„Was kann ich nur tun, damit diese Frauen nicht mehr wiederkommen?“, soll der Vorsitzende einer großen deutschen Bank gestöhnt haben. Die Aktivistinnen von Urgewald nehmen das als Kompliment. Sie wollen weiter stören: Fragen bei Hauptversammlungen, Studien zu Umweltzerstörung, Kampagnen gegen Finanziers der Rüstungsindustrie. Sie beknien Politiker, briefen Journalisten und helfen Sparkassen-Kunden beim Wechsel zu alternativen Geldanlagen.
Bevor Heffa Schücking anfing, hauptberuflich der Finanzbranche auf die Nerven zu gehen, war sie Biologin. Schon während des Studiums hatte sie geärgert, dass „bei uns die gesetzlichen Auflagen für den Umweltschutz immer rigoroser wurden, sich aber kein Mensch darum kümmerte, ob deutsche Konzerne umweltschädigende Projekte im Ausland bauen oder deutsche Banken sie finanzieren“. Schücking gehörte zu den Verfassern eines „Regenwald-Memorandums“, das Städte dazu bewegte, auf Tropenholz zu verzichten.
Sie erkannte, dass Finanzierung „die Achillesferse vieler Vorhaben“ ist: „Ohne Investoren wird kein AKW, kein Staudamm und keine Pipeline gebaut“. Um „die Entscheidungsträger direkt anzugehen“, gründete Schücking 1992 den Verein Urgewald, dessen Geschäfte sie bis heute leitet. Die Mission: „Hinter jeder Streubombenfabrik und jeder Kohlemine steht eine Bank, die sie finanziert. Sie finden Streubomben und Kohleminen nicht gut? Dann sorgen Sie dafür, dass es nicht Ihre Bank ist!“
Für die streitbare Truppe mit Leoparden-Logo arbeiten mittlerweile 17 Frauen und vier Männer. In Berlin hat Urgewald ein kleines Büro. Hauptquartier ist das alte Landgut der Familie Schücking in Sassenberg bei Münster. Beiträge von 1 700 Fördermitgliedern und Spenden gehen auf ein Konto bei der grünen GLS-Bank.
Die Gegner residieren in furchteinflößenden Wolkenkratzern. Trotzdem kann Urgewald eine Reihe von Erfolgen vorweisen: Bulgarien zum Beispiel gab nach dem Rückzug deutscher Investoren das erdbebengefährdete AKW Belene auf, zumindest vorläufig. Die Deutsche Bank beendete die Streubomben-Finanzierung. Der norwegische Pensionsfonds und Versicherungen fingen an, sich aus der Kohle-Industrie zurückzuziehen. Nach eigenen Berechnungen hat Urgewald bisher Divestments von 13 Milliarden US-Dollar angestoßen. Kein Vergleich zu den über 5 000 Milliarden Dollar Börsenwert, die Öl, Gas und Kohle immer noch haben – aber bestimmt ein Beitrag, fossile Brennstoffe zu ächten.
Besonders auf dem Kieker hat Urgewald die multilateralen „Entwicklungsbanken“: In einem Paralleluniversum voller obskurer Abkürzungen hantieren Insider mit Milliarden staatlicher Gelder, ohne dass Politiker groß aufpassen würden, geschweige denn die Steuerzahler. Dabei geht es vor allem um gigantische Infrastruktur-Projekte, etwa Autobahnen, Häfen und Kraftwerke. Der Nutzen ist oft zweifelhaft, das Risiko von Korruption hoch. Kleinbauern, die einem Staudamm im Weg sind, müssen in manchen Ländern froh sein, wenn sie nur vertrieben werden.
Die Europäische Investitionsbank (EIB) vergibt von Luxemburg aus pro Jahr an die 80 Milliarden Euro, vier Mal mehr als die Weltbank in Washington. Zur Reform der EIB hat Urgewald mit Gleichgesinnten die Initiative „Counter Balance“ gegründet. Derzeit wird um die neue „Energy Lending Policy“ gerungen: Im Herbst 2019 sollen Kriterien für künftige Energie-Kredite beschlossen werden. Seit 2013 gab die EIB kein Geld mehr direkt an Kohle-Projekte – aber 3,9 Milliarden Euro an Kohle-Firmen wie PGE, CEZ oder Endesa. Für erneuerbare Energie gab die EIB 18,4 Milliarden Euro aus, vor allem für Off-Shore-Windparks. Von 11,8 Milliarden Euro für fossile Brennstoffe ging das Meiste an Gas-Projekte, besonders die Pipelines TAP und TANAP vom Kaspischen Meer nach Südeuropa. Umweltaktivisten hätten lieber kleine, dezentrale Solardächer und Windräder in Bürgerhand.
