Die Plattform OnlyFans verbindet das Konzept sozialer Medien mit erotischen Inhalten und zieht damit insbesondere junge Content-Creators an. Zwei Luxemburgerinnen erzählen von ihren Erfahrungen

„Däin eegene Chef“

„ Déi Gaus“ posiert,  mit Blumen bedeckt
Foto: David Kavaler
d'Lëtzebuerger Land vom 21.02.2025

Unter dem Nutzernamen „Déi Gaus“ ist eine 22-jährige luxemburgische Studentin auf der Plattform OnlyFans aktiv. Sie posiert auf ihren Bildern im Bikini oder in Unterwäsche, ohne ihr Gesicht zu zeigen. Die Plattform liefert ihr seit vier Jahren ihr Haupteinkommen. „Anfangs habe ich damit meine Reisen finanziert – ich habe nach meiner Première ein Gap Year gemacht. Es hat sich nicht richtig angefühlt, Geld von meinen Eltern dafür zu nehmen“, erklärt sie im Gespräch mit dem Land. „Momentan benutze ich das Geld auch für mein Studium. Ich studiere an einer Berliner Privatuni.“ Die Entscheidung, auf OnlyFans zu sein, war aber „keine rein finanzielle“. „Déi Gaus“ habe es „einfach ausprobieren wollen“. „Ich bin eine sexuell ziemlich offene Person und hatte viele sexy Fotos von mir, die ich nicht in den sozialen Medien teilen konnte. Ich dachte mir: Warum nicht? Auf diese Weise konnte ich mit den Bildern etwas verdienen“, erläutert sie.

Julia, 23 Jahre alt, ist seit Juni 2023 auf OnlyFans unterwegs. Auch sie verdient ihr Haupteinkommen durch die Plattform, während sie auf der Suche nach einer Arbeit ist. Ihren Content beschreibt die junge Frau als „ästhetische Fotos und Videos“. Dabei betont sie, sie würde „keinen pornografischen Content“ verkaufen. „Ich zeige meinen Körper als Kunst“, erklärt sie im Gespräch mit dem Land. Ähnlich wie „Déi Gaus“ hat Julia sich nicht nur aus Geldgründen für OnlyFans entschieden. „Ich fühle mich wohl in meinem Körper und hatte auch schon vorher kein Problem damit, mich zu zeigen. Klar geht es darum, Geld zu verdienen, aber ich habe nicht aus Geldnot damit angefangen. Ich sehe es eher als eine Art Nebenjob, um etwas nebenbei zu verdienen.“

Die 2016 in Großbritannien als Familienunternehmen gegründete Plattform sollte ursprünglich das Konzept sozialer Medien aufgreifen und mit einer Paywall verbinden, also einer Funktion, die gegen Bezahlung Zugriff auf die Profile der Content-Schaffenden gibt. Tim Stokley, der Gründer der Plattform, wollte den Creatorn die Möglichkeit geben, ihre Inhalte zu Geld zu machen und dabei eine engere Bindung zu ihrer Community aufzubauen. Durch die Paywall soll ein Gefühl von Exklusivität und Nähe konstruiert werden. Nach ausbleibendem Erfolg wurden 2017 die Richtlinien der Plattform liberalisiert und das Zirkulieren von nicht-jugendfreien und sexuellen Inhalten zugelassen, was die Grundlage für das heutige OnlyFans geschaffen hat. Die Plattform hat sich in den letzten acht Jahren zu einer der größten und bekanntesten für erotischen und pornografischen Content entwickelt.

