Es kann ein wenig überraschen. Nachdem die Gewerkschaften vergangene Woche beschlossen, den Verhandlungstisch beim Schlichtungsamt zu verlassen, wo Arbeitnehmervertreter und Firmenleitung der Luxair nach einer Lösung im Streit um ein neues Tarifabkommen suchen sollten, hat die Direktion diese Woche ein neues Angebot gemacht. Das Sparziel lautet 7,5 Millionen Euro. Überraschend ist das deshalb, weil demnach nur noch halb so viel gespart werden müsste wie vor einem Jahr, als der alte Tarifvertrag – kurz nachdem er überhaupt erst zustande kam – gekündigt wurde. Damals hatten die Tarifparteien den Rahmen für die Verhandlungen abgesteckt und ein Sparziel von 13 Millionen Euro bei den Personalkosten festgelegt. „Wir glauben, dass dieses Ziel realistisch ist und für das Personal akzeptabel“, sagt Luxair-CEO Adrien Ney jetzt über die neue Vorgabe.
Ob das Personal das neue Angebot tatsächlich akzeptabel findet, bleibt abzuwarten. Denn was die Gewerkschaften am alten Angebot störte, ist auch in dem neuen noch enthalten. Die Direktion fordert mehr Flexibilität beim Einsatz der Crews, obwohl die Arbeitnehmer der Ansicht sind, dass die Firma in ihrer Planung die Möglichkeiten des aktuellen Tarifvertrags überhaupt nicht ausreizt. Und neu eingestelltem Flugpersonal sollen künftig keine tarifvertraglich festgesetzten automatischen Lohnerhöhungen zustehen, in der Gehältertabelle aufsteigen können sollen die Mitarbeiter künftig nur noch nach einer positiven Evaluierung und die Gehältertabelle insgesamt nach unten revidiert werden.
Dabei hatte der Verwaltungsrat von Luxair Group ursprünglich sogar ein Sparziel von 18 Millionen Euro festgelegt, nachdem das Beratungsunternehmen Roland Berger in seiner strategischen Analyse zum Schluss gekommen war, um die Airline bis 2015 wieder fit zu machen, müssten 23 Millionen Euro gespart werden, davon 19 beim Personal. Dennoch, sagt Adrien Ney, reichten 7,5 Millionen Euro jetzt aus, um den Linienflugbetrieb bis 2015, also nächstes Jahr, „überlebensfähig“ zu machen. Dafür gibt zwei Ursachen. Die erste lautet: Es läuft derzeit erstaunlich gut im Linienflugbetrieb. Im Juni, erklärt Ney, zählte die Airline 29 Prozent mehr Passagiere, die Einnahmen stiegen um sieben Prozent. Im ersten Semester lagen die Passagierzahlen insgesamt 23 Prozent über dem Vorjahresniveau. „Wir haben Flüge, die sind ausgebucht. Das hatten wir vorher ja nicht“, stellt der CEO fest. Bei stattlichen 68 Prozent liegt inzwischen der Ladefaktor. Doch weil der Zuwachs hauptsächlich im unteren Preissegment stattfindet, bräuchte die Airline eigentlich einen Ladefaktor von 85 Prozent, um ein ausgeglichenes Ergebnis zu erreichen.
Ausgeglichenes Ergebnis – das ist ein gutes Stichwort. Dass die Interpretation davon, was eigentlich ein ausgeglichenes Ergebnis ist, sich immer wieder ändert, ist die zweite Ursache dafür, dass Ney trotz reduzierter Sparziele daran glaubt, dass das Linienfluggeschäft nächstes Jahr für „überlebensfähig“ erklärt werden kann. Ein Betriebsergebnis von „ minus fünf Millionen“ peilt Adrien Ney derzeit an. Vor zwei Monaten, bei der Vorstellung der Ergebnisse für 2013, waren die Ziele noch etwas ambitionierter. Da verstand der CEO unter ausgeglichenem Ergebnis noch einen operativen Verlust von zwei bis drei Millionen.
