Der Neue heißt Dirk Reich, ist Schweizer, kommt aus der Führungsriege von Kühne + Nagel und war zuvor auch bei Lufthansa tätig. Am Mittwoch nominierte ihn der Verwaltungsrat als CEO von Cargolux. Bei seiner Vorstellung gab es einen Vorgeschmack darauf, warum das Votum einstimmig ausfiel, alle Camps und Clans im Verwaltungsrat seine Nominierung befürworteten. Denn auf die Frage, ob er glaube, dass es in Zhengzhou Fracht abzuholen gebe und ob der Plan für eine Zusammenarbeit mit HNCA aufgehen könne, antwortete Reich geschickt diplomatisch: „Ganz klar: Ja. Es gibt Fracht dort. Grundsätzlich gibt es Fracht in China und es gibt eine Verlagerung der Aktivitäten von den Küsten ins Hinterland. Das ist eine generelle Aussage.“ Damit bestätigte er, was HNCA-Berater Robert Song im Vorfeld des Deals gepredigt hatte.
„Wie viel Fracht es da gibt und zwar zusätzliche Fracht, nicht Fracht aus Shanghai, Hongkong oder Peking, die dorthin geht, sondern zusätzliche Fracht aus der Region, hängt vom Entwicklungstempo ab, wie viel, wie schnell. Deshalb ist nicht festgelegt, ab welchem Tag wir mit Frequenzen fliegen.“ Damit gab er den HNCA-Zweiflern Recht und lobte indirekt das alte Managementteam für dessen „Nachverhandlung“ in punkto Flugfrequenzen und Rentabilitätssockel.
„Aus finanziellen Gründen macht es uns der Partner leichter, indem es einen Entwicklungsfonds gibt. Ohne den Entwicklungsfonds seitens der Chinesen, mit dem sie uns bei der Entwicklung unterstützen, würde ich das nicht so leicht sagen. Dann hätte ich sicherlich nicht gesagt, dass wir in vier Wochen starten.“ Eine Aussage, mit der Reich sowohl dem Pro- als auch dem Contra-Camp zustimmte.
„Das heißt, auf der einen Seite gibt es Fracht und für die Finanzen, die mit jedem Neuanfang verbunden sind, gibt es finanzielle Unterstützung. Aus meiner persönlichen Sicht ist es für Cargolux eine Umsonst-Option, in einen neuen Markt hineinzuwachsen und zusätzliche Verkehrsrechte zu bekommen. Intra-Asien ist der am stärksten wachsende Markt und nicht nur nach Amerika, sondern wenn man weiterdenkt, kann man noch mehr Relationen bedienen, in denen Cargolux heute gar nicht ist.“ Also hatten alle Recht, diejenigen, die in der Vergangenheit gesagt hatten, die Verlagerung der Aktivitäten ins Hinterland würde zu lange dauern, als dass Cargolux davon schnell profitieren könne, und diejenigen, die in der Partnerschaft eine strategische Zukunftsoption sahen, um Cargolux Zutritt zum innerchinesischen, zum asiatischen Binnenmarkt und zu neuen Trans-Pazifik-Routen zu verschaffen.
In diesem Sinne fuhr Reich fort: „Ist es sicher? Nein. Es bedarf unserer eigener Anstrengungen. Die lokale Regierung (die Regierung der Provinz Henan, Anmerkung der Red.) wird wenig dazu beitragen können, dass Kühne + Nagel, Panalpina und Schenker ab morgen alle Fracht dort uns geben. Das wird Entscheidung der Kunden, der Spediteure sein. Wir müssen unsere Hausaufgaben machen. Das ist die Hauptaufgabe des neuen Managementteams.“ Damit sprach Reich wiederum den Kritikern aus dem Herzen, die sagen, dass HNCA keinen Einfluss auf die Warenströme wird nehmen können. Aber auch jenen, die finden, dass bei Cargolux mehr Energie aufs Streiten als aufs Arbeiten verwandt wird.
„Durch die Vereinbarung, die unsere Aktionäre eingegangen sind, sind wir finanziell einigermaßen abgesichert“, so Reich, der dadurch den Luxemburger Unterhändlern attestierte, doch nicht ganz so schlecht verhandelt zu haben, wie die Kritiker des Deals sagen.
„Grundsätzlich sehen wir das als neues Managementteam als eine Chance, die wir nicht gehabt hätten, wenn irgendein Private-Equity-Investor die 35 Prozent übernommen hätte. Dann hätten wir heute hier gesessen und gesehen, wie können wir schnell das Geld der Kunden bekommen und weniger schnell unsere Supplier bezahlen. Dann hätte Luxair viel langsamer Geld bekommen“, sagte Reich, gab damit sogar noch der Vorgänger-Regierung Recht, die bereits einen reinen Finanzinvestor ausgeschlossen hatte, und profitierte davon, Abhängigkeiten und Kräfteverhältnis mit dem größten Teilhaber und Zulieferer abzustecken.
