Der Erziehungsminister will mehr Dynamik in die Schulen bringen. Dafür hat er neue Arbeitsgruppen ins Leben gerufen. Und jetzt?

Zukunftsmusik

d'Lëtzebuerger Land vom 18.09.2015

Über 80 Projekte und Maßnahmen sei sein Ministerium dabei zu koordinieren, sagte Erziehungsminister Claude Meisch (DP) auf der Pressekonferenz am Montag zur Schoulrentrée. Wer unter www.zukunft.men.lu stöbert, wird mit etwas Glück fündig und kann unter Schlagwörtern wie Diversifizierung, Mehrsprachigkeit, Privatschulen nachlesen, was das Ministerium derzeit zu stemmen versucht.

Aufmerksame Beobachter der Bildungspolitik werden nicht umhinkommen zu schmunzeln: Weniger wegen der 40 000 Euro-PR-Offensive inklusive Werbevideos, in denen der Minister mit ernster Miene zu sanften Gitarrenklängen seinen Gestaltungswillen bekundet, als wären morgen Wahlen. Er wolle keine Strukturdebatten mehr, hatte Meisch im Land-Interview Ende April 2014 gesagt. Jetzt setzt der Minister genau da an: Ob es das geplante Schulentwicklungszentrum ist, das erweiterte Lehrer-Aus- und Weiterbildungsinstitut, ein Verlagshaus für Schulbücher oder ein Kompetenzzentrum für Lehrplanentwicklung. Ob es um vernetzte Programmkommissionen, gestraffte Zulassungsexamen für Lehrer oder um eine neue Orientierungsprozedur geht – mit diesen Initiativen versucht das Ministerium, wichtige Strukturen im Bildungswesen auf-, beziehungsweise umzubauen. Das ist nicht falsch, es ist nur nicht das, was Meischs Partei einst versprochen hatte. Inzwischen scheint in der Aldringer Straße aber die Einschätzung vorzuherrschen, dass wer mehr Professionalität, differenzierten Unterricht und zeitgemäße Schulbücher will, den Rahmen dafür vorgeben muss. Denn dieser existiert oftmals bisher nicht.

Den Start mit der Umbauaktion machte Meisch in seinem Ministerium. Ein vierköpfiges politisches Koordinationsbüro, bestehend aus Script-Mitarbeiterin Liz Kremer, LTB-Lehrer Luc Weis sowie der ehemaligen Land-Journalistin Anne Heniqui, hat die Generalkoordination um Michel Lanners abgelöst. Tragende Beamte sind entweder pensioniert, wechselten zurück an die Schule oder wurden mit anderen Aufgaben betraut. Das Büro um Regierungsberater Lex Folscheid ist die Keimzelle der Bildungspolitik à la Meisch: Hier wird beraten, werden Leitlinien und Aktionspläne entwickelt und Vorentscheidungen gefällt, um das Koalitionsprogramm umzusetzen, kurz: Im Politbüro laufen alle Fäden zusammen. Ausgewählte Projektkoordinatoren sind damit beauftragt, die thematischen Schwerpunkte inhaltlich zu koordinieren, Akteure zusammenzubringen, Ideen zu sammeln und Projekte auszuarbeiten und über ihre Umsetzung zu wachen.

Ähnliches hatte auch Meischs Vorgängerin Mady Delvaux (LSAP) versucht, als sie 2008 ein Steuerungskomitee einsetzte und die Verantwortung statt auf einen Generalkoordinator auf drei Schulternpaare verteilte. Mit mäßigem Erfolg: Während die Reform der Grundschule einigermaßen auf die Schiene gesetzt wurde, war die Berufsausbildung eine Schwergeburt, an deren Fehlern heute noch herumgedoktert wird. Für die Reform der Sekundarstufe wurde ein anspruchsvolles Netzwerk zwischen den Lyzeen ins Leben gerufen, um Einschätzungen und Ideen der Schulen zu bündeln und gemeinsam einen Gesetzentwurf zu entwickeln. Wegen des Widerstands vieler Lehrer und weil im entscheidenden Moment der politische Mut fehlte, wurde das Projekt jedoch zerredet, einige Lehrer, aber auch manche Beamte zogen sich frustriert zurück.

Diesen Fehler will Meisch partout vermeiden und konzentriert sich daher darauf, hinter den Kulissen die Weichen für einen nicht so offensichtlichen, aber gleichwohl bedeutsamen Umbau der Schullandschaft zu stellen. Während im Weiterbildungsinstitut Ifen unter Hochdruck daran gearbeitet wird, das berufsbegleitende Lehrer-Praktikum auf die Beine zu stellen, tüftelt die Uni im Auftrag des Ministeriums an einem Master für die Sekundarstufe herum. Im Ministerium werkelten Chefkoordinatoren und Beamten den Sommer über am Internetauftritt. Im Herbst will Meisch die Schulen besuchen, um sich vor Ort ein Bild davon zu verschaffen, welche Strukturen und Maßnahmen nötig sind, um für mehr Autonomie zu sorgen.

