Das Bauinventar der Stadt Luxemburg

So geheim wie die TTIP-Papiere

d'Lëtzebuerger Land vom 28.10.2016

In den Jahren 2012 bis 2014 erstellte die luxemburgische Architektin Anne Stauder ein Inventar der schützenswerten Baukulturgüter und Ensembles auf dem Gebiet der Stadt Luxemburg. Diese Erkenntnisse sind in den Entwurf für den neuen Flächennutzungsplan (PAG) der Hauptstadt eingeflossen. Doch während der PAG-Entwurf über Wochen im Rathaus aushing, bleibt das durch Steuergelder finanzierte Inventar geheim. Weder wurde es ausgehängt, noch ist es auf den Internetseiten der Stadt abrufbar.

Auf eine Frage von Marc Angel (LSAP) bejahte die Bürgermeisterin während der vorletzten Sitzung des Gemeinderates zwar, dass sich dessen Mitglieder das Inventar im Service de l’urbanisme ansehen können. Doch das können die Bürger nicht. Sie können also nicht vergleichen, welche Gebäude die Expertin als schützenswert bewertet hatte und welche Gebäude einen solchen Schutzstatus im PAG auch zugesprochen bekommen haben. Das Gemeinderatsmitglied Guy Foetz (déi Lénk) hat nun schriftlich beantragt, das Inventar zu veröffentlichen.
Auf dem Gebiet der Stadt Luxemburg befinden sich seit Jahrzehnten mehrere Schutzzonen, welche in den Bebauungsplänen ausgewiesen waren. „Diese Zonen wurden immer wieder erweitert. Darüber hinaus wurden einige Orte auf die Liste des Weltkulturerbes der Unesco aufgenommen. Insgesamt erstreckten sich diese Zonen zwischen 1991 und 2014 über eine Gesamtfläche von 125 Hektar“, verlautbart die Bürgermeisterin (die Fläche der Stadt umfasst 5 150 Hektar inklusive Wälder).

Insgesamt sind immerhin mehrere Tausend Gebäude kommunal geschützt – jedenfalls von dem, was noch da ist. Seit Jahren verschwinden immer wieder wichtige Objekte, oft beginnt es in Straßenzeilen mit dem am wenigsten schützenswerten Objekt. Ist dann erst einmal das „zusammenhängende Ganze verschwunden“ (Ex-Bürgermeister Paul Helminger), kann auch der Rest zerstört werden. Lydie Polfer spricht in diesen Fällen von „mangelnder Harmonie“. Eine Argumentation, die die Journalistin Anina Valle Thiele einmal als „geschichtslos, ästhetisch ahnungslos und bar jeden Verständnisses für modernere Stadtentwicklungspolitik“ bezeichnet hat.

Umso erstaunlicher, dass der DP-geführte Schöffenrat die Architektin Stauder mit der Erstellung eines Bauinventars beauftragt hatte; andererseits passt die unterbliebene Veröffentlichung der Ergebnisse nun wieder ins Bild. Der Verfasser dieser Zeilen hatte, da Journalist, nach intensiven Bemühungen immerhin die Möglichkeit, das Inventar am 4. Oktober 2016 zwischen 14 und 16 Uhr in einem überwachten Leseraum des Service de l’urbanisme einzusehen: Eine Mitnahme der Studie oder die Anfertigung von Kopien war nicht erlaubt. Der sehr freundliche und hilfsbereite Mitarbeiter des Amtes konnte allerdings keine inhaltlichen Fragen zu dem 207 Seiten starken Papier mit je 14 Spalten im Format A3 beantworten, so dass etwa die Aufschlüsselung von Abkürzungen unmöglich war.

Solche Intransparenz hatten Déi Gréng im März 2016 noch beklagt, als sie im Lesesaal des Außenministeriums die TTip-Dokumente einsehen durften. Die Abgeordneten Viviane Loschetter, Claude Adam und Gérard Anzia stellten sich danach mit schwarzen Sonnenbrillen im Gesicht der Presse (ein gutes Fotomotiv): „Es ist top secret“, bedauerten die drei Parlamentarier. Sie sprachen sich für mehr Transparenz und Dialog mit den Bürgern aus.

Damit verlangen die Grünen etwas von den USA und der EU, was sie selbst im Schöffenrat der Stadt Luxemburg vermissen lassen. Denn weder von der Erstellung des Inventars durch Stauder noch von deren Ergebnissen erfuhr der Bürger. Die Pressestelle der Stadt begründet das so: „Da das Inventar größtenteils aus Tabellen besteht und nicht an graphisches Material gekoppelt ist, macht eine Veröffentlichung wenig Sinn.“ Wenig Sinn macht indes diese Argumentation: Wieso sollten Bürger Tabellen nicht lesen können? Und weshalb braucht es „graphisches Material“ – gemeint sind wohl Fotos –, wenn auf den Listen zu jedem Objekt die vollständige Anschrift angegeben ist?

Der Blick in die Liste zeigt, dass Stauder sehr gewissenhaft gearbeitet hat. In 14 Spalten hat sie zu jedem schützenswerten Gebäude Adresse, Volumen, Baubeschreibung, Grad der Authentizität, derzeitige Nutzung, Baujahr und weitere Informationen eingetragen. Auf diese Weise finden sich Tausende Gebäude in der Studie gelistet; darunter einige wenige, die trotz Schutzwürdigkeit vergessen wurden (wie das Beggener Wichtelhaus in der Rue de Bastogne), darunter aber vor allem zahlreiche Objekte, die von der Expertin als schutzwürdig erkannt, aber nicht mit Schutzstatut in den PAG übernommen wurden.

Hier stellt sich nun die Gretchenfrage, wie es zu dieser Differenz kommt. Eine Anfrage an die Pressestelle der Stadt Luxemburg gibt über Wochen keine Antwort, bis zum Redaktionsschluss dieses Artikels. Es bleiben also Fragen: Wieso wurde die aus fachlich-inhaltlichen Gründen erstellte Liste nicht eins-zu-eins in den PAG übernommen? Welche anderen Kriterien lagen den Entscheidungen zugrunde, einzelnen Gebäude kein Schutzstatut zu gewähren, anderen aber schon? Ist die Liste geheim, damit Bürger genau diese Fragen nicht stellen können, jedenfalls so lange nicht, wie Einsprüche gegen den PAG möglich sind? Und wieso machen die auf Transparenz pochenden Grünen diese Geheimnistuerei überhaupt mit?
Auch der im „grünen“ Verantwortungsbereich erstellte Baumkataster ist nicht für die Öffentlichkeit einsehbar. In der stadteigenen Werbebroschüre ECOlogique (Oktober 2016) wird darauf verwiesen, dass der Kataster nach dem Vorbild der Stadt Hamburg erstellt wurde. Allerdings ist ein wesentlicher Bestandteil des dortigen Baumkatasters, dass er im Internet komplett einsehbar und für die Bürger kommentierbar ist. Durch technische Umstände ist das in Luxemburg – bislang – noch nicht möglich. Die Anbindung an die Basiskarten sowie an die IT- und Web-Infrastruktur der Stadt muss komplett neu geschaffen werden, da der Service des parcs andere Systeme einsetzt. Solche technischen Probleme gibt es beim Inventar der Baukultur aber nicht: Man hätte das Dokument parallel zur Präsentation des Entwurfs für den neuen PAG ins Internet stellen können. Allein, es fehlte der Wille von den Blauen und den Grünen.

Jochen Zenthöfer
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