„Es ist wesentlich positiver, dass man versucht, auf der Kunden-, auf der Marktseite sustainability zu erreichen (...) und dass man das nicht nur auf der Kostenseite macht – auch da haben wir Themen. Aber die Zukunft von Cargolux liegt auf der Kundenseite, in den Märkten.“ Nimm das, Qatar Airways! Der ehemalige Aktionär hatte versucht, mit Hilfe der Beratungsfirma Oliver Wyman die Firma bis in die Bedeutungslosigkeit zusammenzusparen und zu schrumpfen.
Dann sendete Reich ein Signal an die Gewerkschaften und Arbeitnehmervertreter. Denn die Zukunft, fuhr er fort, hänge nicht „daran, dass man hier den letzten Cent einspart und alles in Frage stellt, was in Luxemburg vorhanden ist. Davon bin ich 100-prozentig überzeugt. Mit ‚nur Kosten’ schaffen wir es auf Dauer nicht, Gewinne zu erreichen, die uns erlauben, ein finanzielles Polster anzulegen, um die nächste Krise zu überstehen.“ Ein Polster, das „weit mehr ist, als jetzt da ist“, schloss Reich und bestätigte damit die Analyse jener, die überzeugt sind, dass Cargolux finanziell zu schwach auf der Brust ist, um künftige Turbulenzen allein überstehen zu können. Zwar hat Cargolux Land-Informationen zufolge das vergangene Jahr mit einem Gewinn von acht Millionen Dollar abgeschlossen. Dass das Ergebnis positiv ist, ist eine gute Nachricht. Aber bei der im Vergleich zum Umsatz der Firma geringen Summe einerseits und ihrem Finanzierungsbedarf andererseits, noch lange kein Grund zum Jubeln. Deshalb interessiert sich auch Dirk Reich sehr für die „Kleinigkeiten“, die es noch zu besprechen gilt, bevor die Chinesen tatsächlich das Portemonnaie aufmachen.
Cargolux-Verwaltungsratspräsident Paul Helminger sagte am Mittwoch, voraussichtlich würde die Kapitalerhöhung von rund 175 Millionen Dollar, sowie die Übertragung der Anteile des Staates an HNCA, wie auch die Übertragung der Luxair-Anteile an den Staat von rund 8,4 Prozent des Cargolux-Kapitals, am 24. oder 25. April stattfinden. Davor, erklärte er, brauche man eine unwiderrufbare Zusage der Chinesen, dass das Geld kommt. Das würde den Buchprüfern erlauben, den „Going-concern-Status“ auszustellen und auf dieser Grundlage den Jahresbericht durchzuwinken.
Dass Cargolux wegen dieser finanziell angespannten Lage den Einstieg von HNCA braucht, daran gibt es immer weniger Zweifler. Vor allem, seit sich herumspricht, dass es außer dem Angebot eines Finanzinvestors – politisch unerwünscht – und einem anderen, das eher auf eine Leihgabe, denn auf einen Kauf hinauslief, nichts vorlag, kein weiterer Interessent nach dem Blick in den Datenraum der Cargolux eine konkrete Offerte abgeben wollte.
Eine Info, die sich in der Zwischenzeit auch bis zu Robert Song und HNCA herumgesprochen hat, die das eher weniger spaßig finden und sich wahrscheinlich fragen, ob sie nicht mehr für die Cargolux-Beteiligung zahlen als notwendig. Ein Umstand, der teilweise erklärt, weshalb die Unterhändler partout den Deckel auf dieser besonderen Information halten und deshalb in den vergangenen Monaten keine Fragen zu Alternativangeboten beantworten wollten.
Auch Robert Song selbst wurde als Senior Vice-President mit Zuständigkeit für Asien und den Pazifik nominiert. Helminger spannte am Mittwoch einen sehr weiten Bogen über die neue Bedeutung der Region in der strategischen Ausrichtung der Firma, um zu erklären, weshalb man Song hierarchisch eine Etage höher ansiedelt, als den Mann, den er ersetzt. Matthew Ma, der zum ehemaligen Todfeind Qatar Airways wechselt, hatte als Vice-President unter dem Senior Vice-Präsident mit Zuständigkeit für das globale Netzwerk Robert Van de Weg gedient. Dass Song und Van de Wegs künftiger Ersatz gleichgestellt sind, preist Helminger als Vorteil an. HNCA-Zweifler sehen darin Konfliktpotenzial, wenn es darum geht, den Einsatz der Flotte zu planen und sich Fragen zur Rentabilität dieser oder jener Route zu stellen.
