der Kulturministerin begegnet, wie sie am Rande einer Autorenlesung unbeirrbar und lautstark zwei Stunden lang dem Volk ein Loblied auf die einheimische Bellektristik sang? Nein, das ist eine absurde Projektion. Das kann die Kulturdame nicht. Sie beherrscht wie keine andere den berüchtigten P.G.U.V.P.F., den „propulsiven Gleitflug unmittelbar vor die Pressefotografen“. Da muss das Volk nicht unbedingt anwesend sein.

Sogar wenn die Kulturministerin sich durchringen könnte, bei Autorenlesungen propagandistisch aktiv zu werden, wäre sie immer noch meilenweit entfernt von den beeindruckenden Strapazen, die Frau Hetto auf sich nimmt. Sie stellt sich todesmutig mitten in die Abgasschwaden, lässt sich vom höllischen Geräuschpegel der motorisierten Benzinberserker nicht beeindrucken, fährt hartgesottenen On the road-Junkies kaltblütig in die Parade und lockt sie zurück in die anmutigen großherzoglichen Auen, die ja bekanntlich strotzen vor weltbewegenden Attraktionen und Sensationen. „An der Aire de Berchem staunten einige Reisende wohl nicht schlecht, als sie von einer leibhaftigen Ministerin angesprochen und auf die touristischen Reize Luxemburgs aufmerksam gemacht wurden“ (Télécran, 33/2013).

Dieses ungläubige Staunen der Ausländer über eine leibhaftige Luxemburger Ministerin ist natürlich die allerschönste Belohnung für Frau Hettos Wagemut. Da geschieht doch wahrlich Wundersames im Benzinparadies am Rand der Autobahn. Wir nehmen an, dass Frau Hetto weder ein T-Shirt trug mit der knalligen Aufschrift „Ich bin eine leibhaftige Ministerin“, noch die fremden Autofahrer anmachte mit einem verführerisch geflöteten „Hallo, du da, ich bin eine leibhaftige Ministerin“, nein, diese Leibhaftigkeit ergibt sich offenbar aus ihrem höchst professionellen Auftreten. Sie muss nur erscheinen, und schon ruft das zutiefst beeindruckte Volk voller Ehrfurcht: „Sven! Kevin! Nora! Kommt mal schnell! Da steht eine leibhaftige Ministerin!“

Wir haben inzwischen erfahren, wie es mit Sven, Kevin, Nora und ihren Eltern weiterging. Sie ließen sich von der leibhaftigen Ministerin sofort zur Umkehr bewegen und wandeln seit Wochen durch luxemburgische Wiesen und Wälder. Ihr Vehikel verrottet unbeachtet auf der Aire de Berchem, der schnöden Raserei haben sie gemeinsam abgeschworen, sie entdecken jetzt hierzulande die Wonnen der Entschleunigung. So stellen wir uns Politik vor. So heroisch. So wundertätig. So märchenhaft.

Guy Rewenig
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