Seit 1965 entwirft und produziert Gradel in Steinfort Spezialmaschinen für die Wartung von Kernkraftwerken

„Take the Luxemburger“

d'Lëtzebuerger Land vom 21.12.2012

Die Maschine, auf die Claude Maack zeigt, hat ungefähr das Format eines überdimensionierten Kleiderschranks. Sie steht in der neuen Kon­struktionshalle der Firma Gradel. In Ellingen hat die Firma kürzlich den ehemaligen Sitz der insolventen Baufirma Socimmo übernommen. Zweck der Maschine: Sie dreht in Kernkraftwerken Schrauben und Muttern ab, die den Deckel auf dem Reaktorbecken halten, reinigt sie, fettet sie neu und dreht sie wieder ein.

Seit 1965 bereits gibt es das Unternehmen Gradel in Steinfort. Seither ist es diskret aber erfolgreich im Bereich der Atomreaktorwartung aktiv. „Gradel“ hat sich in der Branche als Begriff für Unterwasserstaubsauger etabliert wie „Kärcher“ für Hochdruckreiniger. Die Palette der Spezialmaschinen für Kernkraftwerke reicht von Unterwasser-Absauganlagen, über Teleskopmasten und Brennelementegreifer hin zu Unterwasserscheren und Bolzenreinigungsmaschinen, von Gradel erdacht und gebaut. Immer neue Prototypen entwickelt die Firma. Ein rezentes Beispiel ist ein neues Unterwasserbergegerät für Schwebeteilchen im Reaktorbecken, die entfernt werden müssen, damit sie die Brennelemente nicht beschädigen. Das besondere an der Gradel-Technik, die patentiert wird: Die Geräte können unter Wasser vollständig in ihre Einzelteile zerlegt werden, was beispielsweise die Entsorgung solcher Geräteteile vereinfacht, die nicht wieder gebraucht werden können. Kann dies unter Wasser aus der Entfernung gemacht werden, erlaubt das die Strahlendosis für die Mitarbeiter, die das Gerät bedienen, um ein Vielfaches zu reduzieren.

Der Weg zur Atomanlagenwartungstechnik führte für Gradel über einen europäischen Gemeinschaftsfonds, dem heutigen Raumfahrtprogramm ESA nicht unähnlich, in den Luxemburg zwar einzahlte, aus dem aber kein Geld zurück in die Luxemburger Wirtschaft floss. So wurde, erklärt Managing Director Claude Maack, Firmengründer Arthur Delvaux von der Regierung ermutigt, in diese Branche einzusteigen. Er tat sich mit dem britischen Unternehmen Gravatom zusammen, das seit 2009 Teil der französischen Onet-Gruppe ist. Aus Gravatom und Delvaux, entstand Gradel.

Anfangs ausschließlich ein Ingenieurbüro, zu dessen Kunden bereits die ersten belgischen Atomzentralen zählten, baute Gradel nach und nach das eigene Atelier aus. „Es war die Zeit, in der sich beispielsweise auch Goodyear in Luxemburg niederließ“, so Maack. Unter der Leitung von Eugène Biver, der die Firma 35 Jahre lang, bis 2003, leitete, diversifizierte Gradel und zählt heute fünf Geschäftsbereiche: Atomanlagenwartungstechnologie, Raumfahrttechnologie, Klingen und Lamellen, die in der Herstellung von Gießformen für die Reifenherstellung gebraucht werden, die Entwicklung und Produktion von so genannten Targets, die in der Beschichtung von Glas eingesetzt werden, und das Mechanikatelier. „Das“, sagt Maack, „ist die Stärke der Firma“: Wenn es in einem Bereich nicht so gut läuft, kann das durch die anderen Aktivitäten ausgeglichen werden.

