Serge Wilmes ist nicht zu beneiden. Seit vier Monaten erklärt der Beamtenminister von der CSV, wieso es kein Widerspruch sei, dass die CSV-Fraktion im Juli bei der Verabschiedung des neuen Armeegesetzes im Parlament Front gegen die „Evaluierung“ der Berufsmilitärs gemacht hat, aber als Regierungspartei damit einverstanden ist. Am 21. Dezember wartete der frischgebackene Minister in einer parlamentarischen Ausschusssitzung mit der kreativen Interpretation auf, die Evaluierung der beamteten Militärs sei kein Bruch des Gehälterabkommens mit der CGFP. Das Abkommen halte zwar fest, das 2015 für den öffentlichen Dienst eingeführte Bewertungssystem wieder abzuschaffen. In dem Vertrag aber sei von „le système d’appréciation“ die Rede, nicht von „les systèmes“. Die schon seit 1954 bestehende Evaluierung der Militärs könne demnach nicht gemeint sein (d’Land, 15.3.2024).
Am Dienstag dieser Woche ergänzte Wilmes seine Betrachtungen im RTL-Radio. Das Gehälterabkommen habe die vorige Regierung mit der CGFP ausgehandelt, nie jedoch sei während dieser Verhandlungen die Rede von der Armee gewesen, habe er sich sagen lassen. Also könne man das nicht „miteinander vermischen“. Die CGFP wiederum habe, als sie von formateur Luc Frieden zu Gesprächen ins Senninger Schloss eingeladen war, nicht erwähnt, dass es ein Problem mit der Bewertung in der Armee gebe. Die Staatsbeamtengewerkschaft habe sich „in etwas verrannt“. Um ihr herauszuhelfen, „steht meine Tür weit offen“.
Dass die CGFP sich verrannt hat, trifft wahrscheinlich zu. Doch im Moment schadet ihr das nicht. Ihr Protest begann, als der vorige Verteidigungsminister François Bausch (Grüne) sich gezwungen sah, die Evaluierung der Militärs in einem Artikel 32 im Armeegesetzentwurf festzuhalten und sie in ihren Grundzügen aufzuschlüsseln. Vorher wollte er das über eine großherzogliche Verordnung regeln, wie bisher. Das hatte die CGFP nicht gestört. Der Staatsrat aber opponierte formell wegen Verfassungsbedenken. Weil der Staatsrat für sein Gutachten anderthalb Jahre brauchte, blieben Bausch für Änderungen nur drei Wochen. Andernfalls hätte er den Gesetzentwurf der nächsten Regierung und der nächsten Kammer vererben müssen. Als Bausch den Artikel 32 über Amendementer in den Gesetzentwurf einfügte, rief die CGFP den Streitfall aus, die erste Stufe der Streikprozedur: Der Artikel verletze das Gehälterabkommen.
Noch mehr als die CGFP aber verrannte sich die CSV-Fraktion. Was der heutigen Regierungspartei schadet. Wie der damalige Parteipräsident Claude Wiseler angekündigt hatte, unternahm die CSV im Wahlkampf „alles“, um wieder in die Regierung zu kommen. Unter dem Schlachtruf „Pacta sunt servanda“ schlug sie sich auf die Seite der CGFP. Vor der Abstimmung des Armeegesetzes brachte die CSV-Fraktion nicht nur eine Motion ein, die die Regierung auffordern sollte, „rigoros“ dem Geist des Gehälterabkommens zu folgen. Sie erzwang auch eine separate Abstimmung über Artikel 32 und lehnte den Artikel ab. Die Abgeordnete Diane Adehm erläuterte, damit untermauere die CSV ihre Position.
Dass das bloß Wahlkampf-Opportunismus gewesen sein muss, erwähnt der Beamtenminister heute lieber nicht. Auch aus der neuen CSV-Fraktion hat noch niemand das öffentlich gesagt. Der Abgeordnete Maurice Bauer, Präsident des Ausschusses für den öffentlichen Dienst, bemüht sich um Brückenbau: Die CGFP sei „in ihrer Rolle, wenn sie die Bewertung in der Armee so darstellt“, wie sie sie darstellt, erklärt er dem Land. Vor ihren Aussagen zu den Pensionen „darf man ebenfalls nicht die Augen verschließen“. Gemeinsam müsse nach Lösungen gesucht werden, für die Bewertung der Militärs und für die Pensionen. Er hege, sagt Bauer, „eine immens hohe Wertschätzung für die Gewerkschaftsarbeit“ und sei „voll guten Willens“.
