Im Wahlkampf 2018 fanden alle Parteien, dass wohnungsbaupolitisch mehr geschehen müsse. Manche beschrieben die Lage dramatisch. Sie sei „ein Desaster“, urteilten déi Lénk, „die größte sozialpolitische Baustelle“, so die LSAP, und die ADR gab dem „onmoossege Wuesstem vum Land“ die Schuld dafür. Die neu-alte Regierung kündigte in ihrem Koalitionsvertrag eine „konzertierte Aktion“ an.
Gemessen an diesen Beschwörungen scheint in die Wohnungsbaupolitik wieder Ruhe eingekehrt zu sein. Was vielleicht auch damit zu tun hat, dass Ministerin Sam Tanson (Grüne) neu im Amt ist. Doch schon ihr DP-Vorgänger Marc Hansen hatte sich gehütet, das Blaue vom Himmel zu versprechen, wie seine Vorgängerin Maggy Nagel das ab und zu getan hatte. Tanson könnte zum Beispiel behaupten, dass schon die Wohnungsbaupolitik der ersten DP-LSAP-Grüne-Regierung richtig gewesen sei. Denn auf dem Eigenheim-Markt für Apartments sind die Preise gesunken – jedenfalls für neue Wohnungen, wie aus dem schon Ende März vom Statistikinstitut Statec veröffentlichten Konjunkturindikator C hervorgeht. Kostete im Jahresschnitt 2017 ein neues Apartment 6 344 Euro pro Quadratmeter, waren es im Schnitt des vergangenen Jahres 31 Euro weniger. Immerhin: weniger. Und im vierten Quartal 2018 lag der Quadratmeterpreis mit 6 034 Euro sogar acht Prozent unter dem im dritten und so niedrig wie Mitte 2016.
Doch schon daraus politische Schlüsse zu ziehen, wäre kühn. Was genau die Preisentwicklung zu bedeuten hat, ist nicht klar, denn für schon bestehende Apartments steigen die Preise ungebrochen, sogar stark. 2018 legten sie um fast zehn Prozent auf 5 568 Euro pro Quadratmeter zu, und im vierten Quartal war eine neue Wohnung im Schnitt nur 200 Euro pro Quadratmeter teurer als eine gebrauchte. Das ist natürlich erklärungsbedürftig. Wie die Preise sich von Gemeinde zu Gemeinde und von Region zu Region verhalten, wäre ebenfalls interessant zu wissen. Voraussichtlich nächste Woche wird darüber mehr zu erfahren sein; dann will das Observatoire de l’habitat beim Wohnungsbauministerium seine eigenen Statistiken aktualisieren. Vielleicht äußert sich dann auch die Ministerin.
Denn der Erwartungsdruck, dass die Regierung mit etwas herausrücke, ist groß, auch in den Reihen der Mehrheit. Yves Cruchten, der wohnungsbaupolitische Sprecher der LSAP-Fraktion, ist zum Beispiel „ein bisschen ungeduldig“, wann das geplante staatliche Komitee zum Ankauf von Grundstücken seine Arbeit aufnimmt. Es einzurichten, ist eine Idee der LSAP, und Cruchten findet, „in den nächsten Monaten muss etwas geschehen“. Mike Mathias, Generalkoordinator im Wohnungsbauministerium, teilt dazu mit, das Ministerium verfüge nun über Personal, um Grundstücke zu bewerten. „Uns sind schon Flächen angeboten worden.“ Wann Ankäufe im großen Stil beginnen werden, scheint aber noch nicht so sicher. Für das laufende Jahr wurde im Staatshaushalt dafür zunächst ein symbolischer Betrag von 100 Euro eingeplant, als crédit non-limitatif zwar, aber mehr tut sich vielleicht erst nächstes Jahr. Dann, so Mike Mathias, will das Ministerium sich um eine Dotierung von drei Millionen Euro bemühen. Was man ebenfalls noch nicht viel nennen könnte, aber beschränkt soll dieser Kredit ebenfalls nicht sein.
