Theater

Mythos Mozart

d'Lëtzebuerger Land vom 27.11.2020

In Amadeus, basierend auf dem Stück von Peter Shaffer,
nähert sich das Künstlerkollektiv ILL dem Mythos Mozart
über seinen Erzfeind Salieri an

Es ist vorerst die letzte Europa-Premiere, bevor die Theaterhäuser wieder schließen müssen. Doch statt in Larmoyanz zu verfallen, feiert das Kollektiv Independent Little Lies (ILL) sein 25-jähriges Bestehen und mit seiner Amadeus-Inszenierung das Theater. Für das Regie-Duo Jacques Schiltz/Claire Wagener stand anfangs die Überlegung im Raum, Amadeus als „trashige Satire über den Kulturbetrieb“ anzulegen. Doch im Zuge der Pandemie wandelte sich ihr Vorhaben. Als die Theater schlossen, erschien eine Satire deplatziert. Stattdessen kamen grundsätzliche Fragen auf, etwa: „Wie sollte man die Geschichte Mozarts, der ja in der öffentlichen Wahrnehmung und seit jeher ein Archetyp des freien Künstlers darstellt, in unserer Zeit erzählen?“

Es ist ein ernsthafter Zugang geworden, der den Schwerpunkt auf die Musik legt. Wagener und Schiltz greifen schon beim Einstieg auf für sie charakteristische Mittel zurück: In einer eingeblendeten schwarz-weißen Video-Installation (Anne Schiltz) sinniert Elsa Rauchs über Todesursachen des berühmten Komponisten: eine Flut potenzieller Krankheiten. Hat Salieri Mozart umgebracht, oder sind dies nur Kaffeehausgerüchte? Verdient die Mordtheorie doch einen anderen Blick?

Das Bühnenbild (Opderschmelz) wirkt wie ein Wohnzimmer, in dem die Zeit stehen geblieben ist, verstaubt und mondän zugleich: alte Lampenschirme mit schummrigem Licht, flauschige Sessel, Klaviere. Im Wien des 18. Jahrhunderts sitzt Marc Baum als betagter Salieri in einen Sessel versunken und monologisiert. In der Rahmenhandlung blickt Salieri, einst Wiener Hofkomponist, krank und in Vergessenheit geraten, auf seine Auseinandersetzungen mit seinem Rivalen Mozart zurück. Er deutet an, ihn vergiftet zu haben, um seinen Namen für alle Zeiten mit dem des Musikgenies zu verbinden.

Shaffer analysiert in seinem erfolgreichsten Stück das gegensätzliche Paar mit psychologischem Blick und Musikbeispielen, wobei dem „Durchschnittsmenschen“ Salieri eine zentrale Rolle zufällt. Für die Verfilmung (1984 durch Milosz Forman) änderte Shaffer den Schluss. Im Stück bleibt unklar, ob Salieri Mozart vergiftete, auf der Leinwand ist er eindeutig der Täter. Salieri, der sich seiner eigenen Mittelmäßigkeit bewusst ist, gelangt durch geschickte Manöver und die Gunst des Kaisers zu einer einflussreichen Stellung. Es gelingt ihm sukzessive, die Leistungen Mozarts herunterzuspielen... Am Ende jedoch blickt er frustriert zurück: „Mozart starb und ich blieb am Leben – 32 Jahre lang sah ich meinem Untergang zu. Doch Mozarts Musik blieb.“

Die Inszenierung versucht eine mosaikartige Annäherung, wer war dieser Mozart, ein Scharlatan oder ein Genie? Schnell wird im Zusammenspiel der Schauspieler klar: alles ist Intrige, die Welt ist ein Schachspiel. Salieri wird wie eine zweiköpfige Hydra von zwei Schauspielern gespielt. Den jungen Salieri verkörpert Max Thommes, den Alten Marc Baum.

Die 100-minütige Inszenierung ist nicht frei von Längen, doch sinnlich-verspielt – immer wieder werden Fragmente und Melodien aus verschiedenen Opern und berühmter Musikstücke angespielt. Sie lebt vom Schauspiel und bewegt durch starke Choreinlagen (Musikalische Leitung: Jean Bermes). Mozart selbst wird durch eine tänzelnde Anouk Wagener verkörpert. Keck springt sie über die Bühne, getrieben von ständig neuen Ideen. Im Zusammenspiel mit Rosalie Maes verschmilzt das lesbische Paar zu komplizenhaften Bohemiens. Frau Mozart wird sich nicht scheuen für ihren Wolferl am Hof zur Bittstellerin zu werden: „Sieben Monate in dieser Stadt und noch kein Posten!“, lamentiert Mozart. „Ich weiß was los ist, Wien ist in der Hand von Ausländern“. Der Figaro wird dennoch aufgeführt und... findet Anklang!

„Man sollte vermeiden, dass Musik nach Musik klingt“, raunt Max Thommes in der Rolle des jungen Salieri wie ein heiser krächzender Papagei. Da hatten ihm die ersten Stücke seines Rivalen bereits Ehrfurcht eingeflößt. Herrlich gibt Dominik Raneburger den blasierten Monarchen mit Wiener Dialekt. „Kaiser Knauserich“ wird dieser hinter vorgehaltener Hand genannt, fehlt ihm doch das rechte Verständnis für den Wert von Musik. Die Bühne ist oft unübersichtlich wie bei einer echten Oper, die Handlung zerfasert streckenweise etwas und wirkt fragmentiert. Bekannte Melodien verschmelzen gegen Ende zu einer Kakophonie schräger Klänge. Zum Schluss steht ein geläuterter Salieri, dessen Endmonolog ähnlich langatmig ausfällt wie der Einstieg. Und doch bleibt die Freude am Spiel und der Musik zurück.

Anina Valle Thiele
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