Ein Gefängnis für 16- bis 18-Jährige?

Braz ist der neue Schily

d'Lëtzebuerger Land vom 25.11.2016

Solange es keine dritte Struktur für 16- bis 18-Jährige gibt, würden weiterhin Minderjährige in die Strafvollzugsanstalt für Erwachsene in Schrassig eingesperrt, sagte der grüne Justizminister Félix Braz vor gut einer Woche dem Radio 100,7. Das ist in mehrerlei Hinsicht bemerkenswert.

Bisher ist die geschlossene Unterbringung (Unisec) in Dreiborn, von der CSV-Abgeordnete sagten, sie sei nichts anderes als ein Jugendknast, obwohl seit drei Jahren fertig, noch immer nicht in Betrieb. Es gibt also keinerlei Erfahrungswerte, wie die Unisec das Zusammenspiel zwischen offenen und geschlossenen Erziehungsmaßnahmen beeinflussen wird. Zwar malen Jugendrichter Schreckensszenarien an die Wand, wonach die vorhandenen zwölf Therapieplätze der Unisec heute schon zu wenig seien, um alle straffälligen Jugendlichen unterzubringen und zu behandeln. Es fehlt eine kriminologische Studie, die untersucht, welche Jugendlichen mit welchen Vorstrafen in Dreiborn und Schrassig einsitzen.

Erstaunlich ist die Forderung auch, weil der Minister im Interview vorrechnet, dass maximal ein Jugendlicher pro Jahr für den Erwachsenenvollzug übrigbleibe, sei die Unisec erst einmal in Betrieb. Für einen Jugendlichen eine millionenschwere Haftanstalt bauen? Selbst wenn es mehr wären, weil auch Heranwachsende zwischen 18 und 21 Jahren dort ebenfalls eingesperrt würden, klingt die Idee überdimensioniert.

Wer sich erinnert, dass Diskussion, Planung und Bau der Unisec über 15 Jahre gedauert haben, muss sich über die Nonchalance des Ministers wundern: Er hat also nichts dagegen, Minderjährige weiter in Schrassig einzusperren, obwohl nationale und internationale Jugendstrafrechtler und Kinderrechtler Luxemburg seit Jahrzehnten für diese menschenrechtswidrige Praxis kritisieren? Der Sozialarbeiter-Fachverband Ances zeigt sich alarmiert und spricht von „Banalisierung des Einsperrens“. Kürzlich bekräftigte der neue Leiter von Schrassig, Michel Lucius, die dortigen Infrastrukturen seien nicht geeignet, um kriminelle Jugendliche zu resozialisieren, eigentlich Hauptanliegen des Jugendschutzgesetzes.

Braz Forderung für eine dritte Anstalt ist auch deshalb bemerkenswert, weil der Minister lange keine Position im Streit um eine Grundsatzreform des Jugendschutzgesetzes beziehen wollte. Seit Jahren fordern Kinderrechtler ein Jugendstrafrecht, um der Verantwortung von straffälligen Wiederholungstäter besser Rechnung zu tragen. Am Donnerstag sprach sich auch der Kinderrechtsbeauftragte René Schlechter, nach einigem Herumdrucksen, dafür aus, über die Einführung eines Jugendstrafrechts nachzudenken. Etwas, das die Jugendrichter – und Minister Braz – ablehnen.

Erklärungsbedürftig wäre aber, wie das mit jugend- und kriminalpolitischen Prinzipien seiner Partei zusammenpasst. In der Vergangenheit hatten Déi Gréng, zu deren Stammwählern Erzieher und Lehrer gehören, Resozialisierung und den Ausbau dezentraler offener Strukturen groß geschrieben. Die Freiheitsberaubung bei Minderjährigen und Heranwachsenden sollte die ultima ratio sein, also nur dann zum Einsatz kommen, wenn alle anderen Erziehungs- und Strafmittel ausgeschöpft sind. Heute ruft ein Grüner nach mehr Repression. Derselbe Minister treibt die Vorratsdatenspeicherung voran und will die Befugnisse für Polizei und Staatsanwaltschaft im Anti-Terrorkampf ausdehnen. Eine ähnliche Wandlung gab es schon einmal: Der deutsche Ex-Innenminister Otto Schily gründete 1980 die deutschen Grünen mit. Nach seinem Parteiaustritt 1989 und dem Wechsel zur SPD wurde er über alle Parteigrenzen hinweg bekannt als sicherheitspolitischer Hardliner.

Ines Kurschat
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