Die größte Oppositionspartei lauert verständlicherweise besonders darauf, dass die Regierung erklärt, welche „Akzente“ sie setzen will, wie Marc Lies, der député-maire aus Hesperingen und wohnungsbaupolitische Sprecher der CSV-Fraktion, sagt. Dass das Wohnungsbau-Beihilfengesetz von Grund auf neu geschrieben und der Pacte logement zwischen Staat und Gemeinden, der Ende 2020 ausläuft, eine verbesserte Fortsetzung erhalten soll, sei „gut und schön, aber das sind noch keine großen Akzente“. Akzente wären eine Antwort auf die Frage, „was mit dem Grundbesitz geschehen soll“. Oder eine Entscheidung, „welche soziale Mischung wir wollen“. Soll heißen: Wenn es einen breiten politischen Konsens gibt, dass der öffentliche Wohnungsbau noch viel stärker angekurbelt werden muss – vor allem für das Wohnen zur Miete –, dann müsse festgelegt werden, auf wie viele Reiche wie viele Arme in jeder Siedlung und in jedem Apartmenthaus kommen sollen und wie viele mit einem Sozialstatus irgendwo dazwischen.
Politisch brisante Fragen sind das natürlich angesichts von 80 Prozent Eigenheimbesitzer-Haushalten in der Bevölkerung, einer ausgeprägten Konzentration von Bauland in den Händen weniger Privatleute und Unternehmen und bei den wachsenden Investitionen „in Stein“ über Immobilienfonds. Welche Tradition die Besitzerkultur im Lande hat, beschrieb im Juni 2002 die damalige CSV-DP-Regierung im Motivenbericht zu dem Gesetzentwurf, der den Bëllegen Akt einführen sollte: „Depuis plus d’une centaine d’années, l’une des préoccupations de tous les gouvernements du Luxembourg consiste à faciliter et à encourager l’accès à la propriété des habitations personnelles.“
So eine Tradition muss zu Diskussionen führen, wenn heute parteienübergreifend anerkannt wird, dass öffentlich bezuschusste Mietwohnungen nicht nur für Sozialhilfeempfänger bereitgestellt werden müssen, sondern auch für Alleinstehende, Geschiedene oder junge Familien, aber in letzter Konsequenz die Gemeinden dafür gewonnen werden müssen. „Ohne die Gemeinden machst du nichts, da machen auch der Fonds du logement und die SNHBM nichts“, sagt der grüne Abgeordnete Henri Kox, Vorsitzender des parlamentarischen Wohnungsbau-Ausschusses. Er hat ausgerechnet, dass Rümelingen es auf den höchsten Anteil öffentlich bezuschusster Wohnungen bringt: vier Prozent. Landesweit liegt der Schnitt bei zwei Prozent. Kox macht sich keine Illusionen, dass sich das schnell ändert: „Wenn wir am Ende der nächsten Legislaturperiode landesweit auf fünf bis sieben Prozent kommen, haben wir schon was erreicht.“ Von politischen Weichenstellungen abgesehen, brauchen Neubauten auch Zeit: Für Einfamilienhäuser im Schnitt 18 Monate, für Mehrfamilienhäuser knapp 22 Monate. Wie die Wohnungsbauministerin vorgeht, findet Kox gut. „Nicht weil ich in derselben Partei bin, sondern weil Fingerspitzengefühl nötig ist, um die Gemeinden zu gewinnen.“ Im Frühjahr 2020 soll der Gesetzentwurf für den neuen Pacte logement vorliegen. „Das ist ehrgeizig.“
Das aktuelle Gesetz zum Pakt enthält zum Beispiel Vorgaben über die soziale Mischung. „Nur ungenaue“, sagt Ministeriums-Generalkoordinator Mike Mathias. Die Bestimmung aus dem Gesetz von 2008 lautet: Umfasst ein Wohnungsbauvorhaben einen Hektar Gesamtfläche oder mehr (worunter beispielsweise auch Straßen und Wege fallen), dann müssen mindestens zehn Prozent der für den Wohnungsbau an sich bestimmten Fläche, beziehungsweise zehn Prozent der Wohnungen „reserviert“ werden für den Verkauf oder die Vermietung „à coût modéré“. Pikanterweise aber ist nicht gesetzlich definiert, was „à coût modéré“ ist. Das legt die jeweilige Gemeinde in einer Konvention mit dem Grundstücksbesitzer fest und hat dabei Spielraum. Was sich daran ändern soll, sei, so Mathias, ein „wichtiges Thema“, wenn im Juni und Juli sechs Workshops mit Gemeindevertretern zum Pacte logement 2.0 stattfinden werden. Die Frage stellt sich auch deshalb, weil im Plan sectoriel logement, einem der vier Bereichspläne der Landesplanung, für die dort festgehaltenen Projekte 30 Prozent Reservierung „à coût modéré“ stehen. Sollen sie verallgemeinert oder gar erhöht werden? Das bleibe zu diskutieren, sagt Mathias.
