Öffentliches soziales Leben reicht seit gestern nur noch bis Ladenschluss. Danach sollen die Bürger/innen sich in ihre Häuser zurückziehen und möglichst keine Kontakte pflegen, ehe am Tag danach wieder die Arbeit ruft. Schön ist das nicht, aber das Versprechen hinter dem neuen Corona-Gesetz lautet, dass zu Weihnachten wieder lockerer gelassen werden könnte. Bis dahin dürfen die gewohnten Weihnachstseinkäufe getätigt werden.
Weil die Feiertage nahen, hat die Regierung mit den neuen Corona-Maßnahmen eine große Portion Psychologie verabreicht. Der Eindruck eines Beinah-Lockdown soll erzeugt werden. Dass Premier Xavier Bettel am Montag erklärte, Kneipen und Restaurants seien „keine Hotspots“, sie aber dennoch geschlossen wurden, ist da nur scheinbar ein Widerspruch. Die einzige große Seltsamkeit besteht darin, dass religiöse Kultstätten offenbar für unbedenklicher gehalten werden als Kultureinrichtungen mit einem noch so guten Hygienekonzept. Aber das gehört vielleicht zum Feiertags-Ansatz der jüngsten Corona-Politik: Geht es um Weihnachten, lassen die Leute sich besonders wenig vorschreiben, was sie nicht tun sollen. Und wie viele Menschen sich versammeln, lässt sich, wenn man ehrlich ist, nur im öffentlichen Raum kontrollieren. Was jetzt gewonnen wird an Epidemie-Kontrolle, soll ab der zweiten Dezemberhälfte wieder verloren werden dürfen. Falls nicht genug gewonnen wird, kann man behaupten, die Menschen seien selber Schuld. Dass der Premier am Montag auffällig oft erwähnte, es komme auf sie an, kam nicht von ungefähr.
Dieser psychologische große Wink mit dem Zaunpfahl ist schon einigermaßen kohärent. Dass die Infektionszahlen stagnieren, ist keine Beruhigung, solange die Sanitätsinspektion im Gesundheitsamt mit der Kontaktverfolgung nicht nachkommt. Dass sie nur für rund die Hälfte der Infizierten klappt, kann man nicht andauern lassen. Die Kliniken müssen ebenfalls entlastet werden. „Flatten the curve“ ist wieder nötig.
Doch das ist eine Notmaßnahme. Eine ganz andere Frage ist die, wie stimmig die Corona-Politik überhaupt ist. Bei weitem nicht stimmig genug, muss die Antwort lauten. Im Sommer war die Rede davon, dass gelernt werden müsse, mit dem Virus zu leben. Gemeint damit aber war kaum mehr als die gewohnten Hygieneregeln. Nicht klar ist dagegen zum Beispiel, ob die besonders gefährdeten Personen in den Alten- und Pflegeheimen ausreichend geschützt sind. Angaben dazu sind besonders rar. Tatsache ist aber, dass die mit Covid-19 verbundenen Sterbefälle sich allein in den letzten vier Wochen verdoppelt haben. Wer im Gesundheitsministerium nachfragt erfährt, das habe vor allem mit Infektionen in den Heimen zu tun. Doch erst am 20. November wurden in Luxemburg die ersten Antigen-Schnelltests angeliefert, mit denen sich rasch feststellen lässt, dass jemand ansteckend ist. Damit soll nun Personal in Kliniken und Heimen, aber auch Besucher schnell getestet werden können. Das macht Sinn, denn erneut geschlossen werden wie im Frühjahr sollten die Heime nicht. Im Grunde jedoch gibt es die Schnelltests seit März.
Am bedauerlichsten aber ist, dass die Regierung bis heute ihre Corona-Politik nicht wirklich mit der Bevölkerung teilt. Natürlich gibt es Statistiken und bei steigenden Fallzahlen immer wieder Appelle. Doch wer eine Epidemie im Griff halten will, muss laufend kontrollieren, was die ergriffenen Maßnahmen bringen. In einer demokratischen Gesellschaft, in der den Bürger/innen eine besondere Verantwortung zugeschrieben wird, müsste ihnen immer wieder mitgeteilt werden, wie die Dinge liegen und weshalb genau welche neuen Schritte gegangen werden müssen. So viel Offenheit schafft Verständnis und beugt „Corona-Müdigkeit“ vor.
Leider aber wurde Epidemie-Management als soziales Projekt nie versucht. Doch selbst wenn demnächst die ersten Impfdosen geliefert werden, wird die Pandemie nicht schnell zu Ende sein. Werden neben Gesundheits- und Pflegepersonal die besonders Vulnerablen als erste geimpft, werden die Todesfälle abnehmen, aber das große Infektionsgeschehen nicht. Ob jemand schon weiß, wie damit umgegangen werden soll?