Die Ampeln sind rot und grün und wieder rot, die Autos fließen vorbei, die Vierbeiner*innen mit ihren Zweibeiner*innen ziehen vorbei, die Dame mit dem Rollator, der Herr mit dem Rollator, die vor sich hin gestikulierenden Verkabelten, die Kinderwagen mit von zierlichen Müttern geschobenen Riesenkleinkindern, die elektrisch rollenden Statuen. Die Straßenbahn, noch eine, noch eine. Alles fließt vorbei, alles geht vorbei.
Alle sind auf der Überholspur, haben etwas vor, wollen etwas erreichen. Sie haben Pläne, die werden in die Tat umgesetzt, vermutlich. Vielleicht wollen sie sich auch ergehen beim Gehen, Muße statt Muss, welch ein wunderschöner Giebel, schau, diese Wolkenformation!
Schau, Wolke, sagt Vorfahr*in zu Nachfahr*in. Menschlein zeigt vier Finger neuerdings, und Wolke hatte er schon. Wolke ist schön, aber was für Omis, Elternteile und Ähnliche, in ihrem verzweifelten Versuch Erhebendes auszumachen. Etwas über den Mühen der Ebene. Die ist gerade endlos. Schön, sagt Menschlein gnädig und widmet sich wieder seinem Spezialgebiet. Seinem Forschungsgegenstand, also allem was fleucht und kreucht, was kriecht und krabbelt und macht, dass es kribbelt, allem was sticht oder beißt oder einfach nur tumb seines Weges zuckelt auf übertrieben viel Beinen. Was Pünktchen hat oder schillert oder fett schwarz lackiert ist wie aus dem ägyptischen Todesgottkatalog.
Schwerpunkt Käferkunde. Wieso wird überall den Insekten nachgetrauert? Diese Trauernden sind wohl nie mit Nachwuchs unterwegs, der zweifellos über Lupenaugen verfügt und auch unsere diskretesten Mitgeschöpfe beim Dasein ertappt. Dieser Forschungsgegenstand ist allgegenwärtig, er zuckelt die Hausmauern hoch, von unergründlicher Strebsamkeit, dauernd im Stress. Wie die Passant*innen auf dem Gehsteig. Er unternimmt Kamikazetrips auf dem Gehweg. Er hat Beine und Flügel und Fühler und Hörner und Greifzangen und Alienaugen oder gar keine oder keine mehr, er ist Wesen mit Behinderung, auch multiplen, extrem divers, in allen möglichen Stadien der Existenz oder Exexistenz. Diese Mini-Mumie, wow, und diese einsame Ameise, wo ist ihre Mami? Der nur noch Siebenbeinige, er hat sicher der Oma nicht gehorcht!
Das Observatorium ist die Straße, sie ist Labor, Intensivstation und zuständig für posthume Rituale. So etwas erfordert logischerweise Zeit. Die wird dehnbar wie Kaugummi, Zeit und Raum dehnen sich aus, bei Assistentin stellt sich allmählich ein Trance- Zustand ein, eine Betäubung, Siddharta neben dem Verkehrsstrom, ein radikales Hier-Sein, wahrscheinlich Satori. Dieser perfekt gedrechselte Hundehaufen, dieser sich mit dem Asphalt vereinigende Kaugummi, wer braucht noch eine Kunstinstallation?
Wer braucht überhaupt noch etwas, wie schnöde hechelhetzen doch diese Passant*innen vorbei, die aus irgendeinem lächerlichen rätselhaften Grund die Forschenden stören? Wer braucht noch eine Safari mit den üblichen touristischen Zutaten, mit so mainstream Geschöpfen wie Löwen und Büffelinnen? Was ist das gegen eine Käfersafari, mit Millionen unbekannter Kriechobjekte (UKOs), wo die dramatisch unkompetente Beisteherin immer öfter passen muss. Den schämgenier kenn ich leider nicht persönlich! Wie die heißt, weiß ich leider nicht. Noch muss sie nicht guggeln, sondern darf sich der Anschauung hingeben.
Was ist das gegen Action-Urlaub, gegen Abenteuertrips? Hier findet das Leben statt, das Überleben, die Arbeiterinnenklasse ist unterwegs und Faulpelze, die sich vom Proletariat schleppen lassen. Verirrte Null- Checker*innen, die trunken zwischen Bierdosen und nicht näher definierbaren Substanzen herumtorkeln. Lahme und Sieche, panische Kids und arthritische Omis. Liebe. Zwei Feuerkäfer, die nur noch einer sind. Action pur.
Blutige Federn, ein Hübscher auf der Schuhsohle. Eine geköpfte Taube, eine Blutfreske, die Innereien kleben auf dem Pflaster, Myriaden an kleinen Brüdern und Schwestern delektieren sich. Jetzt wird‘ s ernst. Eingeschlafen geht nicht mehr. Es ist alles da. Leben und Tod. Das profane Dazwischen. Die großen Gewühle. Das ganze Welttheater zu unseren Füßen. Gratis. Was verpasst ihr nur alle! Ihr Vorbeigeher*innen!