Der Ärzteverband nutzt die Corona-Krise, um seine politische Agenda voranzutreiben

Die Geschichte von den ineffizienten Spitälern

Krankenpflegerinnen am Eingang zu einer Station des Stadtkrankenhauses in Esch/Alzette
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 06.11.2020

In den Direktionen der Krankenhäuser schlug sie hohe Wellen – die Pressemitteilung, die der Ärzteverband AMMD am Donnerstag vergangener Woche verschickt hatte. Aber nicht nur dort. Auch Ärzte, die Mitglieder der AMMD sind, nannten deren Forderungen „einen feindlichen Übernahmeversuch“ der Spitäler durch die AMMD. Und das mitten in der Corona-Pandemie.

Am vorvergangenen Samstag und am Montag danach hatten im Gesundheitsministerium Treffen stattgefunden. Ministerin Paulette Lenert (LSAP) nahm teil, Vertreter des Krankenhausverbands FHL, der AMMD und der CNS. Um die Klinikversorgung in der Pandemie ging es und um drohende Personalengpässe. Summa summarum hatten die Spitäler einen Ausfall von damals 150 Pfleger/innen zu beklagen – zeitweilig, wegen Isolation oder Quarantäne. Auch brauchen Covid-Patient/innen mehr Betreuung als Hospitalisierte im Schnitt; in der Normalversorgung 30 Prozent mehr, auf der Intensivstation 50 Prozent mehr.

Die FHL hatte deshalb bei der CNS Geld beantragt, um 70 Pfleger/innen zusätzlich einstellen zu können. CNS-Präsident Christian Oberlé gab zu verstehen, zunächst müssten die Kliniken „intern“ Personal mobilisieren. Und sich im Übrigen zurückhalten, in den Nachbarländern zu rekrutieren: Das sei nicht korrekt und könne in der augenblicklichen Lage sogar politisch für böses Blut sorgen. Um den Spitälern entgegenzukommen, stellte Oberlé ihnen in Aussicht, was schon im Frühjahr gegolten hatte: Die CNS sei bereit, die Kliniken weitgehend von Verwaltungsaufgaben zu entbinden, die sie im Auftrag der Kasse leisten müssen. Von Dokumentationen und Arbeitsaufwandanalysen würde nur das Nötigste verlangt. So könne Pflegepersonal, das die Verwaltungsakte leistet, zurück ans Bett der Patienten. Das fanden auch die AMMD-Vertreter: Viel zu viel Pflegepersonal habe mit administrativen Dingen tun. Das müsse aufs Allernötigste beschränkt werden, und überhaupt sei der „Waasserkapp“ der Spitäler viel zu groß.

Von dort ging die Diskussion am Montag vergangener Woche weiter zu der Idee, die die AMMD seit einem halben Jahr propagiert: ein „Covid-Spital“. Dort würden Corona-Patient/innen konzentriert, während in den anderen der Betrieb normal weiterginge. Für die FHL ist die Idee absurd, zumal mitten in der Pandemie: Sie würde verlangen, die Maximalversorgung eines ganzen Spitals allein darauf zu konzentrieren. Auf Covid eingestellt zu sein, erfordert nicht nur Intensivplätze mit erfahrenen Anästhesist/innen und Anästhesie-Pfleger/innen, sondern auch Fachleute für Lungenkrankheiten, und wegen der vielfältigen Komplikationen, die eine Corona-Infektion nach sich ziehen kann, auch Kardiolog/innen, Neurolog/innen oder Nierenfachärzt/innen. So eine Reorganisation, mit Personal, das aus allen Kliniken zusammengezogen werden müsste, sich nicht kennt, aber Hochleistungs-Teams bilden müsste, schafft man nicht mitten in einer Krise.

Als die AMMD erneut nicht bekam, was sie wollte, holten ihr Präsident Alain Schmit und ihr Generalsekretär Guillaume Steichen zum Rundumschlag aus. Nannten die Spitäler „ineffizient“ und „intransparent“. Und verlangten, was drei Tage nach der Sitzung vom Montag vergangener Woche auch in der AMMD-Pressemitteilung stand: „Unverzüglich“ müsse eine Zählung sämtlicher Gesundheitsberufler in den Kliniken, mit ihren Funktionen und Aufgaben her und die „Organigramme“ der Spitäler „transparent“ gemacht werden. Das sei „unverzichtbar für die öffentliche Gesundheit“, eine „Vorbedingung“ für ein Covid-Spital und eine optimale Versorgung aller anderen Patient/innen. Leider seien „bestimmte“ Krankenhäuser „besonders zurückhaltend gegenüber einer offenen und konstruktiven Debatte“ für eine „intelligentere Reorganisation“ des Klinikwesens. Leidtragende seien die Patienten.