Für 2014 ist die Airline ihrem Budget, das ein Betriebsergebnis von -12 Millionen Euro vorsieht eineinhalb bis zwei Millionen Euro voraus. Wenn keine unvorhergesehenen Ereignisse eintreten, beschwichtigt Ney, könnte der Vorsprung bis zum Jahresende aufrechterhalten werden. Dennoch hat der Vorstand eine „Profitwarnung“ an den Verwaltungsrat erteilt. Denn im Budget von Luxair Group insgesamt werden die „besseren“ Ergebnisse der Airline durch schlechtere Resultate des Reiseveranstalters ausradiert. Luxair Tours fehlen im Juli die Kunden, ein Phänomen, das auch andere europäische Reiseveranstalter treffe, wie Adrien Ney erklärt, der sich Sorgen macht, dass dieser neue Trend sich auch in den kommenden Jahren fortsetzt. Somit steht auch ein Fragezeichen über der Firmensparte, die in den vergangenen Jahren, als es im Linienflugbetrieb und auch in der Frachtabwicklung besonders schlecht lief, als Firmenjuwel lobgepriesen wurde.
Dabei gibt es intern jedes Jahr bei der Aufstellung des Budgets Streitereien darüber, wie profitabel und konkurrenzfähig Luxair Tours überhaupt ist. Die Verteilung der Betriebskosten zwischen den Firmensparten, insbesondere zwischen der Airline und dem Reiseveranstalter, der Kapazitäten bei der Airline kauft, war auch ein Punkt, der den Unternehmensberatern von Roland Berger ins Auge sprang, als sie versuchten herauszufinden, weshalb das Liniengeschäft trotz überdurchschnittlich hoher Einnahmen pro Sitz und Kilometer unrentabel sei. Im Bezug auf die Personalkosten, die Catering-Kosten, die Kosten für den Ticket-Verkauf und die Verwaltungskosten, welche die Airline trägt, wiesen sie unter dem Stichwort „Internal transfer pricing“ immer wieder daraufhin, dass die Airline im Vergleich zum Reiseveranstalter überproportional belastet werde. Allein was die interne Verrechnung der Piloteneinsätze betrifft, identifizierte Roland Berger eine Mehrbelastung zu Ungunsten der Airline von einer Millionen Euro. Was den Einsatz des restlichen Flugpersonals betrifft, dürfte Land-Informationen zufolge noch einmal der gleiche Betrag anfallen. Im Umkehrschluss fiel die Kostenberechnung bei Luxair Tours so günstig aus, dass der Reiseveranstalter besser dastand als die Billigfluggesellschaft Easy Jet. Das hat in der Vergangenheit auch schon im Verwaltungsrat für derartige Diskussionen gesorgt, dass die Firmenleitung aufklären musste, dass unter Berücksichtigung des eigenen Streckennetzes und der vollen Vertriebskosten, die für den Reiseveranstalter anfallen, Luxair Tours dann doch eine höhere Kostenbelastung habe als der britische Billigflieger.
In die Gewinnzone kann auch eine andere Kostenverteilung die Airline nicht bringen – dass die Rendite seit Jahren sinkt, während die Personalkosten im Betrieb insgesamt steigen, ist eine Realität. Und ob dieses interne Buchhaltungsgeschacher angesichts einer Gewinnmarge von vier Promille vergangenes Jahr für Luxair Group insgesamt überhaupt eine Rolle spielt, ist fraglich. Vielleicht ist es vielmehr der Hinweis darauf, dass es bei Luxair an mehr Fronten brennt, als bisher nach außen dargestellt wurde. Entsprechend gehörte nicht nur die Airline auf den Prüfstand, auf die sich in den vergangenen Jahren die Expertenanalysen und Sanierungsversuche konzentriert haben. Stattdessen müsste man in der Firmenleitung anfangen, sich Gedanken darüber zu machen, ob das Produkt Luxair Tours und die Vertriebskanäle noch zeitgemäß sind. Denn billig ist das Reisen mit Luxair Tours nicht. Und während sogar die Luxemburger Bourgeoisie sich mit dem Automobilclub nach Fernost auf Abenteuerreise traut, sucht man bei Luxair Tours vergeblich nach exotischen Reisezielen, die überdies vor allem analog, übers Reisebüro angeboten werden. So analysiert ein Mitarbeiter im Bezug auf die Kundendemografie: „In 15 Jahren sind unsere Kunden ausgestorben.“
Es ist nicht so, dass die Firmenleitung nicht erkannt hätte, dass Luxair Tours vor allem davon profitiert, dass ihr Reiseveranstalter eine Monopolstellung genießt und der einzige ist, der den Abflug vom Findel aus anbietet. Die Gewerkschaften hat sie schon davor gewarnt, was passieren könnte, wenn diese Monopolstellung gebrochen, ein anderer Anbieter ins Revier eindringen und Pauschalreisen direkt ab Luxemburg anbieten würde. Aber nach wie vor hapert es an der Reaktivität. Um sich auf diese Konkurrenz vorzubereiten, müsste der Reiseveranstalter sein Angebot, die Preispolitik, die Vertriebskanäle und die Möglichkeiten die Nachfrage einer jüngeren Kundengeneration zu stimulieren, radikal überdenken. Dass das nicht unbedingt die Stärke von Luxair ist, hat sich bei der Airline gezeigt. Dass die Nachfragestimulation möglich ist, zeigen die Passagierzuwachsraten. Doch während der Zeit, die es gebraucht hat, bis sich die Firma getraut hat, eine neue Preis- und Angebotspolitik umzusetzen, haben sich die Verluste gehäuft.
