Nach getaner Arbeit trat diese Woche das Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank, Yves Mersch, in den Ruhestand. Unter seinen Landsleuten war das Verhältnis zu Zentralbanken immer gespalten. Lange war gerade das Fehlen einer Zentralbank ein Verkaufsargument, um ausländische Banken nach Luxemburg zu locken. Es bedeutete keine Beschränkung der Kapitalflüsse, keine Devisenbewirtschaftung, weniger Kontrolle, keine Mindestreserven und was sonst noch Risikokosten von den Kunden auf die Banken verlagern würde. Selbst die staatliche Münzhoheit war zugunsten der Banque internationale teilprivatisiert.
Trotzdem musste 1983 das Institut monétaire geschaffen werden. Seine wichtigste Aufgabe bestand darin, keine Zentralbank zu sein. 1998 verlangte die Einführung des Euro seinen Umbau zur lokalen Zweigstelle der Europäischen Zentralbank. Nun warb die Regierung mit gediegenen Farbbroschüren dafür, dass der Geschäftssitz der Europäischen Zentralbank auf den Kirchberg käme. Doch als Attrappe der deutschen Reichsbank (nach der Niederlage: Bundesbank) kam die Europäische Zentralbank nach Frankfurt.
Auf diese Weise sollte auch Yves Merschs Weg nach Frankfurt führen. LSAP-Minister Raymond Vouel hatte den frisch vereidigten jungen Rechtsanwalt 1975 im Finanzministerium angestellt. Unter den CSV-Ministern Jacques Santer und Jean-Claude Juncker stieg der ehrgeizige Technokrat auf, nicht ohne Demütigungen, wie 2004. Als er erster Präsident der Luxemburger Zentralbank wurde, kritisierte er pflichtbewusst den automatischen Index. Die LSAP-Führung hatte Verständnis dafür, die Basis weniger. Deshalb ließ er seine LSAP-Mitgliedschaft ruhen.
Das Geschäft der Zentralbanken im Euro-Raum ist es, einen Lohnanstieg für die erwerbstätigen und Geldwertverluste für die besitzenden Klassen zu verhindern. Das geht als Inflationsbekämpfung durch, während Quantitative easing den Anstieg der Aktien- und Immobilienpreise bezuschusst. Gleichzeitig wird mit den Maastrichter Kriterien der Sozialstaat kleingehalten. Nach der Bankenkrise ist es gelungen, die Austeritätspolitik zu institutionalisieren (mit einer vorübergehenden Unterbrechung in der Covid-Krise).
Die Opfer des deutschen Außenhandelsüberschusses im Euro-Raum meldeten Kritik an. Um ihnen das Maul zu stopfen, statuierten Doktor Schäuble und seine Adlaten ein Exempel an Griechenland. Finanzpolitiker vom Schlag Doktor Schäubles werden „Falken“ genannt. Auch wenn ob ihres unpopulären Charakters die Beschlussfassung in Frankfurt diskret gehandhabt wird, wurde Yves Mersch zu den Falken gezählt.
Vielleicht gefiel es dem autoritär auftretenden Sozialdemokraten, „wie ein Falke das Gesinde zu beobachten, denn, im Vorbeygehen gesagt, darauf beruht eigentlich der Grund aller Haushaltung“ (Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre, 7,6). Als fachfremder Rechtsanwalt scheute er sich vielleicht auch, die ausgetretenen Pfade der ökonomischen Orthodoxie zu verlassen. Jedenfalls teilte er die Regierungspolitik, sich stets in den Fußstapfen der europäischen Führungsmacht fortzubewegen.
Vor allem vertrat Yves Mersch in Frankfurt die „Finanzplatz“ genannten Interessen des Finanzkapitals. Eine mit hohen Staatseinnahmen wirtschaftende Regierung, eine von Bankkunden und Briefkästen lebende Kompradorenbourgeoisie und die vom Sozialstaat abhängigen Klassen halten diese Interessen für die Ihren. Also half Yves Mersch in Krisenzeiten, Schaden von der Kreditindustrie abzuwenden durch die Belastung von Lohnabhängigen, Rentnern, Kranken und Arbeitslosen vorrangig anderer Länder. In Frankfurt musste sich der Luxemburger Falke nie allein wähnen. Auf ihrem Philhellenismus-Kongress im März 2015 in Mamer entschied sich seine ruhende Partei mit großer Mehrheit für den Finanzplatz und gegen die Griechen.