ZUFALLSGESPRÄCH MIT DEM MANN IN DER EISENBAHN

Katholisch-konservative Bruchlandung

d'Lëtzebuerger Land du 11.12.2020

Träge ruhte das konservative, autoritäre, ungleiche Großherzogtum ein Jahrhundert lang auf drei Grundpfeilern: CSV, Bistum und Luxemburger Wort. Sie sorgten dafür, dass der Herr Herr und Max Max bleibt, der Landmann auf seiner Scholle und der Schuster bei seinem Leisten. Sie predigten, dass Armut adelt, weil ein Spatz in der Hand besser als eine Taube auf dem Dach sei, und wer sich wie die Leute benehme, es wie diesen ergehe.

Das Trio sang Wiegenlieder, dass seine Staats- und Finanzminister die Kirche im Dorf beließen und nur die Bäume der Arbed und der Banken in den Himmel wüchsen. Es achtete darauf, dass die Hausfrauen ihren Brotverdienern untertan waren und die Kinder die Hände auf der Bettdecke behielten.

Schmunzelnd flüsterten die drei, dass eine Parteikarte von Bauernzentrale, LCGB, Pfadfindern, Caritas und Cäcilienverein Türen öffnen könne. Sie mahnten, dass unsere amerikanischen Freunde überall in der Welt auch für unsere Freiheit Bomben würfen. Aus voller Männerbrust frohlockten sie, dass Gottes Volk ein Hort der Eintracht und der Mäßigung sei. Am Nationalfeiertag, in der Schlussoktave und in den Fernsehnachrichten erstrahle die Heimat in ihrer schönsten Farbe: schwarz. Und wer nicht schwarz, katholisch und Monarchist sei, sei ein Roter, was wie „Toter“ klingt.

Die drei Grundpfeiler des konservativen, autoritären, ungleichen Großherzogtums trotzten zwei Weltkriegen, einem Kalten Krieg, drei Weltwirtschaftskrisen und einer Jugendrevolte. Doch panische Anpassungs- und Modernisierungsversuche konnten nicht verhindern, dass die Säulen nun einstürzen, gemeinsam und zeitgleich, weil sie sich gegenseitig stützten.

Laut TNS-Ilres von vergangener Woche ist der Stimmenanteil der CSV binnen eines Jahrzehnts um ein Drittel gefallen. Seit 1915 war die CSV mit der abwechselnden Komplizenschaft von DP und LSAP die staatstragende Partei. Nun würden ihre Sitze nicht mehr ausreichen, um zwischen Juniorpartnern zu wählen. Seit ihrer Niederlage, seit sieben Jahren ist sie nur noch zerstritten. Ein neuer Anführer ist nicht in Sicht. Im Parlament sitzen ihre Gestrigen und Vorgestrigen.

Auch auf das Bistum, das die Staatsreligion mit Beamtenstatut und den Moralkodex des CSV-Staats verwaltete, hört niemand mehr. Die Kirchen stehen leer, die ersten werden entweiht. Die letzten Pfarrer ziehen wie Wanderprediger durch die Wüsten ihrer Pfarrverbände und müssen die geweihte Unzucht mit Minderjährigen geißeln. Nach der Niederlage der CSV privatisierte die Regierung widerstandslos den Klerus und seine Gehälter. Kirchenfabriken und Erzbischof streiten vor Gericht um die Immobilien aus der Konkursmasse des Marienlands.

Sogar sein Luxemburger Wort verkaufte das Bistum, seine politische Lebensversicherung. Es war ein Jahrhundert lang die schrillste und meist reaktionärste Stimme des CSV-Staats. Nun machen die neuen Eigentümer aus dem politischen Organ der Rechten eine ausgedünnte, digitale „Jedermannszeitung“ (Luc Frieden für: „Allerweltszeitung“).

Gemeinsam waren CSV, Bistum und Wort mit bewundernswertem Erfolg katholisch-konservative „apparati dell’egemonia“. So nannte Antonio Gramsci politische und kulturelle Einrichtungen, die Herrschaft mit dem Konsens der Beherrschten und wenig Zwang der Herrschenden ermöglichen.

Nun sind alle drei Apparate kaputt. Nicht alle lassen sich reparieren. Sie fliegen dann wohl auf den Schrotthaufen der Geschichte. Denn die Herrschenden lassen schon neue, liberalere Konsensmaschinen installieren: nachhaltig, multikulturell, genderneutral, aber marktradikaler, nicht weniger autoritär und am Ende noch ungleicher.

Romain Hilgert
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