Höhen und Tiefen hat es in den vergangenen 40 Jahren auch im Geschäftsbereich Nukleartechnik gegeben, was auch daran liegt, dass das Nukleargeschäft ein ganz besonderes ist. „Wir haben in den Siebzigern und Achtzigern sehr viel für die französischen Anlagen gearbeitet, die Kraftwerke mit Basismaterial ausgestattet.“ So hat sich der Unterwasser-Staubsauger, der Schwebstoffe und Ablagerungen aus dem Reaktorbecken filtert, als Standard etabliert. „Heute sagt man in Frankreich ‚le Gradel’, in Schweden, ‚take the Luxemburger’, in Südafrika gibt es ein Kraftwerk, in dem der Ausdruck ‚gradelling the pool’ benutzt wird“, erzählt Maack, „wir haben in diesem Bereich ein sehr gutes Renommee.“

Doch nachdem die Kraftwerke ausgestattet waren, war die Gradel-Technik in Frankreich einstweilen nicht mehr so gefordert. In Frankreich zentral organisiert, arbeiten die Betreiber der Anlagen lieber mit großen Konzernen zusammen, die mit ihrem Material von Kraftwerk zu Kraftwerk ziehen, um Wartungsarbeiten durchzuführen, und, nach getaner Arbeit ihre Maschinen, durch den Einsatz im Reaktorblock kontaminiert, – im Rahmen von Nukleartransporten – wieder mit in die Firma nehmen. Diese Art von Dienstleistung hat Gradel nie angeboten, erklärt Maack.

Zwar gehen auch Gradel-Mitarbeiter, derzeit sind es zehn, entsprechend geschult, zertifiziert und mit Strahlenpass ausgestattet, zu Wartungsarbeiten in europäische Kraftwerke. „Das ist sogar Teil unserer Strategie“, so Maack, er selbst einer der zehn, die in den Reaktorblock gehen: „Denn wie soll jemand, der nie ein Kraftwerk von innen gesehen hat, verstehen, was gebraucht wird?“ Die Erfahrung vor Ort, die Inbetriebnahme der selbst entwickelten Geräte, erlaubt den Ingenieuren bestehende Gradel-Modelle zu verbessern, beziehungsweise neue Maschinen zu entwerfen. Der Unterschied zwischen anderen großen Dienstleistern und Gradel: Ihre Maschinen bleiben, einmal ausgeliefert, beim Kunden. Kontaminiertes Material bringt Gradel nicht zurück in die Firma, unterstreicht Maack. Zu aufwändig sind die Prozeduren, zu hoch die Auflagen. Wer in Frankreich die zentralen Stellen von seinen Geräten überzeugt, führt Maack aus, kann danach auf die Bestellung größerer Stückzahlen hoffen. Doch der Weg dahin ist ein Kraftakt, der Gradel mit dem neuen Unterwasserbergegerät gelungen ist. In den vergangenen 15 Jahren war Gradel als Firma verstärkt auf dem deutschen Markt aktiv geworden. Der ist, aufgrund der Vielfalt der Energiekonzerne, eher dezentral organisiert. „Deswegen muss man zwar um jedes Kraftwerk kämpfen, hat aber als kleine flexible Firma überhaupt mal die Chance, sich vorzustellen.“ Seit der Atomausstieg in Deutschland beschlossen, dann wieder verschoben, dann wieder vorverlagert wurde, versucht Gradel, nun wieder verstärkt in Frankreich aufzutreten. „Aber auch der Rückbau ist ein enormer Markt“, fügt Maack hinzu, „wir sind auf beiden Seiten, im Betrieb und im Rückbau aktiv.“

