Seit einem Jahr feiert die staatliche Œuvre nationale de secours grande-duchesse Charlotte sich selbst, nunmehr mit einer Ausstellung im Staatsarchiv. Stolz stellt sie sich als philanthropische Einrichtung dar, die seit 75 Jahren Geld zuerst an Kriegswaisen, dann an Arme, Kranke, Sportler, Künstler und Naturschützer verteilt.
Die Konten dieses millionenschweren Charity business haben zwei Seiten: Die karitative Ausgabenseite mit all ihren großzügigen Spenden, die die Œuvre bis auf den letzten Euro stolz ins Schaufenster stellt. Und eine Einnahmenseite – die von ihr betriebene Nationallotterie – deren Einzelheiten die Œuvre am liebsten im Back office belässt. Mit zwei Bilanzen trennt sie die Einnahmen ihrer Glücksspiele von den wohltätigen Ausgaben und erschwert so den Vergleich.
Vergangenes Jahr verkaufte die Nationallotterie für 111,3 Millionen Euro Lose und Lottoscheine, schüttete aber nur 61,7 Millionen Euro Gewinne aus. Das sind 55 Prozent: Der statistische Durchschnittsspieler, der für 100 Euro Lose kaufte, verlor 45 Euro. Hätte ein Spieler versucht, risikolos reich zu werden, indem er ein Jahr lang sämtliche Lose gekauft hätte, hätte er feststellen müssen, dass er am Ende 49,5 Millionen Euro verloren hätte. Jedes Sparkonto mit Negativzinsen ist eine bessere Investition als Euromillions, Lotto und Rubbellose. Das Geschäft lebt von der Hoffnung, am Kiosk, in der Kneipe oder an der Tankstelle die Wahrscheinlichkeit überlisten zu können. Also vom Aberglauben.
Unter dem Strich funktioniert die horrende Negativrendite wie eine als Glücksversprechen getarnte Steuer. Deshalb ist sie von fast allen anderen Steuern befreit. Nur Mehrwertsteuer muss sie abführen. So erscheinen die Lose und Lottoscheine als Konsumartikel und nicht als Steuerbelege.
Die Höhe der Steuer wird über die Höhe der auszuschüttenden Gewinne festgelegt. Die ausgeschütteten Gewinne werden nicht nur um 25 Prozent beschnitten für Ausrichtungs- und Verwaltungskosten sowie für die Kommissionen der Losverkäufer. Vor der Ausschüttung der Gewinne an die Loskäufer wurden 2019 auch 20 Prozent als Profit einbehalten. Sie machen in der Bilanz der Œuvre 21,8 Millionen Euro aus.
Der Präsident der Œuvre ist ein ehemaliger Direktor der Union des entreprises luxembourgeoises, der Generalsekretär ist Direktor der Handelskammer. Die Nationallotterie muss also eine regressive Steuer sein. Studien und Umfragen in anderen Ländern belegen übereinstimmend, „that a greater proportion of low-income individuals engage in lottery spending“, so „that there is an inverse relationship between socioeconomic position and lottery play“ (Beckert, Lutter, Why the Poor Play the Lottery, in: Sociology, 2012, Bd. 47, H. 6, S. 1 152).
Die sich ungerecht behandelt Fühlenden wollen einmal im Leben an einem Spiel teilnehmen, wo unabhängig von Vermögen, Herkunft und Bildung jeder die gleiche Chance zu haben scheint. Es sind viele Arbeiterinnen und Arbeiter, kleine Angestellten, Arbeitslose, Rentner und Arme. Sie kaufen Lottoscheine, um sich einen Tagtraum lang auszumalen, was sie sich mit dem großen Los kaufen könnten. Dass sie das große Los niemals gewinnen werden, wissen sie, aber glauben es nicht. Sporadische Bagatellgewinne sollen die Kunden bei Laune halten, ohne sie auf ihre Kosten kommen zu lassen. Die Chance, mit vier Treffern und zwei Sternchen bei Euromillions auch nur 1 300 Euro zu gewinnen, liegt um die eins zu 600 000.
Wenn die LSAP im Wahlkampf den Spitzensatz der Lohnsteuer eine Reichensteuer nannte, dann ist die Nationallotterie eine Armensteuer. Aus dem Profit der 21,8 Millionen Euro ihnen vorenthaltener Gewinne müssen die subalternen Klassen den Nationalen Solidaritätsfonds, kommunale Sozialämter und andere Wohlfahrt zugunsten ihresgleichen finanzieren. Sie müssen sogar den Kulturkonsum der Mittel- und Oberschichten bezuschussen. Die Philanthropen und Mäzene verteilen von unten nach oben um.