OnlyFans basiert auf dem Plattformkapitalismus: Die Plattform übernimmt die Rolle des Mittelmannes, der Angebot und Nachfrage zusammenführt und dabei die Kontrolle über Güter und wirtschaftliche Prozesse innehat. Im Fall von OnlyFans werden die Produzenten und deren Firmen, die bisher die Produktion erotischer oder pornografischer Inhalte kontrollierten, durch die Plattform ersetzt. Dieses Wirtschaftsphänomen wird auch „Uberisierung“ genannt. Ein solches ökonomisches Modell schafft mehr Autonomie bei der Produktion von Content, da die Creator ihre Inhalte selbst verwalten können. Gleichzeitig besteht aber ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Nutzern und Plattform, da diese Kontrolle über Rahmenbedingungen wie Richtlinien und Algorithmen innehat.

So richtig bekannt wurde die Plattform 2020 – parallel zu den Infektionszahlen stiegen auch die Nutzerzahlen auf OnlyFans während der Covid-Pandemie stark an. Von August 2019 bis Mai 2020 gewann OnlyFans ungefähr 23 Millionen Nutzer/innen dazu. Während des ersten Lockdowns, der in vielen westlichen Ländern mehrere Wochen dauerte, wurden erotische Online-Angebote immer beliebter. Für viele Sexarbeiter/innen war die Plattform eine Möglichkeit, die durch die Pandemie verursachten Verluste zu kompensieren. Gleichzeitig machte sich OnlyFans einen Namen im Universum der Popkultur: Stars wie die Rapperin Cardi B oder die Disney-Schauspielerin Bella Thorne erstellten Profile und bewarben diese auf Instagram oder Twitter. Sogar Beyoncé singt im Remix des Lieds „Savage“ mit der Rapperin Megan Thee Stallion davon, sich ein OnlyFans-Profil erstellen zu wollen. Seit 2020 ist die Plattform weitergewachsen: Im Jahr 2023 konnten Statista zufolge 305 Millionen registrierte Nutzer gezählt werden, darunter rund 4,1 Millionen Creator.

„Auf OnlyFans bist du dein eigener Chef. Du kannst deine eigenen Regeln, Grenzen und Preise bestimmen“, erklärt „Déi Gaus“. Deswegen variieren auch die Inhalte sowie die Preise stark von Creator zu Creator: Manche zeigen sich ausschließlich im Bikini und ohne Gesicht, andere veröffentlichen pornografischen Content. Um sich das Profil eines Creators ansehen oder diesen kontaktieren zu können, muss ein monatliches Abonnement abgeschlossen werden. Dadurch hat man Zugriff auf eine gewisse Auswahl von Bildern oder Videos, die der Inhaber des Profils hochlädt. Im Rahmen des privaten Chats, der eine gewisse Intimität herstellt, kann Exklusiv-Content angefragt, mit dem Creator geschrieben oder können Wünsche geäußert werden. Die Plattform basiert auf dem Pay-Per-View-Modell: Jedes Bild oder Video, das im Privatchat geteilt wird, wird einzeln bezahlt. Im Prinzip kostet ein monatliches Abo zwischen fünf und 20 Euro, die Preise für exklusive Inhalte variieren je nach Dienstleistung. 20 Prozent der Verdienste werden an die Plattform abgetreten. Trinkgelder fließen direkt in die Taschen der Creator.

Bemerkenswert ist, dass die Plattform insbesondere junge Menschen anzieht. Keine Altersgruppe ist so gut vertreten wie die 18- bis 24-Jährigen – diese machen Statista zufolge 47 Prozent der Content-Creator aus, die im Jahr 2023 aktiv waren. Faktoren wie der Hype um die Plattform innerhalb der Popszene und der geringe Aufwand für erhebliche Umsätze machen die Plattform attraktiv. Das Wirtschaftsmodell von OnlyFans sowie die Berichterstattung von Medien wie der Bild-Zeitung oder Promiflash, die sich ausschließlich mit den Verdiensten von Stars beschäftigen, haben die Vorstellung konstruiert, dass es einfach sei, durch OnlyFans große Beträge in kurzer Zeit zu verdienen. Der monatliche Verdienst variiert jedoch stark von Creator zu Creator, was es erschwert, sich ein realistisches Bild der Umsätze zu machen. Klar ist, dass die Umsätze berühmter Persönlichkeiten nicht repräsentativ für den Großteil der Creator sind. Ungefähr ein Prozent aller Creator verdient 33 Prozent des gesamten Umsatzes, der auf der Plattform generiert wird.

