Vor einer Woche kollidierten die beiden Portfolios Wohnungsbau und Denkmalschutz der grünen Ministerin Sam Tanson mit dem Geräusch von Baumaschinen auf Stein. Da begannen die Abrissarbeiten an einer Reihe von Häusern, die einen unten, die anderen oben in der Rue Jean l’Aveugle in Limpertsberg, einer Querstraße zum Glacis. Dies obwohl die Ministerin den Eigentümern den Vorschlag, die Häuser im Eilverfahren unter Denkmalschutz stellen zu wollen, am gleichen Tag zustellen ließ. Dass es sich bei den Eigentümern nicht um Anfänger, sondern besonders abgebrühte Immobilienhaie handelt, konnte man daran erkennen, dass sie in einer berechnenden Geste absichtlich als allererstes die Fenstersteine zerschlugen, den äußeren Schmuck der Häuser.
Die Ministerin ließ sich nicht lumpen. In einer ebenso dramatischen wie populistischen Aktion schickte sie die Polizei zur Baustelle und eine Mitteilung über den Polizeieinsatz an die Presse. „Force est de constater que les services de l’État ont aujourd’hui été confrontés à une situation inédite, à une destruction volontariste et sans précédent d’une partie de notre patrimoine national, et ce, de surcroît, au mépris des dispositions légales en vigueur“, hieß es darin. Das erweckte den Eindruck, die Bauunternehmen hätten mutwillig, ohne Genehmigung oder Vorwarnung Bausubstanz, vom Rang der Kathedrale, zerstört. Die Rollen waren klar verteilt: Böse, gesetzesbrechende und renditegeile Baupromotoren auf der einen Seite, gute denkmalschützende Ministerin auf der anderen Seite. Diesen Eindruck verstärkte Tanson als sie bei RTL bedauerte, ihren beiden Dossiers Wohnungsbau und Denkmalschutz würden gegeneinander ausgespielt. Die Wohnungen, die anstelle der Häuser entstehen sollen, seien zu teuer, um zur Linderung der Wohnungsnot beizutragen.
Dabei ist nicht so eindeutig, wer die Guten und wer die Bösen sind. Erstens, weil es nach bisherigem Gesetzesstand nur bedingt Aufgabe von Privatpromotoren ist, Sozialwohnungen zu schaffen. Zweitens, da hier anstelle eines halben Dutzend Häusern insgesamt über 50 neue Wohneinheiten entstehen sollen (der Fonds de Logement stellte 2018 135 Wohnungen fertig) und die Immobilienpreise dem Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage geschuldet sind. Drittens, weil dies in einer dafür ausgewiesenen Zone innerhalb des Perimeters passieren soll und das Bild der Straße längst zerstört ist. Viertens weil der Erhalt der Häuser im Originalzustand die Wohnungsnot nicht löst. Sie blieben für die Bezieher von Wohnungsbeihilfen so unerschwinglich wie die neuen Appartements und gut betuchten Bürgern vorbehalten – also Tansons für Denkmalschutz sensibler Wahlklientel.
Der Abriss kam beileibe nicht überraschend. Er ist ebenso von der Stadtverwaltung genehmigt wie die neuen Wohnungen. Die Ausstellung der Abrissgenehmigungen des einen Projekts liegt zehn Monate zurück, des anderen ein halbes Jahr. Die neuen Bauprojekte wurden ebenfalls bereits vor Monaten genehmigt. Der Eigentümer, dem Tanson die Polizei schickte und mit strafrechtlichen Konsequenzen drohte, hatte ihre Beamten Anfang April über den baldigen Beginn der Abrissarbeiten informiert, sagt sein Anwalt. Und noch im März stellte die Stadtverwaltung dem Kulturministerium ein negatives Gutachten aus, als es um die mögliche Klassierung besagter Häuser ging, mit einleuchtenden Argumenten.
Dabei wurde deutlich, dass hier nicht nur ein Problem veralteter Prozeduren, sondern ein Problem politischer Inkohärenz vorliegt. Denn wie Bürgermeisterin Lydie Polfer (DP) Anfang März im Gemeinderat hervorhob, wurde im Rahmen der Reform des 2017 gestimmten neuen Flächennutzungsplans (PAG) „nach langen Diskussionen“ entschieden, die Häuser nicht unter Schutz zu stellen. Diesen Plan trug Polfers Schöffin Sam Tanson damals mit – ihre Fraktion beglückwünschte sich, er fördere die Schaffung neuen Wohnraums im Respekt der bestehenden Bausubstanz – obwohl sie nun findet, die Häuser seien nationale Denkmäler. An der Vorbereitung der PAG-Reform war außerdem die nationale Denkmalschutzbehörde (SSM), explizit beteiligt, die nun das Eilverfahren einleitete. Seither haben SSM in der Stadt und sogar in Limpertsberg eine ganze Reihe von Bauten unter Denkmalschutz stellen lassen, die Häuser der Rue Jean l’Aveugle waren bisher also keine Priorität.