LEITARTIKEL

Neue und alte Politik

d'Lëtzebuerger Land du 24.11.2023

Die Ausgabe 2023 des OECD-Berichts Panorama de la Santé stellt viele Vergleiche an. Unter anderem vergleicht sie die OECD-Staaten in den Radiologie-Analysen mit schweren Apparaten: Computertomografen, IRM-Kernspintomografen und PET-Scanner. Die drei zusammengenommen, wurden 2021 in Luxemburg auf tausend Einwohner 367 Analysen vorgenommen. Nur in den USA waren es mit 369 noch mehr.

Das ist überraschend, wenn man bedenkt, wie laut seit Jahren gerufen wird, Luxemburg habe an solchen Apparaten nicht genug, sie dürften nicht nur in Spitälern stehen, und als die Wahlen nahten: Schluss mit der „sozialistischen Planwirtschaft“. Auch wenn die USA viel größer sind, sehen die Zahlen der OECD so aus, als sei in Luxemburg trotz „Planwirtschaft“ nicht viel weniger erbracht worden als in Amerika, mit seinem völlig marktbasierten System, der Markt nachfragte.

Doch auch hierzulande herrscht Gesundheits-Marktwirtschaft, nur wird es selten gesagt. Von „Planwirtschaft“ erzählte der Ärzteverband. Im Wahlkampf griff die CSV es auf. Tatsächlich aber geht es in Luxemburg ziemlich frei zu. Das wurde 1992 nach vielen Konflikten so abgemacht, in der letzten großen Krankenkassenreform unter der zweiten Santer-Poos-Regierung: Alle Ärztin/innen müssen Kassen-Ärzt/innen sein, genießen aber Verschreibungs- und Therapiefreiheit. Die Krankenversicherten haben freie Arztwahl. Wenn 2021 so viel Radiologie mit schwerem Gerät stattfand – wohlgemerkt: 2021, da gab es die IRM in Potaschberg noch nicht –, dann weil so viel verschrieben wurde und dafür die Infrastruktur existierte. Allein in den Spitälern sogar; die Versorgung mit schwerem Gerät dort zu zentralisieren, war auch eine Abmachung der Neunziger. Es sollte helfen, die Kosten unter Kontrolle zu halten. Denn Luxemburg hat eine Einheitskasse für alle. Die USA, zum Vergleich, haben eine öffentliche Krankenversicherung nur für ab 65-Jährige.

Wer mehr Versorgung anbieten will, muss erklären, wie das bezahlt werden soll. Dem Koalitionsvertrag der neuen Regierung ist anzusehen, dass sie das noch nicht weiß. Die Kapitel „Santé“ und „Sécurité sociale“ sind kurz. Begriffe wie planification und régulation wurden vermieden. Versprochen wird, das Angebot über Land „considérablement“ zu dezentralisieren. Raus aus den Spitälern, rein in Gruppenpraxen, mit Ärztegesellschaften, mit mehr „appareils dits lourds“, als die vorige LSAP-Gesundheitsministerin gewährte. Eine „stratégie cohérente“ für alles soll noch ausgearbeitet werden.

Das sieht zwar seltsam aus, ist aber immerhin ehrlich. Anfang der Woche hat die CNS ihr Budget 2024 verabschiedet. Mit einem geplanten Defizit von 52 Millionen und der Aussicht, dass es anschließend dreistellig wird, selbst wenn das Wachstum wiederkommt. Die CNS gibt einfach viel aus. Der Leistungsumfang 2021 hob Luxemburg an die Spitze im OECD-Vergleich, neben Länder wie Schweden und Norwegen.

Für eng nei Politik (wie ein Slogan der CSV hieß) gibt es eigentlich nur zwei Optionen. Entweder man will weiterhin ein solidarisches System mit universellem Zugang; dann definiert man eine Versorgung für eine Million Patient/innen, frontaliers und ihre Mitversicherten inklusive. Mit starken Spitälern, potentem außerklinischen Sektor und angepasster Finanzierung. Oder man überlässt das dem Markt und öffnet das System weiter, und nimmt hin, dass es weniger solidarisch wird. Die Regierung scheint noch nicht zu wissen, was sie will. Der Koalitionsvertrag sieht vor: „La médecine conventionnée sera maintenue“, demnach die eine Kasse, die alle Dienstleister unter Vertrag hat. Zu den CNS-Finanzen heißt es, gemeinsam mit den Sozialpartnern werde die Regierung die nötigen Entscheidungen treffen „pour maintenir un équilibre des recettes-dépenses tout en épurant éventuellement les missions de prise en charge de la CNS“. Das klingt nach einem dritten Weg: Weitermachen wie bisher, notfalls sparen. Das wäre alte Politik. Mit dem Unterschied, dass im Vorwort zu „Santé“ im Koalitionsvertrag nichts mehr von einem „solidarischen“ System steht und einem „universellen Zugang“ unabhängig vom Einkommen, sondern nun von einem „système de santé innovant, efficace et accessible“ die Rede ist.

Peter Feist
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