Österreich ist zur Hälfte bewaldet und Heimat führender Holz-Heizkessel-Hersteller. Ist die Alpenrepublik wirklich das Biomasse-Land Europas? Kommt drauf an, wann man die Statistik beginnen lässt: In den 1970-er Jahren sank der Holz-Anteil am Energieverbrauch von 18 auf sieben Prozent, verdoppelte sich dann 1980 nach einer statistischen Neubewertung der Biomasse und stagniert seither bei zwölf Prozent und ist ungefähr so groß wie der Anteil der Wasserkraft. Schaubilder zum Erfolg der österreichischen Energiepolitik starten deshalb gern im Jahr 1975. Ein Drittel der Holzenergie wird von der Holz-, Papier- und Zellstoffindustrie konsumiert, der Rest vor allem von Privathaushalten. Um 1990 erreichte die Zahl der holzbeheizten Hauptwohnsitze mit 616 000 (21 Prozent) ihren vorläufigen Höhepunkt, sank bis 2000 wegen niedriger Ölpreise und boomender Gasfeuerungen auf 483 000 und nimmt seither wieder zu.
Hinter diesen Zahlen verbirgt sich allerdings eine beeindruckende technologische Entwicklung: Alte Holzöfen werden ausgemustert und durch moderne, vollautomatische Anlagen ersetzt. Ihr Wirkungsgrad konnte auf 90 Prozent gesteigert werden. Ihre Emissionen von Stickoxid, Kohlenmonoxid und Staub sind höher als bei Öl- und Gasfeuerungen, der Schadstoffausstoß wurde aber im Vergleich zu früher auf ein Hundertstel verringert. Die Hersteller beteuern auch, dass die neuen Holzkessel nicht mehr als Allesbrenner geeignet sind und nicht mehr zur ökologisch verheerenden Müllverbrennung verwendet werden können.
Am schnellsten vermehren sich die 1996 eingeführten Pellet-Heizungen, von denen es in Österreich mittlerweile 15 000 gibt. Pellets, kleine Presslinge aus Holzstaub oder Hobelspänen, die ähnlich aussehen wie Zigarettenfilter, können komfortabel mit einem Tankwagen geliefert und in den Keller gepumpt werden. Wegen ihrer hohen Energiedichte (zwei Kilogramm Pellets haben die Heizleistung eines Liters Erdöl) benötigen sie wenig Platz. Um mit den Qualitätsstandards der fossilen Energieträger zu konkurrieren, hat der Verband der österreichischen Pellethersteller, die zwölf große Pelletieranlagen betreiben, eigene strenge Industrienormen entwickelt. Mit Rücksicht auf die „extrem ökologisch orientierten Konsumenten“ seien auch umweltbelastende Substanzen strikt verboten; daher benötigten österreichische Pellet-Heizungen, anders als etwa in Dänemark oder Schweden, keine Filter.
Die Niederösterreichische Landwirtschaftskammer zählte 2003 in Österreich 52 658 Hackgut-, Pellet- und Rindenfeuerungen mit einer Gesamtleistung von 3 574 Megawatt. 440 Großanlagen mit einer Leistung von mehr als ein MW trugen dazu 1 096 MW bei. Ihr jährlicher Holz- und Rindenverbrauch wird auf 3,5 Millionen Festmeter geschätzt. Interessant sei, dass sich die Zahl der neu installierten Ölkessel in den letzten drei Jahren mehr als halbiert habe. 2003 wurden 45 900 neue Gas-, 12 800 Öl- und 14 500 Holzheizungen aufgestellt. Nicht erfasst sind dabei Kachelöfen, die in den letzten Jahren ebenfalls stark verbessert wurden und einen Aufschwung erleben.