Doch es kann sein, dass dieses Bekenntnis zum Dialog zu spät kommt, um zu verhindern, dass die CSV bei den Europawahlen Federn lässt. Natürlich würde die Staatsbeamtengewerkschaft nie so weit gehen, eine Wahlempfehlung gegen eine Regierungspartei zu machen. Auf ihrer Saalkundgebung am Montagabend im Dommeldinger Parc Hotel wetterten Präsident Romain Wolff und Generalsekretär Steve Heiliger in erster Linie gegen „die Regierung“, die „unbeschreiblich arrogant“ sei. Doch im Saal wurden Plakate mit einem zerbrochenen und sinkenden Schiff „CSV“ hochgehalten. Steve Heiliger warf „der im Sommer größten Oppositionspartei“ Verrat vor. Romain Wolff nannte sie beim Namen: Die CSV begehe „Vertragsbruch auf allerunterstem Niveau“, da sie mit dem Wechsel aus der Opposition in die Regierung auch ihre Haltung gewechselt habe.
Zu einer Kundgebung vor allem gegen die CSV wurde die Maniff am Montag auch, weil die meisten anderen Beschwerden, die Heiliger vortrug, sich mit ihr verbinden ließen: Die Pensionsreform, von der im Wahlkampf keine Rede war, zu der die CSV-Sozialministerin aber „vorgeschickt“ worden sei, um zu verkünden, die Leistungskürzungen der Reform von 2012 würden um 20 Jahre vorgezogen. Die von Luc Frieden im Wahlkampf versprochene Steuerreform, zu der die CGFP gerne Details hätte. Und die Reflexionen von CSV-Finanzminister Gilles Roth über Einsparungen an den Funktionskosten des Staats. Die beiden Piraten-Abgeordneten Marc Goergen und Ben Polidori saßen im Saal, neben ihnen Liz Braz von der LSAP. Heiliger nahm das als Solidaritätsbekundung und bedankte sich. An die Adresse der Piraten zumindest war das nicht falsch. Marc Goergen und Sven Clement fanden es im Juli opportun, mit der CSV den Evaluations-Artikel im Armeegesetz abzulehnen. Heute können sie von sich behaupten, sich selber treu geblieben zu sein.
Innerhalb der CSV-Fraktion gibt es Stimmen, die fürchten, dass die Stimmung unter den Staatsbeamten so weit beeinflusst ist, dass die Partei das bei den Europawahlen zu spüren bekommt. Die der CGFP zutrauen, den Konflikt zur Bewertung in der Armee, falls er nicht gelöst wird, tatsächlich über die ganze Legislaturperiode am Schwelen zu halten und gegen CSV-Minister zu verwenden. Und die meinen, mit der CGFP hätte geredet werden müssen.
Wieso das nicht geschah, ist nicht klar. Die CGFP hatte Serge Wilmes vorgeschlagen, Artikel 32 aus dem Armeegesetz zu entfernen, die Evaluierung der Militärs neu zu verhandeln und irgendwo anders unterzubringen als in einem Gesetz. Sie außerdem nicht „Bewertung“ zu nennen. Man könnte meinen, dass so ein Schritt politisch gangbar hätte gewesen sein können: Mit der CSV, die im Juli gegen Artikel 32 war, und mit der DP, die damals mit LSAP und Grünen eine Motion stimmte, die unter anderem den Verteidigungsminister oder die Verteidigungsministerin mandatierte, „à analyser la faisabilité de transférer le dispositif instauré par l’article 32 dans un instrument juridique distinct du projet de loi 7880“ (die Nummer des Armeegesetzentwurfs). Nach Diskussion des Vorschlags im Regierungsrat gab Serge Wilmes der Staatsbeamtengewerkschaft Bescheid, dass er unannehmbar sei. Vielleicht hatten die Verteidigungsdirektion und der Generalstab der Armee auf Artikel 32 im Gesetz bestanden und DP-Verteidigungsministerin Yuriko Backes war dem gefolgt. In einem RTL-Interview am 13. Januar hatte Backes erklärt, die Regierung sei „absolut nicht“ gewillt, die Bewertung in der Armee abzuschaffen. Was absolut keine Geste in Richtung CGFP enthielt.
Dabei vermeidet es die Staatsbeamtengewerkschaft, zu viel von der Armee zu reden. Um nicht den Eindruck zu erwecken, der Konflikt sei tatsächlich „sektoriell“ und betreffe nur die Armee, aber nicht den öffentlichen Dienst insgesamt. Die Schlichtungsrunde im Januar hat sie das gelehrt: Die beauftragte Richterin stimmte den Argumenten der Regierung zu und urteilte, für den öffentlichen Dienst insgesamt gebe es nichts zu schlichten. Wochen später trafen beide Seiten sich in der nächsten Etappe wieder, in der von der CGFP angefragten Vermittlung unter Vorsitz von Thierry Hoscheit, dem Präsidenten des Obersten Gerichtshofs. Hoscheit fand, dass die Schlichtung nicht fehlgeschlagen sei, denn der Konflikt sei offenbar sektoriell. Folglich könne es keine Vermittlung geben.
