Die Gemeindefinanzreform stellt die Nordstad nicht so gut wie Esch/Alzette. Was anscheinend viel mit politischer Pädagogik zu tun hat

Weniger gewichtet als Vianden

d'Lëtzebuerger Land vom 23.09.2016

„Geht aus der Gemeindefinanzreform nicht hervor, dass die Nordstad politisch gewollt ist, dann stirbt sie.“ Fürchtet der Ettelbrücker Bürgermeister Jean-Paul Schaaf (CSV). Er muss wissen, wovon er spricht. Er ist das dienstälteste Gemeindeoberhaupt der sechs Nordstad-Mitglieder Bettendorf, Colmar-Berg, Diekirch, Erpeldingen, Ettelbrück und Schieren und war schon dabei, als sie vor zehn Jahren die erste Nordstad-Konvention mit dem Staat abschlossen.

Den Eindruck, die Reform stelle die Nordstad schlechter als andere Gemeinden, kann man tatsächlich haben. Innenminister Dan Kersch (LSAP) will den interkommunalen Finanzausgleich gerechter machen, so dass künftig in keiner Gemeinde die Pro-Kopf-Einnahmen weniger als 2 250 Euro betragen; heute ist das noch in rund jeder zweiten so. Kersch will außerdem die Städte stärken, mehr Geld „dahin lenken, wo die Leute wohnen“, wie er im Juli erklärt hat. Und er möchte an die Politik von Landesplanungsminister François Bausch (Déi Gréng) andocken: Bausch will weiteres Wachstum vor allem in Centres d’attraction et de développement (CDA) ermöglichen. Die Idee steht in dem Leitprogramm zur Landesplanung, das 2003 die damalige Regierung annahm. Obwohl dieses Programm schon 13 Jahre alt ist, gilt es nach wie vor.

15 Entwicklungszentren hält das Leitprogramm fest und gibt ihnen eine Hierarchie. An der Spitze steht die Hauptstadt, am Ende stehen zwölf „regionale“ CDA: Clerf, Wiltz, Vianden, Redingen, Mersch, Echternach, Steinfort, Junglinster, Grevenmacher, Differdingen, Düdelingen und Remich. Dazwischen rangieren zwei „Oberzentren“: zum einen Esch/Alzette, zum anderen „der urbane Bipol Ettelbrück-Diekirch, urbaner Kern der ‚Nordstad‘“, wie das Leitprogramm formuliert.

Daraus könnte man schließen, zumindest Ettelbrück und Diekirch sollten finanziell ähnlich gut gestellt werden wie Esch/Alzette. Zumal auch das berühmt gewordene IVL-Konzept die Nordstad um Ettelbrück und Diekirch als einen dritten besonderen „Entwicklungsraum“ neben der Hauptstadt und der gesamten Südregion beschreibt.

Doch in einem Entwurf für Ausführungsbestimmungen zur Gemeindefinanzreform scheint das anders gesehen zu werden. Während für die Umverteilung der Gemeindefinanzen in Zukunft die lokale Einwohnerzahl ein generell entscheidenderes Kriterium sein soll als heute, soll die der CDA durch Korrekturfaktoren zusätzlich erhöht werden: Die Einwohnerzahl der Hauptstadt würde um 45 Prozent nach oben angepasst, die von Esch/Alzette um 25 Prozent, die der zwölf regionalen CDA um fünf Prozent. Für Ettelbrück und Diekirch dagegen ist nicht mal das vorgesehen, geschweige 25 Prozent Zuschlag.

Ein Artikelkommentar im Verordnungsentwurf erklärt, warum: Die Nordstad-Gemeinden erhielten derzeit Subventionen aus dem Nachhaltigkeits- und Infrastrukturministerium, „die zur Realisierung bestimmter landesplanerischer Ziele beitragen sollen“. Diese Subventionen könnten nicht mit einer vorteilhafteren Finanzierung aus dem neuen Gemeindefinanzausgleich „kumuliert“ werden. Allerdings, so wird versprochen, könne der Anteil aus dem Gemeinde-Finanztopf „überprüft“ werden, sobald die Nordstad-Gemeinden „in ihrer integrierten Zusammenarbeit vorangekommen“ sind.

