Ech war am Congo

Der weiße Blick

d'Lëtzebuerger Land vom 19.04.2001

Zarte Xylophonmusik begleitet ältere Menschen, die in Zeitlupe Erinnerungsfotos betrachten. In den ausgelaugten Farben und leicht zittrigen Bewegungen alter Schmalfilme schweift die Kamera über afrikanische Flusslandschaften. Weiße Frauen in Sommerröcken posieren im Busch vor schweren Limousinen. Weiße Männer mit Tropenhelmen stolzieren umher. Ordensschwestern und bärtige Missionare marschieren geschäftig durchs Bild. Afrikaner arbeiten auf dem Feld, paradieren in Schuluniformen oder stehen am Rand und staunen. Einmal tragen sie Weiße in einer Sänfte, ein andermal kommt die Kamera nicht von einer jungen Frau mit nackten Brüsten los. Es sei eine schöne Zeit gewesen, meint eine anonyme Stimme am Ende.

Sie wollten sich eine Existenz aufbauen, seien des vom Krieg verwüsteten Europas müde gewesen, erzählen sie. Sie berichten von riesigen Territorien, die sie zu verwalten hatten, von Straßen und Schulen, die sie bauen ließen, von einem hierzulande unbekannten Ausmaß an echter Kameradschaft und von Entbehrungen und Einsamkeit. Aber ihr Umgang mit den Kolonisierten sei immer korrekt gewesen, betonen sie wiederholt.

Sie beschreiben sich als kleine, aber pflichtbewusste Rädchen in dem großen belgischen Kolonialunternehmen, dessen Ende 1960 sie gleichzeitig für unausweichlich und für eine Tragödie halten. Nur der ehemalige Missionar Jacques Steffen hat kritische Distanz gewonnen: "Fir vill Wäisser, d'Situatiou vun de Schwaarze war en non-sujet. Ech maachen hei mäi Goss, ouni si oder mat hinnen oder op d'Käschte vun hinnen, ass egal." (Siehe auch d'Lëtzebuerger Land vom 4. August 2000.)

Der Filmemacher Paul Kieffer hat zusammen mit dem Historiker Marc Thiel einen waghalsigen Versuch unternommen: Mit Amateurfilmen von Kolonisten aus dem Archiv des Centre national de l'audiovisuel (CNA) hat er einen Dokumentarfilm Ech war am Congo... über die Hunderte von Luxemburgern gemacht, die ab Ende des 19. Jahrhunderts als belgische Kolonialbeamte, Offiziere, Geschäftleute, Ingenieure oder Missionare im Kongo lebten. Wobei sich der Film im Wesentlichen auf den kleinen Zeit-raum zwischen dem Ende des zweiten Weltkriegs und dem Sieg der Unabhängigkeitsbewegung konzentriert, auf jene in Belgien einst als die Goldenen bezeichneten 15 Jahre, aus denen das Filmmaterial des CNA stammt.

Waghalsig ist der Versuch, weil Familienfilme gar nicht das Unmögliche versuchen, die Wirklichkeit zu zeigen, wie sie ist, sondern sich auf jene engen Ausschnitte beschränken, wie sie sein sollte. Und weil die Interviewpartner als sich zeitlebens unverstanden Fühlende einen Teil ihrer politisch gewordenen privaten Erinnerungen für sich behalten. Wer will schon sein eigenes Leben öffentlich in Frage stellen, nachdem er oder sie schon während der Kolonialzeit zu Hause als angeblicher Nichtsnutz oder Profiteur unter Rechtfertigungszwang stand? Und vor allem hat sich der einst idyllische öffentliche Blick auf die Kolonialzeit in den Sechzigerjahren vielleicht für immer ins Gegenteil gewandelt.

So muss sich der Film, der auch immer ein Kampf gegen die eigenen Bilder ist, selbst Zwänge auferlegen, alles Gezeigte und Gesagte allgemein und anonym belassen, um es überhaupt veröffentlichen zu dürfen. Der politische und ökonomische Zusammenhang der Kolonie, die militärische Repression, Willkür und Brutalität bleiben im Heart of Darkness begraben.

Kieffer und Thiel versuchen wiederholt gegenzusteuern, indem sie über den Bildern der Kolonisten an den historischen Zusammenhang erinnern (siehe auch Marc Thiel: Ech war am Congo, in Hémecht 2000/4). Und wenn das Bildmaterial dazu fehlt, illustrieren sie die Erwähnung von Revolten dialektisch mit einem unschuldig im Tropenhelm spielenden Luxemburger Kleinkind.

Doch der Film stößt endgültig an seine Grenzen, wenn er den weißen Blick auf den Kongo überwinden müsste. Die Amateurbilder der Kolonisten zeigen die Kongolesen durchgängig als anonyme schwarze Masse, die den weißen Luxemburger Individuen gegenübersteht. Die Interviewpartner bestreiten jeden Rassismus und reden ungebrochen weiter vom paternalistischen Standpunkt aus des überlegenen, guten Weißen. Es ist zu befürchten, dass dieser Blick tiefer auf das Unterbewusste der Zuschauer wirkt, als alle historisch korrekten Kommentare.

 

Ech war am Congo... von Paul Kieffer und Marc Thiel (Samsa Film, 2001, 60 Min.) wird am Montag 23. April um 19 Uhr sowie am Dienstag, 24. um 16.30 Uhr und am Donnerstag 26. April um 20.15 Uhr (auf Französisch) gezeigt und erscheint gleichzeitig als Videokassette.

 

Romain Hilgert
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