In den 1950-Jahren wandelten Öslinger-Bauern sich zu Campingplatzbesitzern. Das Geschäft lohnt sich. Eine sozio-historische Annäherung

Abenteuer light

d'Lëtzebuerger Land vom 09.09.2022

Das Pod, eine Holzhütte in Zeltform, ist umgeben von Tüten voller Kleider und Spielbälle. Im Innenbereich liegt ein Naan-Brot in einer Pfanne auf dem Herd, der über einem Mini-Kühlschrank installiert ist. Die Jugendlichen aus einem Heim und ihre Betreuerin räumen auf dem Campingplatz im Heiderscheidergrund ihre Unterkunft, ihr Urlaub nähert sich dem Ende. Auf der gegenüberliegenden Seite wischt eine Putzfrau durch ein Woodlodge; anders als die zeltförmigen Pods haben sie eine Dusche und ein Klo. „Beide Einrichtungen sind beliebt, weil sie ganz aus Holz sind“, erklärt der Campingplatzleiter Marc Bissen. An den Wänden hängen Bilder von Hirschen und Bären, sie sollen das Flair von nordischen Wäldern unterstreichen. Die komfortablen Glamping-Mietunterkünfte (eine Wortneuschöpfung aus glamourös und Camping) ziehen zugleich andere Kunden an: „Sie werden von jüngeren Paaren und Familien gebucht, die kein Interesse daran haben, ihre eigene Campingausstattung herbeizukarren“, erklärt der Campingplatzchef. Er trägt ein himmelblaues T-Shirt, auf dem das Camping-Logo abgebildet ist: ein gelbes Zelt neben einer Fischerin. In der Hauptsaison kostet eine Woche Urlaub in einem Woodlodge 693 Euro, für einen Zeltplatz zahlt man dagegen 34 Euro.

Das Campinggeschäft brummt. In der Europäischen Union führt Frankreich mit über 8 000 Camping-Standorten, in Deutschland gibt es 3 000 und in Luxemburg 78, die vor allem in den Ardennen und im Müllertal situiert sind. Jede vierte für Luxemburg gebuchte Übernachtung führt ins Ösling und 70 Prozent der Buchungen sind an Campingplätze im Norden adressiert. Geschäftsführer Bissen beklagt sich ebenfalls nicht: „Seit zehn Jahren sind wir jeden Sommer ausgebucht.“ An Augusttagen übernachten im Schnitt 350 Personen täglich am Sauerufer. Studien aus Deutschland belegen, dass diese Reiseform seit 2016 stark zunimmt, dieser Trend sich durch alle Vermögensstufen zieht und viele Besserverdiener auf Campingplätzen anzutreffen sind. Bei Luxembourg for Tourism liegen die Auswertungen für August dieses Jahr noch nicht vor; aber es zeichne sich ab, das man von einem Rekordjahr sprechen könne.

Warum entscheidet man sich dafür, Campingplatzbetreiber zu werden? Viele treffen diese Entscheidung nicht, sondern sie wird an sie herangetragen: In den 1950-er Jahren trafen erste holländische Touristen bei Marcs Eltern auf dem Bauernhof ein und fragten, ob sie an der Sauer zelten dürften. Mit den Jahren wuchs die Ausstattung, Toiletten und Duschen wurden gebaut. In den 1960er-Jahren kamen immer mehr Caravans angerollt, in den 1970-ern zogen die ersten Dauermieter in ihren Chalets ein, und in den 1990-ern begann die Familie Bissen, erste Chalets zu vermieten. „An den Flussufern des Ösling sind nahezu alle Campingplätze so entstanden; für Bauern war das auch finanziell interessant“, erwähnt Marc Bissen. Der steigende Wohlstand und höhere Ansprüche färben auch aufs Gelände ab: So bietet Bissens Campingplatz ein eigenes Bistro und hat ein Indoor-Kinderspielplatz sowie einen Saunabereich eingerichtet. „Die Saunen werden vor allem von deutschen Touristen genutzt, die seit drei bis vier Jahren vermehrt in Luxemburg buchen.“ Zwischen den Zeilen lässt Marc Bissen vermutlich den Stereotyp der knausrigen Niederländer anklingen: „Die Flamen und die Deutschen sind angenehme Gäste, die trifft man abends eher im Bistrot.“ Um seinen Campingbetrieb in der Klassierung von vier Sterne auf fünf zu upgraden, müsste ein Swimmingpool in die Wiese gegraben werden. Das möchte Marc Bissen wegen der Energiekosten und aus Sicherheitsgründen aber nicht. Bisher hat in Luxemburg nur der Campingplatz Birkelt in Larochette den Fünf-Sterne-Status erworben.