Dieser Trend wird wohl anhalten. Zur Eröffnung der Klagenfurter Holzmesse im August rechnete die Steirische Landwirtschaftskammer vor, dass Holz in Österreich der billigste Brennstoff sei: Ein Einfamilienhaus (25 kW) ein Jahr lang zu beheizen, koste mit Hackschnitzeln 1 077, mit Holzscheiten 1 420, mit Pellets 1 545, dagegen mit Erdgas 1 856 und mit Heizöl 2 183 Euro. Selbst wenn man die höheren Anschaffungskosten für Holzanlagen berücksichtige, spare man beim Umstieg von Öl auf Hackschnitzel 19, beim Wechsel zu Pellets 15 Prozent. Der „Zukunftsbrennstoff“ Holz biete Preisstabilität, die Nutzung der „riesigen Reserven“ könne problemlos verdoppelt werden.
Besonders stolz ist Österreich auf seine Biomasse-Fern- und Nahwärmeversorgung. Sieht man sich doch dabei mit 843 Heizwerken und einer Leistungskapazität von 1 005 Megawatt als europaweit führend. Die meisten Anlagen werden von Landwirten oder größeren Forstbetrieben, etwa Klöstern, betrieben. Wo die Siedlungsdichte zu gering ist für ein rentables Fernwärmenetz, setzen sich „Holzenergie-Contracting-Modelle“ für kleinere Gebäudegruppen oder einzelne Objekte durch: Landwirte errichten – mit Subventionen von 30 bis 50 Prozent der Investitionskosten – kleine Heizzentralen und verkaufen den Kunden nicht Holz, sondern die veredelte Dienstleistung „Wärme“.
Die Begeisterung für Großanlagen, die auch Strom erzeugen, bekam diesen Sommer einen Dämpfer. Das Institut für wirtschaftliche Ölheizung, eine Einrichtung der Mineralölwirtschaft, jubelte im Juli: „Ende für Biomasse-Fernwärme-Boom in Sicht“. Der Tiroler Energieversorger TIWAG hatte angekündigt, Pläne für zehn neue Fernwärmeprojekte aufzugeben. Die TIWAG betreibt in Lienz, Kufstein und Längenfeld die größten österreichischen Holzkraftwerke. Wegen des niedrigen Wirkungsgrads und der hohen Kosten für Fernwärmeleitungen sei ihre Bilanz katastrophal, rechnete TIWAG-Vorstand Bruno Wallnöfer vor. Die Brennstoffversorgung sei auch ein Problem, da der Bedarf aus den heimischen Bergwäldern bei weitem nicht gedeckt werden könne. Hackschnitzel seien nicht billiger als Öl, sondern verteuerten das Heizen um bis zu 40 Prozent. Ferner stehe der hohe Einspeistarif für „Ökostrom“ auf wackligen Beinen, da das 2002 in Kraft getretene Ökostromgesetz auf heftige Kritik der Konsumenten stoße. Ende August glättete der Tiroler Landeshauptmann wieder etwas die Wogen: Man werde weiter fördern, aber kleinere Anlagen. Statt billiges Holz aus Osteuropa zu importieren, wolle man die Tiroler Hackgutaufbringung verbessern; es sei genug Wald da.
Österreicher, die keine Holzzentrale in der Nachbarschaft wünschen, können auf Hilfen des Instituts für wirtschaftliche Ölheizung zurückgreifen, auf einen „vorformulierten Einspruch mit den wichtigsten Argumenten gegen Fernwärme aus Biomasse“. Oder selbst eine Bürgerinitiative gründen. In Fügen schlossen sich Hoteliers, Gastwirte und Skiliftbetreiber zusammen gegen das Biomassekraftwerk eines Holzindustriellen. Nicht nur eine Zunahme von Krebserkrankungen, sondern der Untergang des Zillertals drohe: Deutsche Reiseveranstalter sind verpflichtet, auf Kraftwerke in Ferienregionen hinzuweisen, ob „bio“ oder nicht. Nun kann die Anlage aber doch gebaut werden: stark verkleinert, mit Feinstaubfilter, mit Blumen verhübscht und mit „Besichtigungsmöglichkeit für Touristen“. Holzenergie ist Ansichtssache.
Martin Ebner
Catégories: Énergie
Édition: 16.09.2004