Fast ein Jahr nachdem die Französischlehrerin Sandra Dessi und die Sozialarbeiterin Enji Ismaili eine Petition zum Verbot von sogenannten Jungfräulichkeitszertifikaten gestartet hatten, wurde das Thema am Mittwochnachmittag im Parlament debattiert. Zwei junge Frauen waren an sie herangetreten, eine Minder- und eine Volljährige, deren Eltern ein solches Zertifikat verlangten. Die jungen Frauen waren damit nicht einverstanden, doch Dessi und Ismaili konnten ihnen nicht weiterhelfen, da es bisher gesetzlich nicht verboten ist.
Im Parlament wurde über Kulturrelativismus, die Macht von Männern über die Körper von Frauen und universelle Werte gesprochen – und darüber, wie ein solches Verbot in der Praxis aussehen könnte. Sandra Dessi erklärte, in Diskussionen über das Thema gebe es in der Schule große Diskrepanzen in den Ansichten zwischen Mädchen und Jungs. Sie versuche in ihrem Unterricht, mehr Akzeptanz für unterschiedliche Ansichten zu fördern. „Wir brauchen Normen, um in unserer Gesellschaft zusammenzuleben“, sagte Gilbert Pregno, Präsident der konsultativen Menschenrechtskommission. Die Sexualität von jungen Frauen und Männern werde immer noch unterschiedlich bewertet, unabhängig vom Kulturkreis, ergänzte Isabelle Schmoetten vom CID Fraen a Gender. Beide unterstützten die Petition.
Seit 2021 sind im Nachbarland Frankreich solche Zertifikate verboten; in Belgien ebenfalls. In Deutschland ist dies nicht der Fall; dort bieten Frauenärzte mitunter sogenannte Hymen-Rekonstruktionen an. Die WHO ebenso wie der Menschenrechtsrat der Vereinigten Nationen sprechen sich für ein Verbot der Zertifikate aus – auch, weil es nicht möglich ist, medizinisch nachzuweisen, dass eine Frau noch keinen Geschlechtsverkehr hatte oder überhaupt sexuell aktiv ist.
In Luxemburg gebe es Frauenärzte, die Jungfräulichkeitszertifikate ausstellen, berichteten Sandra Dessi und Enji Ismaili. Im Koalitionsabkommen der schwarz-blauen Regierung wurde bereits festgehalten, ein Verbot einzuführen. Das bekräftigte am Mittwoch die CSV-Gesundheitsministerin Martine Deprez. Es sei ein No-Go, etwas zu zertifizieren, wofür es wissenschaftlich keine Beweise gebe. Noch in dieser Legislaturperiode soll das Gesetz gestimmt werden, wahrscheinlich inspiriert am französischen Gesetzestext. Wichtig sei dabei, auch die Rekonstruktion zu verbieten.
Weil ein Verbot allein die sozialen Konsequenzen, die auftreten können, wenn die Mädchen und jungen Frauen ein solches Zertifikat nicht mehr produzieren können, nicht behebt, müsse parallel mehr Aufklärungsarbeit geleistet werden, sowohl für Kinder und Jugendliche wie auch für Eltern, waren sich alle Akteure einig. Das Centre national de réference pour la santé affective et sexuelle (Cesas) soll dahingehend eine eigenständige Institution werden, die proaktiv Empfehlungen aussprechen kann, auch für Schulen.