The Bridge

Polizistenmenschen

d'Lëtzebuerger Land vom 16.09.2016

Kriminalbeamte mit leicht autistischem Anflug gibt es immer mehr im Fernsehen. Sogar die biedere ZDF-Reihe Soko Stuttgart leistet sich einen IT-Experten, der so seine Probleme im Zwischenmenschlichen hat. Dass aber eine Hauptermittlerin allein der Logik folgt und, wie Mr. Spock, emotionale Gepflogenheiten und Bindungen zu den Mitmenschen nicht (er)kennt, dürfte neu sein. In The Bridge funktioniert es aufs Prächtigste.

Ihr Name ist Saga Norén (Sofia Helin), und sie ist mit ihrem unschuldig-unwissenden Augenaufschlag nicht unbedingt der Prototyp einer toughen, scharfsinnigen und höchst erfolgreichen Kommissarin. Sagas Revier ist die schwedische Stadt Malmö. Ihr wird gleich zu Beginn der ersten Staffel der Kopenhagener Kollege Martin Rohde (Kim Bodnia) zur Seite gestellt, da man sich bei diesem Fall, der über zehn Episoden entwickelt wird, nicht einigen kann, ob Schweden oder Dänemark dafür zuständig ist.

Auf der Øresund-Brücke, die beide Länder verbindet, wurde eine weibliche Leiche gefunden, und zwar genau auf der Grenze. Der Oberleib liegt in Schweden, der Unterleib in Dänemark. Bei genauerem Hinsehen handelt es sich um zwei halbe Leichen, Hüfte und Beine gehören einer dänischen Prostituierten, Kopf und Rumpf einer Malmöer Lokalpolitikerin.

Als Täter gibt sich im Internet bald ein „Wahrheits-terrorist“ zu erkennen, der ankündigt, Schritt für Schritt soziale Missstände durch weitere Morde ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken zu wollen. Prostitution, Obdachlosigkeit, die profitgierige Industrie et cetera hat er im Visier. Kurz, so ziemlich alles, was die Globalisierung, zumal seit der Finanzkrise, zu bieten hat.

Dass bei den Verbrechen das Politische nur als Vorwand für persönliche Abrechnungen dient, merkt man erst später. Hans Rosenfeldt, der Schöpfer der Serie, widmet sich nur vordergründig den gesellschaftlichen Problemen unserer Zeit. Er serviert im Stakkato-Takt einen Brennpunkt nach dem anderen, was dazu führt, dass man als Zuschauer nur kurz über die potenziellen Konfliktauslöser zwischen Benachteiligten und Privilegierten nachdenkt.

Was Rosenfeldt eigentlich im Sinn hat, ist die präzise Zeichnung seiner beiden Ermittler. So richtig klar wird das jedoch erst in der zweiten Staffel, wenn der eigentlich nette, verständnisvolle dänische Kollege Rohde einen persönlichen Schicksalsschlag erleidet und Gefahr läuft, aus der Bahn geworfen zu werden. Zwar attackiert der Regisseur und Autor in dieser Staffel die allmächtige Pharmaindustrie und deren Machenschaften. Im Rückblick aber wirkt auch dies nur wie die geeignete Kulisse, vor der sich das persönliche Drama des Kommissars abspielt. Das eigentlich Spannende ist nicht so sehr die Frage nach dem klassischen „Whodunnit?“, sondern mitzuverfolgen und zu bangen, wie Martin Rohde mit sich und seinen Dämonen kämpft.

Rosenfeldt vergibt sich mit diesem Ansatz die Chance, dem Zuschauer die Missstände unserer Gesellschaften genauer vor Augen zu führen. Man kann das bedauern, denn gerade Krimis eignen sich dazu, die Menschen nicht zuletzt über Gefühle und Empörung zumindest ein wenig aufzurütteln. Trotzdem: The Bridge ist hervorragend gemacht und bietet intelligente, einfühlsame und spannende Unterhaltung.

Jutta Hopfgartner
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