Tudo isto é Fado, Os Imortais

Arbeitslose Helden

d'Lëtzebuerger Land vom 10.03.2005

Als der vielleicht 30-jährige Brasilianer Leonardo (Danton Mello) aus Rio kommend in Lissabon eintrifft, bringt er einen sehr konkreten Vorsatz mit: Gemeinsam mit seinem Kumpel Amadeu (Angelo Torres) will er im „Mutterland" Portugal einen Einbruch begehen. Und zwar einen möglichst spektakulären. Scheinbar hat der Portugiese Luis Galvao Teles (u.a. Jaime, 1997) an den Ausgangspunkt seines neuen Films Tudo isto é Fado (vom Verleih übersetzt mit Fado Blues) damit nicht nur zwei so genannte Wirtschaftsflüchtlinge, sondern gar zwei latent Kriminelle gestellt, denen es gelang, in die Festung Europa einzudringen. Tatsächlich jedoch ist es ein Gleichnis auf soziale Integration, das dieser raffinierte Film entwi-ckelt. Besagter Einbruch soll erst in zweiter Linie zum großen Geld verhelfen. Denn Leonardo, der in Rio einen nur schlecht gehenden Krimibuchladen unterhielt, wäre gern ein großer Kriminalschriftsteller wie der von ihm so verehrte portugiesische Autor Reis, und so richtet sein ganzes Trachten sich darauf, einen Krimi-Plot zu entwerfen, der Reis nicht nur gefällt, sondern ihn sogar zum Mitmachen reizt. Keine Branche, suggeriert Teles damit, ist so stark demokratisiert wie das Verbrechen: Jeder kann eines begehen. Und so wagt sein Film die These, die perfekte Integration, noch besser: Assimilation von Einwanderern sei deren Anschluss an das subversive Unbewusste ihrer Wahlheimat, und erzählt vom Begehren danach. Je näher Leonardo und Amadeu ihrem Ziel kommen, desto mehr gewinnt die Story an Tempo und entwickelt sich zur veritablen Gaunerkomödie, in der schließlich ein Gemälde, das eine Flasche Milch vor weißem Hintergrund darstellt, aus einer Ausstellung von "Falscher Kunst" in einer der größten Galerien Lissabons geraubt werden soll. Dieser dramaturgische Höhepunkt - der fragen lässt, ob hier nicht buchstäblich nichts gestohlen wird - konzentriert in einem relativ kurzen Zeitabschnitt so viele unerwartete Begebenheiten, komische Dialoge und Slapstickeinlagen, dass er allein den Film schon sehenswert macht. Tudo isto é Fado handelt aber auch vom Weg dorthin und ist als Heldenreise des sensibel und romantisch geschilderten Leonardo angelegt, der bei seiner Suche nach dem Idol Reis, die auch eine Suche nach einer neuen Identität am neuen Ort ist, zunächst der lasziven Lia (Ana Cristina Oliveira) verfällt. Lia behauptet nicht nur, Reis zu kennen und agiert später als Mittelsfrau zu diesem, sondern ist auch nicht frei von Interesse für Leonardos Gefährten Amadeu. Doch für Romantik lässt Luis Galvao Teles eher wenig Raum und erzählt die aufkeimende Liebesgeschichte um Lia und ihre beiden Verehrer auch nicht zu Ende. Er nutzt sie aber zum Transport eines provokanten gesellschaftlichen Befunds, den man im ganzen Film schwerlich übersehen kann: Leidenschaft und Hingabefähigkeit an Menschen und Ideen sind demzufolge bei Immigranten viel eher anzutreffen als bei arrivierten Westeuropäern. Teles verstärkt diesen Eindruck noch, wenn er seinen Film eine deutlich segmentierte Gesellschaft zeigen lässt; der Kontakt zu Lia ist über weite Strecken des Films der einzige, den Teles' brasilianische Helden mit einem portugiesischen Menschen pflegen. Kein Wunder, dass die letzten Bilder des Films frei sind von