Seit Monica Vitti habe ich nicht mehr so ein Antlitz gesehen. Eine Schauspielerin mit einem solchen Antlitz. Das Antlitz der Monica Vitti, ein marmornes, beinahe ohne jede menschliche Regung, schon gar nicht Erregung, in das weite, weiße Land, in das No-Man’s-Land dieses Gesichts konnte man alles projektieren. Sie brauchte nur da zu sein mit diesem fernen Gesicht, und der Film war voller Rätsel, also gut.
Auch das Gesicht von Vicky Krieps hat diese Weite und rätselhafte Klarheit, aber anders als bei Monica Vitti ist es ein menschliches Gesicht. Es ist voller Emotion, es ist ein bewegtes Gesicht. Es ist ein großartiges Gesicht.
Bei Vicky Krieps ist alles im Gesicht. Alles spielt sich da ab, spiegelt sich da. Wie bei den großen französischen Schauspielerinnen, z.B. Huppert, die mit sparsamster Mimik so viel andeuten. Deren Mikro-Mimik so bedeutsam ist. Es ist fähig, die kleinsten, feinsten, widersprüchlichsten Empfindungen auszudrücken. Ein fl-irrendes Lächeln. Über das Gesicht huschende Schatten, Verfinsterungen, während zugleich ein Lachen ausbricht, es in der Tiefe tobt. Schroffheit und größte Zärtlichkeit in ungezähmtem Mix. Die Seele ist nackt in diesem nackten Gesicht.
Die Kaiserin beim Besuch eines Lazaretts, einer Irrenanstalt, ich habe nie in einem Film ein Gesicht gesehen, das Mit-Leid so beredt ausdrückt. Die heilig irre Hingabe mit der sie sich den Allerelendesten zuwendet, sich im Lazarett nonchalant zu einem Beinamputierten legt um mit ihm eine Zigarette zu rauchen. An diesen Orten des Leidens, bei Menschen, die allein schon ihr Da-Sein aus allen Konventionen rauswarf, scheint sie mehr bei sich zu sein als in Schönbrunn.
Abgesehen von den unvermeidbaren historischen Bildungsballastversatzstücken weiß ich nicht viel von und über Sisi, als Wien-Insassin werde ich ohnehin von ihr verfolgt. In der zunehmend verkitschten Innenstadt verfolgt mich ihr Porträt wie das ihres backenbärtigen Gemahls bis aufs Klo oder gar ins Klo der Kaffeehäuser. Da entwickelt man irgendwann eine gesunde Resistenz und verspürt wenig Lust auf den den Tourist*innen verhökerten Sisi-Kult, man ist schon Sisi-immun. Wenn ich Touristin spielte, kaufte ich scheußlichen Sisi-Kaffee und scheußlichen Sisi-Veilchenkonfekt, ein Fake jener Zuckerln die die Kaiserin im Film an die Elenden verteilte.
Ich bin aber überzeugt, Vicky Krieps kennt Sisi, weiß Sisi. Sie ist in beinahe schmerzhafter Empathie dem Pathos dieser Figur auf der Spur, sie spürt Sisi. Das Düstere, Schwarze, wie sie in einem Interview sagt. Dann schenkt sie ihr die Freiheit des Alberns und des Übermuts.
Natürlich ist diese Frau, die mit sechszehn den österreichischen Thronfolger heiratete und von einem bayrischen Landsitz in eines der Machtzentren Europas katapultiert wurde, nicht nur eine edle Samariterin, sondern ego-zentrisch bis zum Exzess, eine Narzisstin, die besessen um sich selber kreist, unberechenbar, launisch, terroristisch wie eine Dreijährige und Mutter höchstens nebenbei. Die im Korsett, in der Corsage des eingeschnürten Lebens um Freiheit ringt und dabei wild um sich schlägt.
Marie Kreutzers kongeniale Regie findet in einer gedämpft müden Atmosphäre statt, Schlösser und Landsitze wirken wie seit langem verlassen. Als würden nur noch Gespenster herrschen. Die Erschöpfung der Monarchie lässt sich schon ahnen, in groteskem Gegensatz dazu die Lakaien die goldene Türknaufe herunterdrücken und der Kaiserin subtil herablassend ihr einsames Mahl servieren.
Vielleicht habe ich durch diesen Film Sisi entdeckt, eine Frau, deren Bild viel zu lange verdeckt, versteckt, erstickt war. Unter Kitsch und Klischees, unter dem Grotesken, das den Mythos und die Tourismusindustrie füttert. All dem, was ihr Bild erschlug. Verstellte und entstellte. Dieser Film gibt Sisi eine Chance.
Ich werde ihn noch einmal sehen, mindestens, vielleicht wird er, trotz einiger Längen zum Schluss, einer der Filme, die zu mir gehören werden. Wie Der Tod in Venedig von Visconti, wie Hiroshima mon Amour von Duras oder der Letzte Tango mit Marlon Brando.