Denn das ist klar: Obwohl der Minister es tunlichst vermeidet, das Wort Sekundarschulreform in den Mund zu nehmen, liegt ein Fokus genau dort. Um Schulen mehr Gestaltungsfreiheit in pädagogischen, curricularen und personellen Fragen zu geben, braucht es Zwischenstrukturen; das geht nicht ohne ein neues Schulgesetz. Zum Teil gibt es sie, ein Verdienst der Delvauxschen Vorarbeiten zur Lycée-Reform: Steuerungskomitees und Koordinatoren gehen den Schulleitungen zur Hand, koordinieren und organisieren mal besser, mal schlechter pädagogische Initiativen. Der Rapport Lycée liefert aktuelle Daten zur Schulbevölkerung und Schülerleistungen, einige haben daraus Aktionspläne entwickelt, ähnlich dem Plan de réussite scolaire in der Grundschule. Die Instrumente sind also da. Nur sind sie nicht verpflichtend, mitunter etwas schwerfällig und werden nicht genügend genutzt.

Spätestens da wird der Minister an ähnliche Grenzen stoßen wie schon seine Vorgängerin: Die Expertise, die es für eine professionelle Schulentwicklung braucht, ist hierzulande ausbaufähig. Zwar gibt es Direktoren, die Erfahrung haben, immer mehr besuchen Fortbildungen zu Organisationsentwicklung, Personalmanagement oder Schulentwicklung. Doch ein verbindliches Anforderungsprofil an die Direk-tionen gibt es nicht. Die Lyzeen sind Riesenapparate mit tausend und mehr Schülern, deren behäbige Struktur Innovation von vornherein erschwert. Es rächt sich nun, dass lieber in große Betonbauten investiert wurde, statt auf kleinere, preiswertere und vor allem flexiblere Schulen zu setzen. Bildungssysteme sind träge Tanker, hat Pisa-Experte Andreas Schleicher einmal gewarnt. Für Luxemburg gilt das erst recht. Für den Sekundarschulbereich existiert bis heute keine Aufsicht, die prüft, ob die Schulen ihren Verpflichtungen nachkommen, ob Projekte, die gestartet werden, zum Erfolg führen. Deshalb ist eine professionelle Steuerung unerlässlich. Erschwerend kommt hinzu – das endlose Gezerre um Schulreformen und der Sparstreit haben das gezeigt –, dass die Demokratie unterentwickelt ist. An manchen Lyzeen entwickelt der Direktor Schulprofil und pädagogische Schwerpunkte gemeinsam mit den Lehrern, an anderen ist das Sache eines eingeweihten Zirkels. Eltern und Schüler werden oft eher pflichtschuldig einbezogen. Wenn überhaupt.

Minister Meisch will mehr Austausch der Schulen untereinander. Mit einem breiteren Schulangebot hofft er, der Vielfalt der Schüler besser begegnen zu können. Lehrer sollen sich über Best practices austauschen, Initiativen die sich bewährt haben, könnten so weiterentwickelt und auf andere Schulen ausgedehnt werden. Gleichzeitig sollen Schulen besser in der Lage sein, inhaltliche Akzente zu setzen und wirksame Projekte zu entwickeln. Damit sich das in besseren Noten auszahlt, braucht es, neben gut ausbgebildeten Lehrern, ein Monitoring, das den Schulen sagt, wie welche Maßnahmen wirken, und das spürbare Folgen für die pädagogische Praxis hat. Wer sich erinnert, wie groß der Widerstand gegen das Proci-Förderprojekt war (und noch ist), weiß, welch weiter Weg hier noch zu gehen ist.

Meisch hat versprochen, die Chancengerechtigkeit in der Bildung zu verbessern und hat die Anstrengungen verdoppelt, um eine Gratis-Kinderbetreuung voranzutreiben. Bleibt zu hoffen, dass er und seine Beamten die Funktionsweise und Wechselwirkungen von Bildungs- und Betreuungssystem richtig einschätzen: Mehr Autonomie und Rechenschaft kann in einem hochselektiven System, wie es das Luxemburger Schulwesen ist, dazu führen, dass Schulen sich ihre Schüler noch sorgfältiger als bisher aussuchen und Kinder aus sozial schwachen Elternhäusern somit weiter das Nachsehen haben.