„Man muss differenzieren, was viel Geld ist“, räumt „Déi Gaus“ ein. „Als ich noch aktiver war, habe ich ungefähr 4 500 Euro pro Monat verdient. Für mich ist das für zwei Stunden Arbeit pro Woche sehr viel Geld. Für Stars ist das aber nicht viel“, erklärt sie. Die junge Content-Creatorin weist auch darauf hin, dass „es trotzdem schwer ist, sich das aufzubauen. OnlyFans hat keinen Algorithmus wie Instagram, du musst also auf anderen Plattformen Werbung machen, um Leute davon zu überzeugen, auf OnlyFans zu gehen und dein Profil zu abonnieren.“ Auch Julia sieht die Plattform als „einfache Geldquelle ohne großen Aufwand“. Wie viel man verdient, hänge aber viel damit zusammen, „wéi vill een sech engagéiert“, merkt sie an.

Die Illusion, dass OnlyFans totale Autonomie bietet und dadurch sexuelle sowie finanzielle Emanzipation ermöglicht, stößt sich an der Realität des kapitalistischen Wirtschaftskonzepts, das der Plattform zugrunde liegt. Auch stellt sich die alte Frage, ob die Vermarktung des weiblichen Körpers selbstbestimmt und feministisch sein kann oder zur Reproduktion von geschlechterbasierten Stereotypen und der Aufrechterhaltung von sexistischen und patriarchalen Strukturen beiträgt. Im Gespräch mit dem Land erzählt „Déi Gaus“: „Als ich damit angefangen habe, dachte ich, dass das, was ich mache, sehr feministisch und selbstbestimmt ist. Mittlerweile bin ich mir nicht mehr sicher. Ich setze mich viel mit dieser Frage auseinander, da ich selbst sehr feministisch bin. Ich tue mich schwer damit. Einerseits bist du dein eigener Chef und entscheidest, was du machst. Niemand zwingt dich, diese Bilder zu machen. Andererseits sexualisierst du dich, damit Männer dir Geld dafür geben“, erklärt sie. „Das Konzept von OnlyFans selbst ist nicht feministisch. Schlussendlich basiert die Plattform darauf, dass Männer einem Geld geben, wenn man macht, was sie von einem wollen. Anfangs hat es mir Spaß gemacht Bilder zu machen und das Geld war dann der Bonus. Mittlerweile mache ich es aber eher nur für das Geld.“ Auch Julia tut sich schwer mit der Frage. „Einerseits werden Frauen sowieso von Männern sexualisiert. Wenn man sich dann so präsentiert, wird diese stereotypische Sichtweise aufrechterhalten. Ich selbst sehe mich nicht als Sexobjekt, aber die Menschen, die für meine Bilder zahlen schon. Anderseits hilft es, wenn man offen mit seinem Körper umgeht, diesen zeigt, wie er ist und sich in Szene setzt. Dadurch scheißt man in gewisser Weise auf diese Stereotypen. Trotzdem ist es ein ekliges Gefühl zu wissen, dass manche Menschen, die man kennt, einen sexualisieren.“

