Am Mittwoch vergangener Woche debattierte das Parlament, ob es den Gesetzentwurf über Maßnahmen zum Kampf gegen die Covid-19-Seuche von der Tagesordnung nehmen sollte. Der Bericht des Gesundheitsausschusses war nicht fertig geworden war.
Für die CSV meldete sich ihr Agrarflügel zu Wort. Er stellt derzeit die Fraktionssprecherin. Die Landwirte waren lange die wichtigste Stütze der konservativen Partei. Ihre Zahl hat heute drastisch abgenommen, doch das ländliche Milieu besteht weiter. Die kleinen Wahlbezirke vergrößern sein politisches Gewicht. Aber es reicht nicht, um Martine Hansen den nötigen Respekt an der Spitze der Fraktion zu verschaffen. Nach außen tritt die ehemalige Schuldirektorin als energische Landfrau aus dem Nordbezirk auf.
Wenig später ergriff auch ein Vertreter des Beamtenflügels aus dem Zentrumsbezirk das Wort. So als müsste er Hansens Einlassungen nachbessern. Die Beamtenschaft spielt eine wichtige Rolle in den Parteien. Denn im Gegensatz zu anderen Berufsgruppen besteht sie durchgehend aus wahlberechtigten Staatsbürgern. Zurückhaltend und staatstragend, ist der ehemalige Studienrat Claude Wiseler einer von ihnen. Der glücklose Spitzendkandidat hat seine politische Laufbahn schon hinter sich. Aber vielleicht träumt er heimlich davon, dass seine Partei ihn einmal als letzte Rettung ruft.
Nach der Debatte zur Tagesordnung behandelte das Parlament am Mittwoch den Gesetzentwurf zur Verlängerung der Arbeitszeit im Gesundheits- und Pflegebereich. Dazu sprach ein Vertreter des Gewerkschaftsflügels der CSV. Der ehemalige LCGB-Funktionär Aly Kaes hielt der LSAP die Arbeitsbedingungen der Krankenpflegerinnen vor. Er macht seine Lokalpolitik im Norden; der Gewerkschaftsflügel ist wichtig im Süden. Seit die LCGB-Führung kein politisches Mandat mehr innehaben darf und der LCGB die Abgeordneten Aly Kaes und Marc Spautz gefeuert hat, ist der Einfluss in der Partei gering. Zudem ist mit den Colling, Rau und Frieden der Neoliberalismus nicht spurlos an der CSV vorbeigegangen.
Deshalb konnteHet Luxemburgse Woord am Samstag über gleich drei Seiten für den Finanzplatzflügel der CSV werben. Die Abgeordneten Laurent Mosar und Gilles Roth drängeln sich, um in seinem Namen zu sprechen. Einstweilen tun sie es gleichzeitig. Zum Glück kandidieren sie in unterschiedlichen Bezirken. Sie bemühen sich, liberaler als die DP zu sein und ihr den Rang der Steuersenkungs- und Maastricht-Partei abzulaufen. Das gefällt auch konservativen Anwälten, Ärzten und Geschäftsleuten. Trotzdem schaffen sie es immer nur in die zweite Reihe der Partei. Damit die klein gehaltenen Leute den Glauben nicht verlieren. Das hatte der große Sozialdemagoge Jean-Claude Jucker begriffen.
Eine Volkspartei spricht möglichst viele unterschiedliche Wähler an. Dazu muss sie deren widersprüchlichen Interessen am Steuer- und Sozialstaat mit Ideologie verkleistern (Vaterlandsliebe, Familiensinn, Chancengleichheit, Gottesfurcht). Gleichzeitig hat der diensttuende Patriarch die Parteiflügel in Schach zu halten. Sonst tragen sie ihre Klassenwidersprüche plötzlich innerhalb der Partei aus. Das Amt des CSV-Patriarchen war von Dupong und Bech über Werner und Santer bis Juncker erblich. Doch Junckers Sturz zerriss die dynastische Kette. Auf einen Thronerben konnte man sich bis heute nicht einigen.
Ersatzweise wurde ein Apparatschik Parteivorsitzender. Weil er kein öffentliches Mandat hat und ein Gehalt verlangte, zählen die Abgeordneten ihn zum Personal. Deshalb gelingt es Frank Engel nicht, die unterschiedlichen Flügel in Schach zu halten. Stattdessen hilft er, die Klassenwidersprüche in die Partei zu tragen, zuletzt mittels der Steuerpolitik. Alle Flügel wollen den nächsten Patriarchen stellen und ihre Anliegen zur Parteilinie machen. Das verwirrt die Wähler und die Leitartikler. Die rätseln im Wochenrhythmus, wofür die CSV steht und wer sie anführt. Findet sich ein besserer Kandidat, wird Frank Engel im Frühling ausgetauscht.