In Klappstühlen hat es sich ein Rentnerpaar halb im Sitzen, halb im Liegen bequem gemacht. Woher sie kommen? „Aus Antwerpen. Dort wohnen wir im Winter in einem Apartment; im Sommer kommen wir seit zwölf Jahren in den Heiderscheidergrund. Weil wir pensioniert sind, bleiben wir für vier bis fünf Monate hintereinander. Hier ist es gemütlich“, antwortet der Mann auf Deutsch mit flämischem Akzent. Er zeigt auf seinen grauen Kurzhaarschnitt: „Einmal im Monat fahren wir nach Hause zum Haareschneiden und solche Sachen.“ Ihr Golden-Retriever kreist nun um die Klappstühle; mit ihm gehen sie täglich spazieren, vor allem aber würden sie mit Bekannten in der Sauer fischen. Neben anderen Zelten und Autos mit Allradantrieb liegen Mountain Bikes und Elektro-Fahrräder. „Die Besucher interessieren sich für Outdoor-Aktivitäten, Museumsbesuche in Luxemburg-Stadt erwähnen sie nahezu nie“, erläutert Mark Bissen. Der Outdoor-Trend wird derweil auch auf den sozialen Netzwerken befeuert, wo unter dem Hashtag #vanlife Bilder von Reisen im VW California oder in einem (selbstgebauten) Wohnmobil zirkulieren und die Sehnsucht nach dem Leben im Freien genährt wird.

Dass sich das angestaubte Image des Campings verflüchtigt hat und der Verkauf von Wohnmobilen boomt, bestätigt ebenfalls auch der Camping-Shop Beim Fiisschen. Die Verkaufszahlen steigen seit Jahren kontinuierlich, mittlerweile seien die Profile der Kundschaft querbeet. Von Aussteiger-Motivationen berichten die Käufer jedoch selten; eher könne man von einem semi-nomadischen Lebensstil bei Rentern sprechen, die für ein paar Monate im Winter nach Südeuropa fahren. Dort profitiert die Babyboomer-Generation von Winter-Sonderangeboten und sucht das Abenteuer light.

Die ersten öffentlichen Campingplätze entstanden in den USA und waren zunächst gerodete Lichtungen. Hier konnten sich die Camper umzingelt von Bäumen aufhalten; vielleicht hielten sie dabei das 1908 erschienene The Camper’s Handbook von Thomas Holding in der Hand, der als Begründer des modernen Campens gehandelt wird. Ab 1915 wurde Campen immer beliebter, auch weil eine Gruppe aus bekannten Persönlichkeiten wie Henry Ford, Thomas Edison und John Burroughs mit viel Tamtam jeden Sommer gemeinsame Campingausflüge unternahm, begleitet von Vans und Haushaltspersonal.

In Deutschland entstand 1931 der erste Wohnwagen, gebaut von Arist Dethleffs. Allerdings nicht aus einer Reiselust heraus: Seine Frau Fridel Edelmann, eine Künstlerin, und er beschlossen, gemeinsam auf Dienstreise zu gehen und setzten deshalb ihre Vorstellung von einem so genannten „Wohnauto“ um. Doch das Misstrauen gegenüber Campern blieb zunächst. Sie galten bis in die 1950er-Jahre als unzuverlässig, weshalb an sie in bayerischen Wirtshäusern kein Bier ausgeschenkt wurde, wie bei Kristina Sommer, Professorin für Tourismusmanagement, nachzulesen ist. Als ab Mitte der 1950er-Jahre VW Käfer massentauglich, ein entsprechender Wohnwagen gebaut sowie Autobahnen geplant wurden, kam der Camping-Tourismus in der Mitte der Gesellschaft an.

1961 schrieb das Luxemburger Wort, mittlerweile werde „jedes Eckchen Wiese Camping genannt“. Und schon damals wurde der Schritt hin zum Glamping vorbereitet: Der Autor wunderte sich über die Luftmatratzen, Schlafsäcke, Kocher und flüssiggasbetriebenen Miniaturkühlschränke, die die Reisenden in ihrem Personenkraftwagen mit ins Zeltlager brachten. Wer vor dem Krieg mit den Pfadfindern ins Lager gezogen war, sei zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs gewesen und habe gewusst, dass eine Zeltplane und etwas Schnur genügten, um ein wetterfestes Zelt aufzubauen. Nun sei Camping „Allgemeingut“ und „die neueste Mode, um Ferien zu machen“.