Dass die AMMD-Spitze selber an das glaubt, was sie verbreitet, ist alles andere als sicher. Denn anders als ihr Verband glauben macht, kennen die Krankenhausärzte ihre Spitäler und sind in deren Führung eingebunden. In jeder Klinik gibt es einen gewählten Ärzterat, der an Entscheidungen, die die medizinische Tätigkeit betreffen, beteiligt werden muss. Verschiedene Entscheidungen kann er mit einem Veto zeitweilig blockieren. Es gibt Koordinationsmediziner innerhalb der Klinikstationen, und vor allem haben Ärztevertreter seit vor zwei Jahren ein neues Krankenhausgesetz in Kraft trat, Sitz und Stimme in den Verwaltungsräten der Spitäler. Damit sind sie sogar Vorgesetzte der Direktionen, von denen die AMMD behauptet, ineffiziente und intransparente Häuser zu führen, und daran mit Schuld, falls es stimmt.

Aber sehr wahrscheinlich sind das Details, auf die es der AMMD-Spitze gar nicht ankommt. Worauf es ihr ankommt, war mit ihrem Präsidenten nicht zu klären: Alain Schmit reagierte nicht auf eine schriftliche Anfrage, sich dazu zu äußern. Schmit ist allerdings ein Verbandschef, dem man unterstellen kann, mit seiner Politik das effiziente Arbeiten der Spitäler zu behindern: Vor dreieinhalb Jahren führte die AMMD eine Kampagne gegen den Entwurf zum neuen Kranken-
hausgesetz. Beispielsweise, weil darin stand, die Ärzte sollten sich in Zukunft Qualitätsvorgaben, Therapierichtlinien und Effizienzbemühungen der Kliniken unterordnen. Stimmung dagegen wurde auf einer AMMD-Versammlung unter anderem mit einer Diskussion gemacht, in der es eine Zumutung genannt wurde, dass ein Klinikarzt seine Urlaubsplanung mit der Klinikleitung abspreche. Dem Land sagte Schmit damals, diese Planung machten die Ärzte unter sich; dadurch finde jeder Patient zu seinem Arzt (d’Land, 10.3.2017).

Anmaßungen wie diese findet bei weitem nicht jeder Arzt angebracht. Genauso wenig, wie man behaupten könnte, die aktuelle AMMD-Politik werde von sämtlichen Medizinern gutgeheißen. Aber falls ein Arzt nicht gerade auch Krankenhausdirektor ist, wird keiner es wagen, die Positionen der AMMD öffentlich in Frage zu stellen. Zu groß ist die Furcht vor Repressalien. Schon vor Jahren sprachen Ärzte hinter vorgehaltener Hand von einer „Omertà“ und dass Abweichler ihre „employability“ gefährden könnten. Kritik an der AMMD-Linie kann sich dann implizit äußern. Zum Beispiel wurde Philippe Wilmes, der AMMD-Vizepräsident, der wesentlich eloquenter und demagogisch talentierter ist als Alain Schmit, von seinen Kolleg/innen an den Schuman-Krankenhäusern nicht als Ärzteratspräsident wiedergewählt.

Den Krankenhäusern Ineffizienz und Intransparenz vorzuwerfen, passt jedoch zum Politikansatz, den die AMMD seit rund drei Jahren verfolgt. Behaupten, das Luxemburger Gesundheitssystem sei eine „Staatsmedizin“, die den Patienten etwas vorenthalte, und dass eine Liberalisierung der Versorgung mit Auslagerung von Krankenhausaktivitäten in Ärztehäuser, die von Medizinergesellschaften geführt würden, Luxemburg wettbewerbsfähiger im internationalen Konkurrenzkampf um knappen Ärztenachwuchs mache. Um diesem Argument immer neue Nahrung zu geben, nennt die AMMD die Kliniken regelmäßig zu groß, zu schwerfällig, ineffizient und nicht offen genug für Innovationen. Das derzeit zu sagen, wäre allerdings nicht sehr schlau – wo die Regierung ihre Appelle ans kollektive Corona-Bewusstsein doch wie im Notstand im Frühjahr damit verbindet, gemeinsam zu verhindern, dass die Spitäler überlastet werden. Argumentativen Ersatz leistet die Idee vom Covid-Spital. Dass sie so schnell nicht realisierbar ist und die Gesundheitsministerin vergangene Woche erklärt hat, die zweite Covid-Welle werde mit den bestehenden Krankenhäusern bewältigt und auch die dritte, falls es eine gibt, kann der AMMD sogar recht sein: So bleibt ihr eine Geschichte, um den Leuten zu erzählen, dass ihnen etwas vorenthalten werde. Dass das auf offene Ohren trifft, ist nicht unwahrscheinlich. Der Stand von Ärzten in der Gesellschaft ist hoch genug, dass der Gedanke aufkommen muss, an den Argumenten des Ärzteverbands sei etwas dran. Aus dem gleichen Grund sind für die Politik offen ausgetragene Konflikte mit der AMMD immer riskant: Eine Regierung, die gegen Ärzte kämpft, kann sich schnell verdächtig machen, etwas anderes als das allgemeine Wohl im Sinn zu haben. In diesem Kontext agiert die aktuelle AMMD-Führung wesentlich gewitzter und mit mehr politischem Erfolg als die vorige. Die PR-Firma des früheren Wort-Chefredakteurs Marc Glesener leistet ihr dabei wertvolle Dienste.