Angesichts dessen kann das neue reduzierte Sparziel der Firmenleitung umso mehr überraschen. Zumal im Vergleich zum jährlichen Personalkostenanstieg, den die Firmenleitung beklagt: Bei einer Indextranche und dem, was die Gehältertabellen vorsehen, steigt die Lohnmasse von Luxair Group jährlich um sieben Millionen Euro, ein Betrag, der auf der Einnahmenseite nicht ohne Weiteres reinzuholen ist. Und die ehemals „fliegende Bank“ Luxair ist dabei ihren Kontostand rapide zu senken: Von 250 Millionen Euro „Bargeld“ Ende 2011 auf 157 Millionen Euro Ende 2013. Die Firma hat in die Erneuerung ihrer eigenen Flotte investiert, in den Kühlbereich für Medikamente im Frachtzentrum und nicht zuletzt in ihre Beteiligung bei Cargolux. Bei der Kapitalerhöhung 2013 waren es 50 Millionen Euro. Vergangenen März mussten die Aktionäre von Cargolux noch einmal nachlegen. Und ob damit für die kommenden Jahre Ruhe herrscht, ist nicht sicher, denn bei der letzten Verwaltungsratssitzung von Cargolux musste festgestellt werden, dass der letzte unter Ex-Verkaufschef Robert Van de Weg erstellte und auf Wachstum ausgelegte Business-Plan vielleicht doch ein wenig optimistisch war. Dabei sieht Luxair selbst über die nächsten fünf Jahre Investitionen unter anderem für eine Flottenerneuerung von 255 Millionen Euro vor, wie sich aus den im Rahmen der Tarifvertragsverhandlungen vorgelegten Dokumente ergibt.
Da ist es weniger überraschend, wenn Adrien Ney sagt, dass es bei den Tarifvertragsverhandlungen nicht um „Profitmaximierung“, sondern um das nackte „Überleben“ der Firma gehe und hofft, dass das Personal und ihre Vertreter dies einsehen. Die Frage ist, ob bei dem vielen Hin und Her, den widersprüchlichen Botschaften – die Airline riskiert das Unternehmen in den Bankrott zu treiben, verbessert ihr Ergebnis dann spektakulär, ... – und den entsprechend variablen Sparvorgaben – erst 18 Millionen, dann 13, dann wieder 18, dann 7,5 – ihm tatsächlich noch jemand folgen kann. Im Moment sieht es eher nicht so aus. Laut OGBL-Sekretär Hubert Hollerich ist das Personal so sauer über das, was es als Taktieren der Firmenleitung empfindet, die nach Ansicht vieler auf Zeit spielt, um Anfang 2015 die Gehältertabelle außer Kraft setzen zu können, dass er vergangene Woche einige Mitarbeiter dazu überreden musste, von wilden Streikaktionen abzusehen. Der aktuelle Kollektivvertrag läuft Ende September aus. Die Schlichtungsfrist dauert bis Anfang November. Für die Zeit danach bereiten sich die Gewerkschaften auf Aktionen vor, sagt Hollerich, „damit wir dann nur noch auf den Knopf drücken müssen“.