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob man sich als Content-Creator auf OnlyFans überhaupt von stereotypischen Frauenbildern loslösen kann, wenn man Profit machen will. Rund 70 Prozent der Content-Produzierenden sind Frauen, die Nutzerschaft setzt sich hingegen aus 80 Prozent Männern zusammen. Ein Großteil der Profile ist somit auf Männer zugeschnitten. „Man darf das internalisierte Patriarchat nicht vergessen. Jede Entscheidung, die eine Frau trifft, hängt in irgendeiner Weise mit gesellschaftlichen Normen und stereotypischen Frauenbildern zusammen“, räumt „Déi Gaus“ ein. Dazu kommt, dass der kapitalistische Aspekt der Plattform in einem Spannungsverhältnis mit der Autonomie, die die Selbstverwaltung der Profile bieten soll, steht. „Dass es so einfach ist, so viel Geld auf der Plattform zu verdienen, wenn man auf das eingeht, was von einem verlangt wird, kann einen dazu bringen, seine eigentlichen Grenzen zu hinterfragen. Es besteht dadurch schon eine gewisse Versuchung, über seine Grenzen hinaus zu gehen. Aber das liegt nicht direkt an der Plattform an sich, sondern eher am Geld, wie in so vielen anderen Situationen auch“, führt „Déi Gaus“ aus.

Ihre Selbstwahrnehmung habe die Plattform positiv beeinflusst, erklärt Julia. „Mir persönlich hat OnlyFans geholfen, selbstbewusster zu sein. Durch die Bestätigung, dass ich als attraktiv gesehen werde, fühle ich mich wohler in meinem Körper. Das Posen und Sich-in -Szene-setzen lässt mich meinen Körper in einem anderen Licht sehen, das sich auf die positiven Aspekte konzentriert. Seinen Körper zur Geltung zu bringen, hilft dabei, ihn als Kunst zu sehen, als etwas Ästhetisches.“ Für „Déi Gaus“ hat das Posten auf OnlyFans ihr Verhältnis zu ihrem Körper nicht bedeutend verändert. „Es hat mich eher positiv beeinflusst. Ich habe viele Komplimente bekommen, wodurch ich mich sicherer fühle. Aber ich war auch schon vorher sehr selbstbewusst“, erzählt sie. „Meine Selbstwahrnehmung wird aber schon ein bisschen dadurch beeinflusst, dass ich andauernd sexualisiert werde. Ich will diesen Beruf nicht ein Leben lang machen. Im Moment kann ich dadurch mein Studium und meinen Lebensunterhalt finanzieren, aber sobald ich mehr Geld mit meinem eigentlichen Beruf verdiene, plane ich, aufzuhören. Ich bin seit ungefähr sechs Monaten bereits sehr viel weniger aktiv, weil ich gemerkt habe, dass es mir nicht mehr so gut damit geht, andauernd sexualisiert zu werden.“

Im Fall der beiden jungen Frauen, die mit dem Land im Gespräch waren, ist zu berücksichtigen, dass sie nur für sich selbst sprechen können und in dem Sinne nicht repräsentativ für alle Content-Creators der Plattform sind. Es macht einen wesentlichen Unterschied, ob man aus freiem Willen auf OnlyFans aktiv ist, oder ob man sich in einer prekären Situationen befindet und durch eine finanzielle Notlage dazu gezwungen ist.

Was die gesellschaftliche Akzeptanz von OnlyFans angeht, sieht es hierzulande eher schlecht aus. „Ich habe das Gefühl, dass Luxemburg sehr prüde ist und OnlyFans oft mit Prostitution gleichgestellt wird. Aber ich denke, dass die Plattform langsam mehr und mehr akzeptiert wird“, meint „Déi Gaus“. Weder eine bedingungslos sexpositive Position noch eine radikalfeministische werden der Komplexität des Themas gerecht. Die eine Sichtweise relativiert, die andere stigmatisiert. OnlyFans bietet mehr Freiraum und finanzielle Unabhängigkeit für Content-Creator als andere Internetseiten der Art und hat in dem Sinne die Welt der digitalen Sexarbeit nachhaltig geprägt. Was aber nichts daran ändert, dass die Sexualisierung und Vermarktung von Frauenkörpern als Wirtschaftsmodell fungiert, bei dem es im Endeffekt nur um Profit geht.

Claire Meyers
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