Vier Jahre später berichtet das Wort, das „Camping de la Route du Vin“ aus Grevenmacher sei „bereits in der ganzen Welt bekannt“, neben den üblichen Besuchern aus Frankreich, den Niederlanden und England, hätten hier auch Japaner, Indonesier und Australier übernachtet. Weil sich die Gästezahl am Moselufer innerhalb eines Jahres mehr als verdoppelte, werde der Campingbetrieb unter anderem seine Warmwasserduschen ausbauen. Noch heute spielt der Campingplatz in Grevenmacher in der obersten Liga mit; der Gemeinderat hat ihm sogar ein nicht zu kleines Freiluftschwimmbad nebendran geklatscht.

Aber nicht alle Sparten des Camping-Business sind gefragt. In der mittleren Allee des Campingplatzes im Heiderscheidergrund parkt ein Luxemburger Auto neben einem Chalet; ein Mann pflegt gerade seine roten und violetten Lieschen. Er komme aus Oberkorn, dort wohnten er und seine Frau in einem Apartment im Ortskern. Seit 25 Jahren miete er einen Jahresstellplatz für seine Ferienhütte. Die Stellplätze in Heiderscheidergrund sind zwischen 100 und 150 Quadratmeter groß und kosten mittlerweile 1 200 Euro im Jahr. „Das Chalet nebenan wird verkauft, weil die Frau kürzlich gestorben ist. Früher hatten wir hier viel Gespräch in dieser Gasse, aber die Dauermieter werden immer älter und kommen seltener.“ Bis vor 15 Jahren kamen die Jahresmieter öfter auch im Winter; „deemols louch nach Schnéi, an do konnt ee laanglafe goen.“ Junge Menschen ziehe dieses Lebensmodell weniger an. „Ausser meng Duechter ass wéi geckeg fir heihinzekomme mat den Enkelen.“ Der Mann im giftgrünen T-Shirt lotst seinen Besuch zum Ferienchalet nebenan, das der Tochter gehöre. Sie verbringe hier all ihre Urlaubstage. Und was unternimmt er hier in der Region? Der auf dem Kopf nur noch spärlich Behaarte zeigt mit einer Hand, an der er einen Gartenhandschuh trägt, auf seine Terrasse: „Dat hei ass Aktivitéit genuch.“ Außerdem würden stets Renovierungsarbeiten am Holzbau anfallen. „Das ist das, was ich bereits als Kind kannte, und was mir gefällt. Wir sind nie weit gereist. Mol bis op d’belsch Plage, méi wäit net.“

Der Camping-Tourismus im Ösling folgt einem anderen Rhythmus als der Kulturtourismus im Süden des Landes. Während die Besucher für Kulturangebote nur zwei bis vier Tage bleiben, werden im Norden die Zelte häufig für Wochen aufgeschlagen. Beide Tourismusarten verbuchen in Luxemburg jeweils etwas mehr als ein Drittel der Ankünfte. Während im Norden vor allem Niederländer unterwegs sind, geben in der Hauptstadt Belgier und Deutsche ihr Geld aus. Luxembourg for Tourism hat deutsche Touristen als noch weiter auszuschöpfende Marktlücke identifiziert, deshalb investieren sie den größte Teil des Werbebudgets im Nachbarland, erläutert der Geschäftsstellenleiter Sebastian Reddeker. Das Tourismusministerium, geleitet von DP-Minister Lex Delles, versucht derweil das gepäcklose Etappenreisen attraktiv zu gestalten, indem es einen Gratis-Gepäcktransport über die Seite movewecarry.lu organisiert.

Im Heiderscheidergrund neigt sich die Saison dem Ende entgegen. Marc Bissen ist mit seinem Beruf zufrieden: „Ich steh morgens nicht im Stau und muss mich nicht in ein Sakko pressen. Zwar ist im August viel los, aber die Stimmung ist gut, die Kinder schließen schnell Freundschaften. Auch ich habe hier meine Kindheit verbracht und nebenher Holländisch gelernt.“ Als Geschäftsleiter kann er der nächsten Sommersaison entspannt entgegen schauen: Die ersten Kunden haben sich fürs nächste Jahr schon eingetragen.

Stéphanie Majerus
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