Eine Bürgerinitiative kämpft gegen den Drogenhandel in der hauptstädtischen Straßburger Straße. Ob das gelingt, liegt nicht an mehr Polizeipräsenz allein

Anwohner gegen Drogendealer

d'Lëtzebuerger Land vom 09.08.2013

Es rumort wieder im Bahnhofsviertel. „Die Polizei fährt an den Drogendealern vorbei, ohne einzugreifen.“ „Die Straße wird zum unsicheren Lebensort.“ „Drogendealer machen ihre Geschäfte von morgens bis abends ungeniert, ohne sich zu verstecken. Es kommt regelmäßig zu Schlägereien.“ „Drogen werden in aller Öffentlichkeit genommen, oft direkt neben der Grundschule.“ Zwischen Wut, Empörung und Verzweiflung schwanken die Beiträge der 66 Unterzeichner einer Petition, die sich für ein Ende der Drogendealer in der Straßburger Straße in Luxemburg-Stadt einsetzt und die das Collectif Rue de Strasbourg an Bürgermeister Xavier Bettel, sowie den Polizeipräsidenten kürzlich verschickt hat.

Unterschrieben haben Geschäftsleute wie der Hotelbesitzer Carlo Cravat, der in der Straße weiter oben zwei Hotels betreibt und für 7 000 Euro Stahljalousien nachgerüstet hat, um seine Fensterfront besser vor Aggressionen auf der Straße zu schützen. Oder die Familie Geyer, die im hinteren Teil der Straße eine traditionelle Bäckerei unterhält. „Die Dealer werden mehr und immer unverfrorener“, empört sich deren Besitzerin. „Vorm Café nebenan werden auf offener Straße Drogen verkauft. Direkt vor den Augen der Kunden. Das ist schlecht fürs Geschäft.“ Aber auch Familienleute, die in der Straße wohnen, sorgen sich um die „Verrohung und die massive Zunahme von Drogendealern“. Die Direktorin der Kindertagesstätte „Kids and the City“ klagt: „Ich bin verantwortlich für die Sicherheit der Kinder. Die Eltern haben Angst um sie und beschweren sich jeden Tag.“ Spritzen im Eingangsbereich der Kita, aber auch Drogenabhängige selbst, die sich oft nur ein Meter weiter einen Schuss setzen, sind trauriger Alltag.

Dass Bewohner und Geschäftsleute sich zusammentun, um gegen die Drogenszene zu mobilisieren und mehr Polizeipräsenz zu fordern, ist nicht neu. Sondern so alt, wie die Drogenproblematik um dem Hauptbahnhof selbst. In den 1990-er Jahren gründete sich eine ähnliche Bürgerinitiative: SOS Gare. Um sie ist in den vergangenen Jahren wieder ruhiger geworden, lediglich als Standort und Vergrößerung der so genannten Fixerstube diskutiert wurden, erwachte sie wieder zum Leben. Jetzt kommt eine neue Protestgeneration.

Im Bahnhofsviertel hat sich einiges verändert. Der Bahnhof wurde modernisiert, die Straßen wurden erneuert. Auch die Grundschule in der Rue du Commerce wurde renoviert. Um die Ecke gibt es einen Hort, wo Kinder nach der Schule essen können, eine Kinderkrippe hat sich angesiedelt. Im hinteren Teil der Straße spielen johlende Kinder auf einem umzäunten Spielplatz. Es gibt neue Anwaltskanzleien und Architektenbüros, aber auch den alteingesessenen Fischverkäufer oder Tabakwarenladen. Wen man auch fragt, die Sorge um die Lebensqualität der Bewohner im Viertel ist allgegenwärtig.

„Die Lebensqualität ist für die meisten Bürger wichtig, auch für die im Bahnhofsviertel“, sagt Vic Reuter, Pressesprecher der Polizei, verständnisvoll. „Aber das mit dem Unsicherheitsgefühl ist so eine Sache“, fügt er hinzu. Dem nationalen Drogenbericht zufolge geht der Drogenkonsum seit 1997 zurück, die Zahl der Süchtigen wird für 2011 auf 2 070 beziffert, ein Tiefstand. Auch die Anzahl der Drogentoten nimmt seit Jahren beständig ab, und lag 2011 mit sechs Fällen so niedrig wie lange nicht mehr. Dank gesundheitlicher Angebote, wie dem Drogenkonsumraum Abrigado in der Route de Thionville.

