Marseille

Politik ist verdorben!

d'Lëtzebuerger Land vom 18.11.2016

Politik ist böse! Politik ist korrupt! Politiker sind machtgeil, rachsüchtig und wollen sich bereichern! Politik ist eine Männerdomäne, in der Frauen auf verlorenem Posten ein bisschen mitspielen dürfen! Politik und Mafia sind ein Team! Sex wird für In-trigen missbraucht! Politik kennt keine Moral!

So weit, so schlecht. Marseille ist ein Politdrama von Dan Franck (Carlos) und die erste französische Serie, die von Netflix in Auftrag gegeben wurde. Sie begibt sich in die Lokalpolitik der bekannten Hafenstadt mit dem romantisch-dubiosen Flair, geht dabei jedem Klischee auf den Leim und bestätigt so alle negativen Vorurteile, die man über das ach so dreckige Geschäft der Politik und die Machtverliebtheit ihrer Akteure haben kann.

Politiker haben keine Skrupel und schrecken auch nicht vor einem „Vatermord“ zurück – das ist die Lehre, die man aus der Geschichte ziehen muss. Gérard Depardieu spielt Robert Taro, den alternden Bürgermeister von Marseille. Nach 20 Jahren will er das Amt an seinen Schützling und politischen Ziehsohn Lucas Barres (Benoît Magimel) abgeben. Alles scheint in bester Ordnung, bis Barres durch seine entscheidende Stimme ein von Taro unterstütztes Hafenprojekt zum Scheitern bringt. Taro nimmt den Fehdehandschuh auf, und ein erbitterter Kampf um Wählerstimmen beginnt. Dabei ist jedes Mittel recht, so schmutzig es auch sein mag: Pakt mit der Mafia, Stimmenbetrug, Bündnis mit dem rechtspopulistischen Gegner …

Warum Barres seinen Gönner und Förderer fertigmachen will? Die Antwort darauf liegt tief in der Vergangenheit und scheint an den Haaren herbeigezogen. Sie soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Nur so viel: Einen abstruseren Plot kann man sich kaum vorstellen.

Die Story ist nicht nur ziemlich unglaubwürdig, sondern auch flach. Das steht in krassem Gegensatz zur pompösen Inszenierung. Schon der Vorspann suggeriert etwas Imperiales. In fast farblosem Grau-in-Grau gehalten, lenkt er den Blick auf monumentale Bauten mit den Treppen zur Macht – ein beeindruckender Hintergrund für die Akteure im politischen Spiel. Leni Riefenstahl hätte die Insig-nien der Macht nicht besser in Szene setzen können.

Leider sind auch die Personen recht eindimensio-nal gezeichnet. Und das ist schade, denn Depardieu und Magimel spielen hervorragend, bekommen jedoch kaum Gelegenheit, zu zeigen, dass sie mehr als zwei Emotionen im Repertoire haben.

Vielleicht wollten die Macher von Marseille auf der Erfolgswelle der US-amerikanischen Serie House of Cards mitschwimmen, doch an den konsequent durchgezogenen Machiavellismus eines Frank Underwood (Kevin Spacey) kommt diese Serie nicht heran.

Marseille ist weder Fisch noch Fleisch; weder zeigt es eine pure „Mein Zweck heiligt meine Mittel“-Politik, noch, wie Politik auf reale Herausforderungen reagieren kann. Die Serie verspielt die Chance, auf die eigentlichen Probleme der südfranzösischen Stadt einzugehen, weil sie die heiklen Themen nur kurz streift. Für die tatsächliche Situation der Menschen in den sozialen Brennpunkten der Banlieue interessieren sich die Schöpfer der Serie genauso wenig wie für die aufstrebenden rechtspopulistischen Strömungen und die Gefahr, die von ihrer Politik der Hetze und Angstmache ausgeht. Dabei kam Marseille 2016 heraus und diese sozialen und politischen Fehlentwicklungen sind nicht erst seit gestern bekannt.

Jutta Hopfgartner
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