Arcelor-Mittal bereitet die Demontage des Schifflinger Stahlwerks vor

Abrissreif?

d'Lëtzebuerger Land vom 09.08.2013

Formal ist keine Entscheidung getroffen, das Schifflinger Stahlwerk endgültig einzumotten. Doch in der Bilanz 2012 bereitet die Geschäftsleitung bereits den Abriss des Elektrostahlwerks und die Sanierung des Geländes vor. Rund 97,5 Millionen Euro Verlust weist Arcelor-Mittal Rodange Schifflange (AMRS) in der Bilanz 2012 aus, die Anfang Juli beim Handelsregister eingereicht wurde. Die ins Geschäftsjahr 2013 übertragenen Verluste der vergangenen Jahre belaufen sich damit auf 176 Millionen Euro. Dass der Verlust 2012 besonders hoch ausfiel, dazu haben vor allem die Sonderausgaben in Höhe von 63 Millionen Euro beigetragen. Die Entscheidung, das Stahlwerk Schifflingen auf unbestimmte Zeit stillzulegen – das ist bisher die offizielle Linie –, müsse in der Bilanz so berücksichtigt werden, als ob die Aktivität abgewickelt werde, erklärt die Geschäftsleitung, und nimmt deshalb Sonderabschreibungen in Höhe von 34 Millionen Euro vor.

Darüber hinaus hat die Firma Rückstellungen in in Millionenhöhe gebildet. Dazu gehören einerseits rund drei Millionen Stilllegungskosten. Rund sechs Millionen hat AMRS andererseits zurückgestellt, um den Abriss des Stallwerks zu finanzieren. „Cette provision concerne la déconstruction globale du site de l’aciérie, c’est-à-dire la démolition des bâtiments, le démontage des installations existantes, ainsi que la découpe des aciers résultants de ce démontage. Une estimation du tonnage des installations et du volume de béton a été réalisée, et une offre d’une société spécialisée a été prise en compte pour l’établissement de la provision“, heißt es dazu in den Erläuterungen. Dazu kommt eine Provision über rund 5,5 Millionen Euro für die Sanierung des Stahlwerkgrundstücks: „Cette provision est relative à l’assainissement du sol du site industriel de l’aciérie, incluant la phase d’investigation ainsi que la phase de réalisation et de remise en état du terrain. Une enveloppe budgétaire a été évaluée par la société Luxcontrol. Et la répartition a été effectuée entre les differents exploitants du site industriel au prorata des surfaces et de la durée d’exploitation.“

Dem hat Arcelor-Mittal auf Nachfrage vom Land nicht viel hinzuzufügen. Aufgrund der niedrigen Nachfrage, heißt es in einer E-Mail, habe man im September 2011 beschlossen, das Werk langfristig stillzulegen. „Suite à cette décision, les règles comptables requièrent la valorisation des installations et matériels afférents à l’aciérie selon le principe de liquidation et non plus le principe de continuité de l’activité, d’autant plus que les développements économiques ne permettent pas de prévoir une reprise des activités à court terme. Ainsi, figurent dans le rapport annuel de gestion de la société ArcelorMittal Rodange et Schifflange, des provisions dans le cas d’une fermeture. À ce stade, les installations du site de Schifflange sont à l’arrêt pour une période indéterminée (...).“ Dabei hatte der OGBL im Rahmen der letzten Stahltripartite eine Machbarkeitsstudie vorgelegt, um zu zeigen, dass das Schifflinger Stahlwerk durch vergleichsweise geringe Veränderungen und Investitionen durchaus rentabel betrieben werden könnte. Das Audit dieser Machbarkeitsstudie, von der Regierung bei den Wirtschaftsprüfern von Laplace Conseil in Auftrag gegeben, hatte dies bestätigt (d’Land, 02.11.2012).

Während der Umsatz von AMRS aufgrund der Stahlwerksstilllegung und der Entscheidung, auf den zum Werk gehörigen Walzwerken C und A in Rodingen, nur noch eine, beziehungsweise zwei Schichten täglich zu fahren, um 80 Prozent auf 134 Millionen Euro gefallen ist, herrschte in Belval und Differdingen Hochbetrieb. Über zwei Millionen Tonnen wurden dort gewalzt, mehr als neun Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Stahlproduktion in den Elektroöfen von Belval und Differdingen erreichte neue Rekordstände. Trotz schlechten Wirtschaftsumfelds konnte Arcelor-Mittal Belval Differdange (AMBD) den Umsatz um fünf Prozent steigern und einen Gewinn von 14, 3 Millionen Euro erwirtschaften.