Einen ähnlichen Trend verzeichnet die polizeiliche Kriminalstatistik, derzufolge die mit Drogenhandel und -konsum verbundenen Straftaten eher abgenommen haben. Wurden vor drei Jahren noch 96 Drogendelikte in der Straßburger Straße gezählt, waren es 2011 noch 81 und in den ersten acht Monaten von 2012 lediglich 75. Auch die Zahl der gewalttätigen Auseinandersetzungen hat abgenommen: 2010 waren es noch 22, 2011 28 und bis August 2012 sogar 16. Allerdings sind die Statistiken mit Vorsicht zu lesen: Auch ein geringeres Anzeigeverhalten der Bürger oder eine geringere Strafverfolgung durch die Polizei könnten Ursache für den sinkenden Trend sein.

Dass die Polizei nicht eingereift oder die Drogengeschäfte einfach so duldet, will der Pressesprecher der Polizei aber keinesfalls gelten lassen. Er hat deshalb den stellvertretenden Leiter der Dienststelle Recherche, Marc Colbett, sowie Kollegen vom Drogendezernat, und von der Bahnhofswache eingeladen, von ihrem schwierigen Kampf gegen die Drogenszene zu berichten.

„Wenn es brennt, sind wir da und versuchen zu löschen“, erzählt Drogenfahnder Mike Goergen. ;arc Colbett nickt: „Es gibt eben eine große Nachfrage nach Drogen in unserer Gesellschaft“. Dass das Bahnhofsviertel ein Hauptumschlagplatz für alle Sorten von Drogen – Heroin, Kokain, Marihuana – ist, beschreitet er nicht. Auch nicht, dass die Streifzüge der Drogenhändler und ihrer Kundschaft, mit all ihren unangenehmen Folgen, zum Teil bis weit in die hinterliegenden Wohnviertel hineinreicten. „Das geht bis in die Rue Joseph Junck. Nimmt man die Prostitution hinzu, die zur Beschaffungskriminalität gehört, dann finden wir sie sogar unten beim Blumengeschäft an der Hollericher Straße“, bestätigt der Polizist Mike Fiorese von der Bahnhofswache. Seit elf Jahren ist er dabei. Er kennt die Schlupfwinkel der Drogenhändler und ihrer Kunden.

Auch die neuralgischen Punkte, die die Unterzeichner der Petition und Teilnehmer von mittlerweile zwei Facebook-Initiativen zur Rue de Strasbourg ausgemacht haben, bestätigt der kräftige gebaute Polizist kopfnickend: Vor der Bar Dame Blanche, dem Cabana und dem Café Nice weiter unten drehen die Händler ihre krummen Geschäfte: „Aber sie einfach zumachen, können wir nicht. Das liegt nicht in unserer Hand“. Bis ein Café vom Gericht versiegelt und verboten wird, muss dem Besitzer erst einmal nachgewiesen werden, dass er vom illegalen Handel in seinem Lokal wusste – und das ist nicht einfach. „Die kennen sich untereinander, springen für einander ein“ , weiß Fiorese. Nähert sich eine Polizeikontrolle, geht der „Buschfunk“: Die Kumpels in den anderen Straßen und Lokalen werden per Mobiltelefon vorgewarnt. Die Kügelchen verschwinden. Ist die Polizei verschwunden, wird munter weitergedealt. Die Berichte über Einsätze und Kontrollen, nicht nur auf Drogen, sondern beispielsweise auch, ob Hygienevorschriften eingehalten werden, füllen mittlerweile dicke Aktenordner, die Namen der Stammkunden sind größtenteils bekannt. „Das Gesundheitsamt, die Gerichte, sie alle kennen die Probleme.“ Bisher hat das offenbar nicht gereicht, um den Drogen-Cafés den Hahn zuzudrehen.

Auf Facebook kursieren Anrainer-Fotos, die die Drogengeschäfte am helllichten Tag dokumentieren. Was die Sache nicht einfacher macht: Die Cafés, in denen gedealt wird, das Café Nice und das Dame blanche, frequentieren viele Afrikaner. „Natürlich ist nicht jeder, der aus Afrika nach Luxemburg kommt, ein Drogendealer“, betont Polizeisprecher Vic Reuter. „Aber es ist eine Tatsache, dass das Drogengeschäft derzeit von Schwarzafrikanern bestimmt wird, die illegal ins Land kommen. Viele kommen mit falschen Papieren ins Großherzogtum, vorzugsweise aus Italien, und verdingen sich dann hier als Drogenhändler.“

Diese Woche gingen den Fahndern vier Drogenhändler ins Netz: „Alles Schwarz-Afrikaner. Aber kaum sind die von der Straße runter, werden sie schon wieder durch neue ersetzt“, sagt Drogenfahnder Mike Goergen. An die Hintermänner zu kommen, die oft in Belgien, den Niederlanden oder Frankreich sitzen, ist ungleich mühsamer und erfordert oft monatelange grenzüberschreitende Ermittlungen. Nicht zu reden vom Personalaufwand und der Bürokratie: Nach der Festnahme müssen Tatverdächtige verhört, Nationalitäten festgestellt, Protokolle geschrieben, Gespräche übersetzt, Anwälte angehört und Richter informiert werden. Manch ein Tatverdächtiger bleibt im Krankenhaus, um, medizinisch und polizeilich überwacht, die Drogenpäckchen auszuscheiden, die er auf der Flucht vor der Polizei geschluckt hat. Das bindet weitere Ressourcen, die an anderer Stelle fehlen.