Wie delikat das ist, zeigt sich unter anderem daran, dass in 40 Gemeinden noch nie ein öffentlich bezuschusstes Bauvorhaben realisiert wurde; weder in Eigenregie, noch durch die öffentlichen Träger Fonds du logement und SNHBM, noch durch Kirchenfabriken oder gemeinnützige Vereine. Auch für den anschließenden Verkauf entstand dort kein bezuschusster Wohnraum. Dass manche Gemeinden den Zuzug sozial Schwacher zu erschweren wissen, erkennt man unter anderem an den Vorschriften in den kommunalen Bautenverordnungen über die minimale Wohnungsgröße: In Colmar-Berg etwa muss eine Wohnung mit einem Schlafzimmer mindestens 70 Quadratmeter Wohnfläche haben, ein Studio 45 Quadratmeter. In Esch/Alzette dagegen werden 15 Quadratmeter Wohnfläche pro Person verlangt. Dass daraus Kauf- und Mietpreisdifferenzen folgen, liegt auf der Hand. Unter einem Blickwinkel wie diesem ist es wahrscheinlich politisch klug, dass die Wohnungsbauministerin nicht publik macht, wohin sie will mit den Gemeinden.
Einer Politik, die den öffentlichen Mietwohnungsbau konsequent fördert, will auch die CSV sich nicht entgegenstellen. Ihre Fraktionspräsidentin Martine Hansen hatte auf dem Parteitag im Januar der Regierung vorgeworfen, „nur etwas für Mieter“ zu tun, so dass „bald nur noch eine Elite Besitzer werden“ könne. Sie versprach, Priorität habe für die CSV „nach wie vor das Eigenheim“. Marc Lies sagt, so sei das nicht. „Wir haben darüber in der Fraktion gesprochen. Wir sind auch für Mietwohnungen, aber das muss verschiedene Facetten haben.“ Zum Beispiel sollten Mietkauf-Modelle eingeführt werden, in denen Mietern nach einer Zeit ein Vorkaufsrecht auf die Wohnung angeboten würde. „Aber nur in Erbpacht, das Grundstück müsste in öffentlicher Hand bleiben.“
Dass Wohnen zur Miete und Verkäufe in Erbpacht, die nicht zur Vermögensbildung beitragen, derart konsensfähig geworden sind, hat auch damit zu tun, dass die Knappheit an erschwinglichem Wohnraum zu Konflikten mit der Wirtschaft führt. „Wenn dadurch Druck entsteht, Löhne und Gehälter zu erhöhen, ist das ein Risiko für Luxemburgs Wettbewerbsfähigkeit“, erklärt Michel-Edouard Ruben, Volkswirt bei der Fondation Idea der Handelskammer. „Der Attraktivität Luxemburgs wiederum droht Gefahr, wenn Branchen sehen, dass es für Mitarbeiter mit kleineren Gehältern kaum Wohnungen gibt.“ Das treffe auf das Gastronomiegewerbe zu, aber auch auf die Industrie. Und im Bauwesen, wo der Präsident des Groupement des entrepreneurs diese Woche klagte, es fehle an preiswertem Wohnraum für im Ausland rekrutierte Bauarbeiter, die in Luxemburg unter anderem preiswerte Wohnungen bauen sollen. Dass die Baubranche in den staatlich bezuschussten Wohnungsbau für ihre Arbeiter einsteigen will, wird im Wohnungsbauministerium für eine gute Idee gehalten. Es zeigt aber auch, dass die Branche „am Limit“ ist, um mehr bauen zu können, räumt Mike Mathias ein.