Vor diesem Hintergrund finden aktuell die Verhandlungen um einen neuen Tarifvertrag statt. Den alten hatte die Firma vergangenen Herbst mit dem Argument gekündigt, aufgrund des Einheitsstatuts müsse anstelle der gesonderten Abkommen für Arbeiter und Angestellte ein einheitlicher Kollektivvertrag für alle Mitarbeiter verhandelt werden. Erster Knackpunkt: Die Einheitsprämie für die Jahre 2012 und 2013. Das Unternehmen hatte zuerst 200 und dann 300 Euro für die zwei Jahre angeboten. Das reicht den Gewerkschaften nicht. Zweiter Knackpunkt: das Abkommen an sich. Der Betrieb fordert, die Lohntabelle für drei Jahre einzufrieren und sie künftig statt vom Dienstalter von Bewertungen abhängig zu machen, erklärt Jean-Claude Bernardini vom OGBL. Außerdem sollen eine Reihe von Prämien sowie zwölf Tage außerordentlicher Urlaub, die so genannten „SR“ abgeschafft werden. Bei gleichbleibenden Lohn würde allein letztere Maßnahmen einer Lohnsenkung von fünf Prozent entsprechen. Während die Arbeitnehmervertreter eine Einigung über die Prämien für 2012 und 2013 anstreben, bevor über das neue Abkommen diskutiert wird, will der Konzern eine Diskussion über das Ganze, berichtet Bernardini nach dem ersten Schlichtungstermin vergangene Woche. Doch bevor sich die Gewerkschaften auf Zugeständnisse einlassen, wollen sie vom Konzern Garantien über den Fortbestand der Produk­ tionsstandorte haben. Und wollen deswegen eine Verbindung zwischen Kollektivvertrag und einem neuen „Lux“-Abkommen schaffen, das den Zeitraum bis 2020 abdecken soll. Dieses neue Tripartite-Abkommen – das aktuelle läuft eigentlich noch bis 2016 – soll laut Bernardini sicherstellen, dass die Luxemburger Standorte noch bestehen und produzieren können, unabhängig davon, wie es dann um den Konzern Arcelor-Mittal bestellt ist. „Denn ich bin nicht sicher, ob Arcelor-Mittal 2020 oder darüber hinaus noch besteht“, so Bernardini.

Zu den Garantien, welche die Gewerkschaften verlangen, gehört, dass die Investitionsversprechen aus Lux2016 eingehalten werden – „was bisher der Fall ist“. Aber auch, dass an der Weiterentwicklung der Produktpalette gearbeitet wird, im Besonderen an der Entwicklung neuer Spundwände. Dabei spiele das Material, aus dem die Spundwände hergestellt würden, selbst die größte Rolle, und das befände sich heute noch im Entwicklungsstadium, erklärt der Gewerkschaftssekretär. Deshalb müsse nicht nur in die Anlagen selbst, sondern auch in die Forschung und die Weiterbildung der Mitarbeiter investiert werden. Von Zusagen in Bezug auf diese drei Elemente macht er eventuelle Zugeständnisse bei den Tarifvertragsverhandlungen abhängig.

In der zweiten Septemberhälfte, nach dem nächsten Schlichtungstermin, sollen die Tripartie-Vertreter zusammenkommen, um vorläufige Bilanz über Lux2016 zu ziehen. Beim Abschluss des Abkommens im März 2012 hatte Wirtschaftsminister Etienne Schneider 60 Millionen Euro staatliche Zuschüsse aus dem Beschäftigungsfonds via Anpassungen an der préretraite ajustement und den Kurzarbeitsbestimmungen – auch davon abhängig gemacht, ob Arcelor-Mittal zwischen 200 und 250 Millionen Euro in die Walzstraße 2 in Belval investiert, um sie zur Herstellung neuartiger Spundwände aufzurüsten. Ein Vorhaben, das sich bisher im Prüfungsstadium befand.

Schon jetzt ein neues, auf der Zeitschiene verlängertes Tripartite-Abkommen zu verhandeln, sei auch im Interesse des Konzerns, meint Bernardini, schon allein deshalb, weil die Erforschung und die Entwicklung neuer Spundwand-Materialen Zeit brauche. Deshalb könne man nicht erst Ende 2015 neue Abmachungen treffen, wenn sie 2016 umgesetzt werden sollen. Daneben drängt die Zeit für alle Verhandlungspartner noch aus einem weiterem Grund: Ein Jahr nach der Kündigung laufen die aktuellen Kollektivvertragsbestimmungen aus. Bis dahin bleiben knapp drei Monate.

Michèle Sinner
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