Dass viele Dealer junge dunkelhäutige Männer sind, die sich gerne in Gruppen auf der Straße aufhalten, verunsichere viele Anwohner zusätzlich, sagt Vic Reuter: „Ich kann verstehen, wenn eine ältere Dame verängstigt anruft, weil vor ihrer Haustür 30 junge Männer stehen und sie sich nicht vor die Tür traut.“ Herumstehen ist aber keine Straftat. Ebenso wenig wie vor einer Schule zu sitzen und Bier zu trinken. Oder auf den Boden zu spucken.

„Wir fordern deshalb erweiterte Kompetenzen für die Agents municipaux“, sagt Bürgermeister Xavier Bettel. „Sie könnten sich um Ordnungswidrigkeiten kümmern und die Polizei hätte den Rücken freier, um Straftaten zu verfolgen.“ Der Liberale kennt die Initiative Straßburger Straße bereits. Als ihm im Oktober vergangenen Jahres die ersten Briefe von verzweifelten Geschäftsleuten erreichten, machte er sich tags drauf auf den Weg, um sich selbst ein Bild von der Lage zu machen. Mit Fahndern in Zivil ging er in die Cafés, sprach mit Anwohnern, ohne aber viel Konkretes zu versprechen: „Ich bin der Erste, der angerufen wird, aber der Letzte, der handeln kann.“ Seinen Brief an die Staatsanwaltschaft vom 8. November, mit Namen einschlägiger Orte und konkreten Vorkommnissen, beantwortete die Staatsanwaltschaft im Mai. Die Ermittlungen seien im Gange. Mehr konnte oder wollte die Staatsanwaltschaft dem Land nicht sagen.

Xavier Bettel fordert den Platzverweis. Die Eisenbahngesellschaft CFL kann für das Bahnhofsgelände, weiterer beliebter Treffpunkt der Drogenszene, Unruhestifter verweisen – die Polizei setzt das um. „Wir haben aber selbst keine Befugnis, Platzverweise auszusprechen“, kritisiert Vic Reuter. Damit fehlt der Luxemburger Polizei ein wichtiges Mittel im Kampf gegen eine ausufernde Drogenszene, das in anderen europäischen Hauptstädten selbstverständlich ist. Aber auch Staat und Gemeinden tragen laut Mike Goedert Verantwortung: Um das garantierte Mindesteinkommen RMG zu erhalten, von dem manch ein Süchtiger seinen Drogenkonsum finanziert, muss man in Luxemburg gemeldet sein. „Manchmal sind 30 bis 50 Leute, die wir aus der Drogenszene kennen, an einer Adresse angemeldet, obwohl sie dort gar nicht wohnen“

Zu mehr Kompetenzen für die Agents municipaux, die ähnlich wie etwa das deutsche Ordnungsämter, dann für die Ordnung im öffentlichen Raum zuständig wären, will sich Vic Reuter nicht äußern. „Das ist eine politische Frage.“ Der Pressesprecher gibt lediglich zu bedenken, dass dann „genau geprüft werden muss, wo sie eingesetzt werden“. Als Hauptgegner des von den Grünen 2007 eingebrachten Gesetzesvorschlags gilt Staatsminister Jean-Claude Juncker (CSV): Schließlich wurden mit der Polizeireform 2000 erst zwei Polizeikörper zu einem zusammengelegt.

Was auch auf politischer Ebene geschieht, ein Ziel haben die Initiatoren von Petition und Facebook-Plattformen bereits erreicht: Die politische Aufmerksamkeit ist ihnen sicher, zumal zur Wahlkampfzeit. Sicherheit und Drogenszene waren Thema des Comité de prévention, in dem Politiker wie die grüne Sozialschöffin Viviane Loschetter, Gemeindebeamte, Bürger und die Polizei gemeinsam nach Lösungen suchen. Etwa die Sitzgelegenheiten vor der Grundschule wieder abzubauen. Oder mehr Streetworker einzusetzen, wie neuerdings im Bahnhofsbereich. Der Schulhof in der Rue du Commerce wird seit einiger Zeit abends zugesperrt. Der Spielplatz sowieso. Anfang September wollen sich die Gemeindeverantwortlichen mit Anwohnern der Straßburger Straße zusammensetzen, um über weitere Schritte zu beraten.

Ines Kurschat
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