Zumal draußen ausgetragene Konflikte den Ärzteverband intern stabilisieren können und abweichende Stimmen dämpfen. Die AMMD ist kein homogener Verband. Ihre Behauptung, alle Ärzt/innen im Land zu repräsentieren, trifft nicht wirklich zu, denn für angestellte oder gar beim Staat bedienstete Mediziner/innen setzt sie sich nicht ein; nur für Freiberufler, wenngleich diese die Mehrheit in der Ärzteschaft ausmachen. Doch auch über deren Interessen sind interne Auseinandersetzungen seit Jahrzehnten notorisch, dringen aber kaum nach draußen. Mal stehen Allgemeinmediziner gegen Spezialisten, mal bestimmte Spezialisteninteressen gegen andere.

Oft geht es dabei um Geld: Die Gebührenordnung bevorteilt Arztdisziplinen, in denen vor allem technische Akte am Patienten erbracht werden. Man konnte das deutlich sehen, solange die Generalinspektion der Sozialversicherung (IGSS) in ihrem Jahresbericht über die Bruttoeinkünfte in den einzelnen Arztdisziplinen vor Sozialabgaben und Steuern informierte und dabei Durchschnitt, Median und Häufigkeitsverteilung angab. Laut der letzten Publikation dieser Art verdiente ein Arzt im Schnitt knapp 200 000 Euro brutto im Jahr. Die Hälfte aller Radiologen aber verdiente mehr als 400 000 Euro, Spitzenverdiener brachten es in dieser Disziplin bis auf 850 000 Euro. Auch bei den Anästhesisten lag der Brutto-Median bei um die 400 000 Euro jährlich. Dagegen lag er bei Allgemeinmedizinern bei um die 150 000 Euro, desgleichen für Psychiater, für Kinderpsychiater noch darunter, und am kleinsten war der Median mit rund 100 000 Euro für Hautärzte.

Heute kann man mit diesen Zahlen nicht mehr viel anfangen. Seit fünf Jahren werden sie nicht mehr veröffentlicht und selbst die letzte Übersicht beruhte auf Daten von 2007: Übermäßig reizen wollt die IGSS die AMMD nicht. Die Ungerechtigkeiten in den Verdienstmöglichkeiten zu beseitigen war der Ärzteverband aber nie wirklich bereit. Denn das würde nicht nur bedeuten, für neue und besser dotierte Tarife einzutreten. Sondern sich überhaupt zu fragen, wofür Ärzt/innen bezahlt werden sollen und was das der Gesellschaft wert ist. In erster Linie betrifft das die Spitäler, wo Geld im Grunde nur damit verdient werden kann, am Patienten so viel wie möglich zu leisten und abzurechnen. Weil dies das Krankenhaus als Betrieb beeinflusst, soll seit der Gesundheitsreform von 2010 eine „Krankenhausdokumentation“ die Diagnosen am Patient und das an ihm Erbrachte erfassen. Damit soll transparent werden, was in Luxemburger Spitälern eigentlich vorgeht. Unter anderem war das ein Wunsch der AMMD gewesen, die den Kliniken schon damals vorwarf, intransparent und ineffizient zu sein. Doch ihr Versprechen, dass die Klinikärzt/innen gemeinsam mit dem Pflegepersonal Diagnosen und Prozesse „kodieren“ würden, hat die AMMD bis heute nicht eingelöst. Denn Transparenz müsste dazu führen, das Spital als Betrieb zu sehen, in dem Ärzt/innen Teile eines Ganzen sind. Organisatorisch wie finanziell.

Für die AMMD ist das ein No-Go. Worauf in den Kliniken für die Dokumentation Kodierungs-Teams eingestellt wurden. Ihnen gehören Pfleger/innen an, von denen die AMMD vor eineinhalb Wochen streng verlangte, sie müssten zurück an die Patientenbetten der ineffizienten Spitäler, und die „Hellewull“ an Verwaltungsaufwand gehe ohnehin zu weit..

Peter Feist
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