Im Juli will der Urgewald-Campaigner Knud
Vöcking nach Luxemburg kommen, allerdings nicht zur EIB, sondern zur Jahresversammlung der AIIB. Die Asian Infrastructure Investment Bank wurde 2015 von China gegründet als Konkurrenz zu Weltbank und Asian Development Bank, die von den USA und Japan dominiert werden. Nun zählt die AIIB bereits 97 Mitgliedsstaaten. Luxemburg ist mit fast 70 Millionen US-Dollar dabei und will sich bei dem Event als „green and smart nation“ präsentieren.
Die AIIB hat schon 8 Milliarden US-Dollar für 39 Projekte vergeben. Von der PR-Agentur Saatchi & Saatchi lässt sie viel über „nachhaltige Infrastruktur“ schreiben; für Kontakte zur westlichen Zivilgesellschaft wurde ein ehemaliger Greenpeace-Angestellter engagiert. Davon unbeeindruckt mäkelt eine neue Studie von Urgewald: Die AIIB wolle Chinas Politikmodell exportieren und „mit besonders geringen Schutzstandards Kunden gewinnen“. Überhaupt sei weltweit eine Erosion von Umweltschutz und Menschenrechten zu beklagen. Trotzdem hat Vöcking einen Traum: „Ich möchte noch erreichen, dass die völlige Immunität der multilateralen Entwicklungsbanken endlich breit infrage gestellt wird.“ Banker vor Gericht? Das würde manchen bestimmt nerven.
Keine Kohle mehr für Kohle?
Die Kohle-Industrie verursacht gut die Hälfte aller Treibhausgas-Emissionen. Klimaschutz-Initiativen wie 350.org fordern schon seit Jahren, den Dreckschleudern das Geld abzugraben. Dazu müsste man allerdings wissen, wer wo investiert. Kohle-Firmen heißen heutzutage schon mal „Sunflower“ oder „Sunlight Energy“. Und wer würde ahnen, dass das japanische Handelshaus Marubeni gerade in neun Ländern neue Kohle-Kraftwerke bauen will?
Die Kohle-Branche ist größer als oft angenommen. Mit BankTrack aus Holland, Re:Common aus Italien und anderen Mitstreitern hat Urgewald dazu eine Datenbank aufgebaut. Die „Global Coal Exit List“ erfasst 775 Konzerne und über 1 100 Töchter und Zulieferer. Sie enthält nicht nur Prozentzahlen, also etwa „Terval SA macht über 90 Prozent ihres Umsatzes mit Kohle“, sondern auch absolute Größen. RWE zum Beispiel, Europas größter Kohle-Konzern, produziert demnach pro Jahr über 91 Millionen Tonnen Kohle und hat Kraftwerke mit einer Kapazität von 18 319 MW.
Weitere Statistiken bietet Urgewald zu den 120 größten Kohle-Entwicklern: In 59 Ländern sind 1 600 neue Kraftwerke mit über 670 000 MW geplant oder bereits im Bau; 225 neue Minen sollen erschlossen werden. In Europa gibt es die meisten Kohle-Projekte in Polen: vier Firmen planen neue Minen, fünf Unternehmen wollen neue Kraftwerke bauen. Um sich zu amortisieren, muss ein KKW gut 40 Jahre laufen.
Von Januar 2016 bis September 2018, also seit dem Pariser Klimaschutz-Abkommen, wurden weltweit über 478 Milliarden US-Dollar in Kohle-Projekte investiert. Die größten Geldgeber sind Mizuho Financial und Mitsubishi UFJ Financial aus Japan. Ein Viertel der Kredite kam von europäischen Banken, vor allem ING, Société Générale und BNP Paribas. Die größten institutionellen Kohle-Investoren sind BlackRock, Vanguard und asiatische Pensionsfonds. Underwriter für Kohle-Wertpapiere sind vor allem chinesische Banken.
Die Datenbanken von Urgewald sind als „praktisches Instrument“ für Investoren gedacht, die aus der Kohle-Finanzierung aussteigen wollen. Genutzt werden sie bisher zum Beispiel von den Versicherungen Axa und Generali. me