Dass es nicht erlaubt sein soll, neben mehr Geld aus dem Finanzausgleich auch staatliche Subven-tionen zu beziehen, ist merkwürdig – immerhin erhält sogar die Hauptstadt Subventionen vom Staat. Die Ankündigung, es könnte zulässig sein, falls in der Nordstad stärker kooperiert wird, ist ebenfalls seltsam. Es sei denn, die sechs Gemeinden werden sehr stark subventioniert, oder das Problem ist ein politisches.

Letzteres dürfte wohl der Fall sein. Darauf deutet hin, dass der vom Land um eine Erläuterung gebetene Innenminister nicht reagiert, aber auch, dass nirgendwo in dem Reformpaket erklärt wird, wie die Höhe der Korrekturfaktoren zur Anpassung der Einwohnerzahl zustande kam. Um ein sensibles Konstrukt handelt es sich bei der Kommunalfinanzreform allemal.

Dass die Nordstad besonders hohe Subventionen aus dem Nachhaltigkeitsministerium bezöge, kann man nicht behaupten. Gegenüber dem Land beziffert Staatssekretär Camille Gira (Déi Gréng) sie auf nicht mehr als jene eine Million Euro, die laut dem Update der Konvention zwischen Nordstad und Staat vom April 2014 in den fünf Jahren bis 2018 fließen darf, das sind 200 000 Euro jährlich. Daneben trägt das Ministerium die Kosten für Expertenstudien.

Andererseits investiert der Staat in den nächsten Jahren rund 450 Millionen Euro in Infrastrukturprojekte in der Nordstad. Darunter 140 Millionen für den neuen Ettelbrücker Bahnhof, der zur „multimodalen Plattform“ werden soll, 100 Millionen für den Neubau der Ackerbauschule, 33 Millionen für die Nord-Filiale des Lyzeums für Gesundheitsberufe, 36 Millionen für zwei Busspuren und einen Radweg von der Ettelbrücker Patton-Brücke bis nach Diekirch entlang der N7 oder 15 Millio-nen für eine Zufahrt ins neue interkommunale Gewerbegebiet der Nordstad am Fridhaff in Erpeldingen. Ebenfalls mit Staatshilfe soll in Ettelbrück eine Jugendherberge entstehen sowie ein Domizil für ein Guichet unique, das Sozialdienste regruppieren soll, die bisher in den sechs Gemeinden verstreut sind. Das Nachhaltigkeitsministe-rium hat auch den urbanistischen Entwurf für die Neugestaltung der „Zentralen Achse“ entlang der N7 zwischen Ingeldorf und Diekirch überarbeiten lassen, der von 2005 datiert und „in Vorkrisenzeiten ein wenig zu groß gedacht wurde“, sagt Gira. Der neue Entwurf werde demnächst veröffentlicht.

Dem Ettelbrücker Bürgermeister, der zurzeit Präsident des politischen Begleitkomitees der Nordstad ist, geht es allerdings weniger um Subventionen für Projekte als um eine Besserstellung der Gemeinden in deren nicht zweckgebundenen Einnahmen. Die sechs, sagt er, „erfüllen regionale Aufgaben“, seien also für die Bürger des ganzen Nordens ähnlich da wie Esch für den Süden. Das müsse entsprechend entgolten werden. Andernfalls könnte die „Aufbruchstimmung“ in der Nordstad einbrechen.

So einleuchtend das Argument scheint – hantieren lässt sich damit schwer. Verbindlich festgelegt ist nirgends, was genau ein CDA den Bürgern bieten soll. Im Landesplanungs-Leitprogramm werden für ein Oberzentrum, wie Esch und der „Bipol Ettelbrück/Diekirch“ eines sein sollen, „moderne“ Transportinfrastrukturen, Schulen und medizinische Einrichtungen sowie ein „vielfältiges“ Sport- und Freizeitangebot erwähnt. Dazu scheinen die staatlichen Investitionen in Lyzeen, den Bahnhof oder die Jugendherberge gut zu passen. Das Leitprogramm fabuliert noch, ein Oberzentrum böte „ein gutes Niveau im administrativen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bereich. Wenn sein Ausstattungsgrad auch weniger vollständig und prestigeträchtig ist als der des Hauptzentrums, ermöglicht er dennoch die Befriedigung der gelegentlichen Bedürfnisse einer Bevölkerung von mehreren Zehntausend Einwohnern“. Vielleicht bietet die Nordstad sogar jetzt schon zu viel, zumindest gelegentlich?