jedem Krimianklang und stattdessen die Begründung einer portugiesisch- brasilianischen Freundschaft zeigen.Tudo isto é Fado wurde koproduziert von Samsa Film und ist zurzeit in einer portugiesischen Filmreihe im Limpertsberger Utopia-Kino zu sehen. Dort läuft auch Os Imortais (Die Unsterblichen) von Antonio-Pedro Vasconcelos, ebenfalls eine Produktion mit Samsa. Os Imortais ist weniger stilisiert erzählt als der Teles-Film, hat jedoch wie dieser "arbeitslose Helden" als Handlungsträger. Als Thriller greift er einen bislang aus der öffentlichen Debatte in Portugal weitgehend ausgeblendeten Aspekt der jüngeren Geschichte des Landes auf: die Kriege, die die Kolonialmacht 1974 gegen die Befreiungsbewegungen in Angola, Moçambique und Guinea-Bissau führte, ehe die "Nelkenrevolution" das Militärregime in Lissabon zum Rücktritt zwang. Allerdings historisiert Os Imortais nur wenig, erzählt seine Geschichte im Hier und Jetzt und kann angesichts von in Nato- und EU-Armeen immer zahlreicher eingerichteten "Kriseneinsatzkräften" sogar als gegenwartsbezogener Film gelten. Denn bei den "Unsterblichen" handelt es sich um vier Männer, die im Kolonialkrieg einem Spezialkommando angehörten und für die "Lebensgefahr eine Lust" bedeutete. Die nicht von der Hand zu weisende Frage, wie solche Soldaten sich nach ihrer Demobilisierung wohl im Zivilleben zurecht finden mögen, beantwortet Vasconcelos ziemlich undramatisch so: Trinkgelage, Kasinobesuche und exzessiver Sex können für die nötige Zerstreuung und Anregung sorgen. Die Kamera fängt es aus reportierender Distanz ein, wenn sie den vier Männern gemeinsam mit vier Frauen bei einem Ausflug in die Algarve begegnet. Daneben aber sind die "Imortais" verwi-ckelt in die Waffengeschäfte eines dubiosen Anwalts (André Jung) und planen einen Banküberfall. Zum Plot des Films wird die Variation des männerbündnerischen Spruchs, wonach Frauen jede Gruppe kaputt machen würden. Roberto (Joaquim de Almeida), einer der Härtesten der Gruppe, hat neuerdings eine Affäre mit der Französin Madeleine (Emanuelle Seigner) und sie zum Treffen in die Algarve mitgebracht. Doch zwischen beiden haben tiefe Gefühle zu wachsen begonnen, und so bringen Roberto und Madeleine die Riten der Gruppe durcheinander, als es am letzten Abend des Ausflugs zum traditionellen Partnertausch nach Losentscheid kommen soll. Es sind deshalb neben kriminellen nicht zuletzt psychologische Verstrickungen, denen ein Polizeiinspektor nachspürt, der kurz vor der Pensionierung steht. Dass er sich als nicht unbefangen erweist, verleiht Os Imortais Spannung: Er verlor einst seinen Sohn in einem Spezialkommando wie dem der "Unsterblichen" und wird immer mehr vom Ermittler zur Vaterfigur, die in die emotionalen Abgründe seiner Gegenspieler schaut und versucht, zu retten, was zu retten ist, da dies einer Wiederbegegnung mit dem verlorenen Sohn gleicht. Der von Nicolau Breyner virtuos gespielte Inspektor ist eine Kriminalistenfigur irgendwo zwischen Columbo und Maigret: Seine listenreich durchgeführten Recherchen lassen ihn tief blicken, das menschliche Maß seines Vater-Rollenspiels vermag beim erwachsenen Kinozuschauer die Frage aufkommen zu lassen, inwiefern Armeen Mordinstrumente an den Jugendlichen sind, die sich ihnen anverpflichten.

Peter Feist
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