Das ist kritisch, weil eigentlich Bauland „mobilisiert“ werden soll, um schneller zu bauen, privat wie öffentlich. Bei den Vorarbeiten der vorigen Regierung zum „Baulückenprogramm“ hatte sich gezeigt, dass 90 Prozent der Baulücken in Privathand sind. Doch die zwischen Mitte 2016 und Ende 2018 geltende Steuererleichterung für Besitzer, die Bauland oder leerstehende Wohnungen verkauften und auf diese Weise mobilisierten, war womöglich kein großer Anreiz: Dass der Spekulationsgewinn aus dem Verkauf nur halb so hoch besteuert wurde wie üblich, half bis Ende 2017 die Zahl der Abtretungen um neun Prozent zu steigern, wie die Regierung vor einem Jahr mitteilte. Was die Aktion bis Ende 2018 brachte, werde erst Ende 2020 zu erkennen sein. Marc Lies von der CSV sagt aus seiner Bürgermeister-Erfahrung: „In Hesperingen hat sie etwas bewirkt, aber wirklich nur zum Teil.“ Deshalb wüsste er gern, „was mit dem Grundbesitz geschehen soll“.
Mike Mathias verweist auf den Koalitionsvertrag, der festhält, mit der Grundsteuerreform gegen die „Spekulation“ vorzugehen. Auch soll künftig der Mehrwert besteuert werden, der entsteht, wenn ein Grundstück in Bauland umgewidmet wird. Marc Lies fürchtet, die Grundsteuerreform könnte 2023 noch nicht in Kraft sein, und die Wertschöpfungsabgabe mobilisiere Bauland nicht unmittelbar. Nach Ansicht der CSV mache es Sinn, auf die „nationale Taxe“ auf Wohnungsleerstand und brachliegendes Bauland zurückzukommen.
Die LSAP sieht das ähnlich. Yves Cruchten sagt: „Unsere Kollegen von der DP halten natürlich den Schutz des Eigentums hoch. Ich denke aber, früher oder später werden auch sie – oder manche von ihnen – sehen, dass es so nicht weitergehen kann.“ Die Taxen seien politisch noch nicht vom Tisch innerhalb der Regierungskoalition.
Der CSV ist nicht entgangen, dass das „ein Knackpunkt“ in der Koalition besteht, wie Marc Lies sich ausdrückt. Noch hat die CSV keine wohnungsbaupolitischen Vorschläge gemacht, im Herbst will sie ein ganzes Bündel davon präsentieren. Dann ist auch im Parlament eine Konsultationsdebatte zum Pacte logement 2.0 geplant. Das Wohnungsbauministerium hat sie angefragt.
Ob die CSV so weit gehen könnte, einen Vorschlag für eine landesweite Taxe auf Leerstand und Brachland zu machen, dem LSAP und Grüne sich nicht entziehen könnten, will Marc Lies nicht sagen. „Das wäre auf jeden Fall Sprengstoff.“ Aber dramatisch ist die Situation ja, jedenfalls für Haushalte mit kleineren Einkommen. Vielleicht erfährt sie eine vorläufige Zuspitzung, weil Xavier Bettel, um sein Amt zu retten, einen Weg finden muss, um die DP in Richtung solcher Taxen zu manövrieren, ohne dass es aussieht, als bräche sie ihr Wahlkampfversprechen.