Zu den 31 „Verlierern“ der Finanzreform werden die sechs Nordstad-Gemeinden nicht gehören: Gegenüber 2015 sollen ihre Pro-Kopf-Einnahmen um zusammengenommen 38 Prozent wachsen. Gälte für sie ein Korrekturfaktor wie für Esch/Alzette, würden sie sich allerdings fast verdreifachen. Ob das nötig wäre, kann man sich fragen. Die Pro-Kopf-Einnahmen von Esch/Alzette sollen mit der Reform um acht Prozent zunehmen, aber sie hat jetzt schon mehr. Doch leider bringen solche Vergleiche nicht viel, weil nicht nur die Missionen eines CDA nirgends klar beschrieben sind, sondern ähnlich unklar ist, für welche Missionen alle Gemeinden wie viel Geld erhalten sollten. Das macht jede Finanzreform eine außerordentlich politische Übung.

Was mit der „stärkeren Kooperation“ gemeint ist, durch die es für die Nordstad mehr Geld aus dem Finanzausgleich geben könnte, kann Camille Gira erläutern: Die sechs Gemeinden sollen sie ein interkommunales „Mehrzweck-Syndikat“ als „legal funktionsfähige Dauerstruktur“ bilden. Eine Fusion hatten sie schon vor Jahren verworfen. „Besteht das Syndikat, wird man über mehr Geld reden können“, sagt Gira. Das Vorhaben ist in der Konvention mit dem Staat verankert: Das bereits existierende Syndikat, das nur das Gewerbegebiet Fridhaff managt, soll in seinen Statuten erweitert werden und ziemlich umfangreiche sozial-, wirtschafts- und planungspolitische Missionen übernehmen.

Wenn obendrein nächstes Jahr der Umzug der zurzeit noch zwischen Ingeldorf und Diekirch entlang der N7 ansässigen Betriebe nach Fridhaff starten und 2018 abgeschlossen sein soll, könnte danach mit der Neubebauung an der „Zentralen Achse“ begonnen werden. Bis dahin will das Nachhaltigkeitsministerium mit den Gemeinden und mit Hilfe eines Expertenbüros klären, welche Form von „Entwicklungsgesellschaft“ dafür gebildet werden soll. So dass nicht wirklich einzusehen ist, weshalb die Aufbruchsstimmung in der Nordstad ausgerechnet in einer Zeit einbrechen soll, da vieles, woran lange geplant und worüber mit Grundstücksbesitzern lange verhandelt wurde, immer konkreter wird.

Aber weil, wie man es auch immer dreht, beim gegenwärtigen Stand der Dinge die Nordstad nicht so gut gestellt werden soll wie Esch und arithmetisch nicht einmal so stark gewichtet werden soll wie Vianden oder Junglinster, könnte es darüber eine Auseinandersetzung mit der CSV geben: Der Abgeordnete Marco Schank, bis 2013 als delegierter Nachhaltigkeitsminister zuständig für das Nordstad-Projekt, fürchtet in einer parlamentarischen Anfrage an den Innen- und den Nachhaltigkeitsminister Ähnliches wie Jean-Paul Schaaf: Werde die Nordstad als CDA nicht finanziell besser gestellt, drohten die „jahrelangen Anstrengungen in der Landesplanung zunichte gemacht“ zu werden. Schank will Aufklärung über die Korrekturfaktoren und möchte wissen, ob die Regierung zur Nordstad steht und welche „Vision“ sie für sie hat.

Vielleicht reicht diese Vision nicht viel weiter als die der vorigen Regierung, denn das Mehrzweck-Syndikat galt schon unter Marco Schank als unabdingbare Voraussetzung für mehr Geld. Seine eigene Rolle als Minister hatte Schank vor vier Jahren gegenüber dem Land in der „Begleitung“ der sechs Gemeinden, im Geben von „Ideen“, im „Suchen nach Lösungen, falls das gewünscht ist“ und in der „Konfliktvermittlung“ gesehen (d’Land, 10.08.2012). Damals waren die sechs Gemeinden sich noch nicht einig über das Mehrzweck-Syndikat, was heute anscheinend anders ist. Damals wie heute konnten die Nordstad-Gemeinden vor allem an sich selber scheitern. So gesehen, ist eine mit Geld verknüpfte Pädgagogik ihnen gegenüber gar nicht unangebracht.

Peter Feist
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