Seit 2007 ist die Zahl der Mitarbeiter im Geschäftsbereich „Nuklear“ von 14 auf 41 gestiegen, „Posten, die wir geschaffen haben“. Parallel hat Gradel seither das Geschäftsfeld Raumfahrttechnik aufgebaut, ist im Bereich Mechanical Ground Support Equipment (MGSE) aktiv. Gradel ist eines der Unternehmen, die über die Luxemburger Beteiligung an der ESA von europäischen Fördergeldern profitieren. So hat die Firma die ersten Aufträge erhalten, baut Gerüste zur Stützung und Handhabung von Satelliten während der Bauphase. Auch die Pläne dafür zeichnen die Ingenieure von Gradel selbst. Auf diesen Plattformen bleiben die Satelliten, bis sie auf der Abschussrampe in die Raketen eingebaut werden. Kunde ist beispielsweise die Bremer Firma OHB, Muttergesellschaft von Luxspace, die in Betzdorf Mikro-Satelliten baut. Aber auch aus Frankreich, England, Italien und Malaysia hat Gradel in den vergangenen Monaten Anfragen erhalten. Erste Aufträge ohne Fördergelder gehen ein, Gradel hat weiteres Personal eingestellt. Für die ESA selbst hat Gradel an einem Projekt zur Entwicklung neuer Batterietechnik mitgearbeitet, mit dem Ziel, die Energieversorgung von Satelliten zu sichern, die sich so weit von der Sonne entfernen, dass sie keine Energie über Solarzellen produzieren können.

Die Bereiche Energie und Raumfahrt hält Maack für krisensicher und sieht deswegen dort gute Chancen für die Zukunft. So hat sich Gradel kürzlich auch in den Bereich der erneuerbaren Energien vorgewagt, auf dem Fridhaff bei Diekirch ein Projekt zur Gewinnung von Energie aus Klärschlamm mitentwickelt.

Doch Gradel beliefert auch Branchen, deren Schwierigkeiten in den vergangenen Monaten in Luxemburg offensichtlich wurden. Kundschaft für das Mechanikatelier ist die Großindustrie und die Schieflage dort hat sich in den Aufträgen niedergeschlagen. Gradel fertigt lasergeformte Blechteile und dreidimensionale Lamellen an, die zur Herstellung von Reifenformen gebraucht werden – so werden neu entwickelte Reifenprofile in die Gießformen übertragen. Doch die Zahl der Hersteller ist begrenzt und auch die europäische Reifenindustrie ist in der Krise, der Druck präzise und schnell zu arbeiten hingegen groß. Deswegen sagt Maack: „Wir müssen in den kommenden Jahren das Volumen steigern.“

Die Glasindustrie, ebenfalls Kunde bei Gradel, hat über die vergangenen Wochen und Monate für Negativschlagzeilen gesorgt. Was Gradel nicht davon abhält, in diesem Bereich zu innovieren. Mit einem amerikanischen Partner hat Gradel eine Gießanlage entwickelt, um in einem neuen Prozess rohrförmige Targets für die Beschichtung von Glas herzustellen. Die Targets, „Ziele“, sind Platten oder Rohre, bestehen aus dem Material, mit dem das Glas beschichtet wird; je nachdem Zink, Silber, Nickel oder auch Chrom. In der Beschichtungsanlage wird ein Magnetfeld aktiviert, das die Targets korrodiert. Das herabrieselnde Material beschichtet das Glas. Je besser die Target- und die Magnettechnik, je höher die Ausbeute, umso ergiebiger und ungestörter der Produktionsprozess in der Beschichtungsanlage. Durch die rohrförmigen Ziele, die Gradel entwickelt hat, verspricht die Firma den Kunden, die Ausbeute von 35 auf 85 Prozent zu steigern. Die amerikanische Partnerfirma Ansun Metal Protectives wird mit dem Prototypen der Gießanlage, deren Technik wiederum patentiert wird, den amerikanischen Markt beliefern. Gradel selbst plant in Ellingen eine weitere Gießanlage zu bauen, um den europäischen Markt zu beliefern. „Ein Drittel“, sagt Maack, will Gradel von diesem Markt erobern.

Insgesamt 80 Mitarbeiter beschäftigt Gradel, 15 davon sind Ingenieure. Den Umsatz hat die Firma von 3,5 Millionen Euro 2003 auf zwölf Millionen Euro 2012 gesteigert, ungefähr 45 Prozent davon stammen aus der Sparte Kernkraftwerktechnik. An der aktuellen Krise in anderen Branchen kann Maack auch Positives abgewinnen: Für die Posten, die seine Firma ausschreibt, interessieren sich auch wieder Luxemburger: „Etwas, das lange nicht der Fall war.“

Michèle Sinner
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