Weil schon die abgewiesene Schlichtung in einem Streitfall, der den gesamten öffentlichen Dienst betreffe, die Streikprozedur unterbrochen hat, geht es der mächtigen CGFP um die Wahrung ihres Gesichts. An zwei Klagen vor dem Verwaltungsgericht lässt sie nach eigener Erklärung noch arbeiten – eine gegen Artikel 32 im Armeegesetz, eine weitere gegen die Entscheidung der Schlichterin, dass der Konflikt sektoriell sei. Bekäme sie Recht, wäre entweder das Problem vom Tisch oder die Streikprozedur als Drohkulisse wiederbelebt, doch bis zu einem Urteil würde Zeit vergehen. So bleibt nur politischer Druck. Den übt die CGFP vor allem auf Serge Wilmes aus. Fiel der Name „CSV“ auf der Kundgebung am Montag selten, wurde umso häufiger nach „unserem Minister“ gefragt und „wo“ er sei. „Er scheint nicht da zu sein“, spottete Romain Wolff. „Ich habe gehört, heute war er da. Wenn ihr ihn gesehen habt, hoffe ich, dass ihr ein Foto gemacht habt, denn ich glaube es nicht.“
Große Gesten und große Worte gibt es bei Kundgebungen der einflussreichen Staatsbeamtengewerkschaft oft. Ebenfalls oft kam es bisher vor, dass sie einen Kompromiss, dem sie zustimmte und für den sie deutlich nachgab, als großen Erfolg für ihre Mitglieder feierte. Doch bisher gibt es vonseiten der Regierung nichts, was die CGFP feiern könnte. Serge Wilmes kann für sich als einzigen konkreten politischen Akt an die Adresse der CGFP den Gesetzentwurf verbuchen, den er am Donnerstag vergangener Woche eingereicht hat und der das Bewertungssystem im öffentlichen Dienst formal abschaffen soll. Doch das ist eine Formsache. Und der CGFP ist schon aufgefallen, dass in dem Text steht, er trete als Gesetz am 1. Oktober in Kraft. Dabei legt das Gehälterabkommen den Stichtag auf den 1. Januar 2023 fest. Ein „erneuter Vertragsbruch“, ereiferte sich die CGFP am Dienstag in einer Pressemitteilung und nannte Wilmes „Regierungsneuling“.
Dass er der CGFP kurzfristig ein Angebot zur Bewertung bei der Armee machen könnte, ist unwahrscheinlich. Er selber deutete das bisher nicht an, und unterbreitete wohl auch keines während der Aktuellen Stunde, die gestern nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe in der Abgeordnetenkammer auf Antrag der Piraten stattfand. Ohnehin ist das Armeegesetz Sache der Verteidigungsministerin. Und irgendwie auch der DP. Die muss kein übermäßig großes Interesse daran haben, der CSV und Serge Wilmes aus der Verlegenheit zu helfen.
Einerseits, weil das Bewertungssystem keine Schöpfung einer blau-rot-grünen Regierung unter Führung der DP war. Sondern Bestandteil der Gehälterrevision im öffentlichen Dienst, einem der großen politischen Vorhaben der letzten CSV-LSAP-Regierung. CSV-Premier Jean-Claude Juncker beauftragte damals zwei Minister, François Biltgen und Octavie Modert, mit der CGFP und ihren 40 Unterorganisationen zu verhandeln. Nicht die Bewertung war dabei das primäre Thema, sondern die Senkung der Anfangsgehälter im öffentlichen Dienst, die zu einer allgemeinen Lohnsenkung beitragen sollte. Was aus Biltgens und Moderts Verhandlungen hervorging, setzte die erste DP-LSAP-Grüne-Regierung 2015 um. Die zweite tat der CGFP den Gefallen, zunächst die Stage-Gehälter wieder zu erhöhen und schließlich mit dem Gehälterabkommen vom 9. Dezember 2022 das Bewertungssystem abzuschaffen und nur für Anwärter/innen im stage beizubehalten.
Weil die DP der CGFP damit in den letzten Jahren einiges gegeben hat, kann sie heute davon zehren. Und vielleicht sogar genießen, dass die Konstellation ein wenig jener der Juncker-Polfer-Koalition mit nun umgekehrtem Vorzeichen entspricht. 1999 war die DP mit dem Versprechen, sich für die Beamten einzusetzen, in die Regierung gekommen. Und stand unter Druck, die Pensionsreform im öffentlichen Sektor wieder rückgängig zu machen. Weil ihr das nicht gelang, fuhr sie 2004 ein historisch schlechtes Wahlergebnis ein und wurde als Juniorpartner der CSV wieder von der LSAP abgelöst. „Für uns“, sagt der DP-Abgeordnete Gusty Graas, Vizepräsident des Kammer-Ausschusses für den öffentlichen Dienst, „ist der Artikel 32 kein Vertragsbruch, wir halten dran fest“. Dann fügt er an: „Für die CSV ist die Lage schwierig. Sie steht mehr unter Druck als wir.“
Bliebe hinzuzufügen, dass der Druck an Serge Wilmes weitergegeben werden dürfte. Am Montag sagte er, in einer Demokratie müsse es möglich sein, verschiedene Meinungen zu haben. Damit dürfte die CGFP sich kaum abfinden. Sie möchte, dass ihre Macht anerkannt wird, und braucht zumindest den Anschein für einen Sieg.