Eine andere Dynamik sollte der Minister ebenfalls nicht unterschätzen: Meisch beteuert, mit allen Akteuren das Gespräch zu suchen und Expertise in den Schulen aufbauen zu wollen, doch sein Handeln ist widersprüchlich. Denn wenn er ein Gremium mit Vertretern aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft über die herkömmlichen Programmkommissionen setzt, um Lehrpläne näher an Entwicklungen in der Arbeitswelt heranzuführen, oder indem er die Lehrerausbildung von der Universität weg enger ans Ministerium bindet, verstärkt er einen Trend, der unter seiner Vorgängerin begonnen hat: Immer mehr Bildungsinitiativen werden vom Ministerium angeschoben und gesteuert. Das leuchtet da ein, wo Projekte nebeneinander existieren, die einen nichts von der Existenz des anderen wissen. Wenn es darum geht, Ressourcen zu bündeln, oder Strukturen erst auf- oder umzubauen, kann eine zentrale Steuerung zweckmäßig oder sogar geboten sein. Tatsächlich fehlen teilweise fachliche Impulse, stammen Initiativen, wie etwa der verstärkte Austausch zwischen Grundschulen, oft nicht von den Schulen und Lehrern selbst. Oder von einigen wenigen, die dann Gefahr laufen, schnell auszubrennen.

Doch der Grat zwischen sinnvoller Steuerung und übermäßiger Kontrolle, Übersteuerung gar, ist recht schmal. Neue Strukturen ändern Machtverhältnisse und können Gegenreaktionen provozieren. Zudem läuft das Ministerium Gefahr, Kreativität im Keim zu ersticken, Akteure zu vergessen oder aus der Verantwortung zu entlassen – selbst wenn es eigentlich das Gegenteil anstrebt. Bildungschancen sind regional extrem ungleich verteilt. Auch das Ministerium hat einen toten Winkel, wenn es um die Beteiligung der Eltern und Schülern bei der Schulentwicklung geht. Zugleich wächst die Zahl der ministeriell gesteuerten Arbeitsgruppen und Versammlungen. So gesehen, hatten die widerspenstigen Lehrerkomitees das richtige Gespür: Sie ahnen, dass sich mit der zunehmenden Professionalisierung und teilweise Zentralisierung ihr Profil und ihr Einfluss verändern wird. Statt Einzelkämpfertum ist Vernetzung angesagt, statt sich auf sein Fach zurückziehen zu können, sind Abstimmung, Dynamik und Weiterbildung gefragt. Das gefällt nicht jedem und erklärt den anhaltenden Protest der Lehrerkomitees: Sie misstrauen der Entwicklung, zumal sie mit viel betriebswirtschaftlichem Gedöns daherkommt und ihre Agenten die geforderte Professionalität selbst nicht immer einlösen können. Wie aber Riesen-Schulen und eine so komplexe Schülerpopulation ohne eine professionelle Steuerung, mehr Expertise und eine bessere Qualifikation für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerüstet werden können, darauf bleiben die Kritiker eine Antwort schuldig.

Dass das Weiterbildungsinstitut in Walferdingen direkt dem Minister untersteht, hilft, die Aus- und Weiterbildung der Lehrer inhaltlich zu beeinflussen und auf die Bedürfnisse der Schulen abzustimmen, sowie bei Fehlentwicklungen gegenzusteuern. In der Vergangenheit klaffte hier eine Lücke, Uni und Ministerium arbeiteten mehr schlecht als recht zusammen. Künftig wird die Uni Projekte wie den Lehrer-Stage inhaltlich begleiten, wird helfen, diagnostische, didaktische und pädagogische Kompetenz aufzubauen und übernimmt überdies eine zentrale Rolle im geplanten Schulentwicklungsinstitut, für das sechs ausländische Experten eingestellt werden sollen. Zugleich aber muss sie aufpassen, nicht zu einem reinen Zuliefererbetrieb für die Politik zu werden, so wie sich das in einigen Bereichen bereits abzeichnet. Wenn die Wissenschaft hauptsächlich im Auftrag der Regierung arbeitet, wer wird dann das kritische Korrektiv sein, wenn Initiativen aus dem Ministerium bildungswissenschaftlich unsinnig sind oder sich schlicht als falsch erweisen?

Die Bildungswissenschaften in Luxemburg tun sich seit ihrer Geburtsstunde schwer, politisch Flagge zu zeigen. Das liegt auch daran, dass die Mehrheit der Professoren und Dozenten aus dem Ausland kommt und sie das System erst kennenlernen müssen, bevor sie es kritisch analysieren können. Die steigende Abhängigkeit von Drittmitteln dürfte die Position von Querdenkern nicht stärken, zumal die Politik immer weniger Anreize für eine unabhängige Uni setzt, sondern sie eher als Lieferant von Input und Wissen für eigene Projekte zu sehen scheint. Das aber wäre ein fataler Fehler, der die Bildungspolitik nachhaltig negativ prägen könnte: Bei gesellschaftlich brisanten Themen wie etwa der Sprachenpolitik wären kritisches Feedback und (sachlich begründete) Gegenstimmen enorm wichtig. Aber selbst von den Oppositionsparteien kommt bildungspolitisch derzeit so gut wie nichts Eigenes. Mit Mir schwätzen Zukunft hat der Minister seine diesjährige Rentrée scolaire überschrieben. Und was tun die anderen?

Ines Kurschat
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