Helminger hob hervor, dass es keine Stimmen gegen Song gab, sich die Personalvertreter beim Votum enthalten hatten. Das führte er darauf zurück, dass er den Personalvertretern im Verwaltungsrat im Vorfeld die Ergebnisse einer durch eine externe Agentur durchgeführte Due dilligence vorgestellt hatte, die nichts Bedenkliches zu Tage gefördert hatte. Er betonte, Song erhalte den gleichen Vertrag wie alle anderen Senior Vice-Presidents auch, unterliege dadurch den gleichen Auflagen, was Geschäftsverbindungen und wirtschaftliche Interessen betreffe wie alle anderen, müsse sich den gleichen Ethik- und Gouvernance-Vorgaben unterwerfen wie die anderen Management-Mitglieder.
Was Helminger da machte, war ein Drahtseilakt vergleichbar mit einer Überquerung der Nigarafälle – ohne Sicherungsseil. Denn im Endeffekt präsentiert sich die Situation wie folgt: Dass die Due dilligence durchgeführt wurde, liegt einerseits an Beteiligungen Songs oder anderen von ihm bisher durchgeführten professionellen Aktivitäten, die ihn, wie seine Kritiker befürchten, in einen Interessenkonflikt bringen könnten. Deshalb pochte Helminger am Mittwoch darauf, dass er diese mit seinem Engagement bei Cargolux aufgeben müsse und dass für ihn die gleichen Regeln gelten wie für die anderen.
Doch daneben gibt es im Hintergrund vage Gerüchte über seine Geschäftspraktiken. „Sorgen derjenigen, die denken, er mache manchmal Sachen, die so in Europa oder den USA nicht gemacht würden“, formulierte das Helminger am Mittwoch und begab sich auf einen Minenfeld, weil er damit die Zweifel an Songs Integrität erstmals überhaupt öffentlich aussprach. Es sind diese Zweifel, die Geschäftsanwalt Paul Mousel, entgegen seiner offiziellen Angaben, eine Gesetzesänderung limitiere die Zahl der Verwaltungsratmandate, die er ausüben könne, dazu bewegt haben, sein Mandat im Verwaltungsrat vor der Entscheidung abzugeben. Helminger konkretisierte also den Verdacht, um dann gleich zu sagen, dass es dafür keine Anhaltspunkte gab.
Vom Land kontaktiert, erklärt Robert Song, dass sein einziges Engagement die Firma Aviaport in Hongkong betreffe, an der er als director beteiligt sei. Aviaport sei ein Beratungsunternehmen, sagt er und er der Hauptberater. Seit der Gründung der Firma habe sie hauptsächlich HNCA und die Provinz Henan beraten. Dass er sich daraus zurückziehen würde, sei bereits abgemacht. „Nichts, was wir in China tun, würde anderswo, auch im Westen, das Gesetz brechen“, sagt Song. Er habe acht Jahre lang für Air Bridge Cargo gearbeitet und über zehn für Air New Zealand, letztere eine der wenigen Airlines, die mit einer weißen Weste aus der globalen Preisabsprachenaffäre hervorging, in die Cargolux verwickelt war. Wenn es irgendwelche spezifischen Verdächtigungen oder Anschuldigungen gebe, sei er gerne bereit, darauf zu antworten. Sein Abgang bei Air Bridge Cargo sei unterem darauf zurückzuführen, dass man ihm den CEO-Posten angeboten habe, was einen Umzug nach Moskau bedingt hätte. Dazu sei er nicht bereit gewesen, weil er in Moskau – aufgrund der Sprachenbarriere – wenig hätte ausrichten können und wegen seiner Familie. Ob für ihn in einem Rechtsstaat keine Unschuldsvermutung gelte, fragt Song – berechtigterweise. Doch seine Kritiker werden ihm entgegenhalten, dass beispielsweise Korruptionsvorwürfe – die Handbewegung, mit der die „Gerüchte“ illustriert werden, ist ein Hinweis darauf – auch im Westen schwer nachzuweisen sind, weil die beteiligten Parteien sich selbst inkriminieren müssten, um den Vorwurf gegen die jeweils andere zu bestätigen...
Helminger erklärte, es sei „unsere“ Initiative gewesen, Song ins Management zu holen, anstatt die von der chinesischen Seite geforderte Einbindung in die Geschicke auf den Verwaltungsrat zu beschränken. Gleichzeitig räumte er ein, er wisse nicht, was passieren würde, hätte man Song nicht rekrutiert. Als Gouvernance committee sei man aber zur Ansicht gelangt, dass es gut sei, Robert Song als „Architekt des Deals mit in die Verantwortung zu nehmen“. Aus dieser Sicht ist Song die Rückversicherung der Cargolux gegenüber den chinesischen Geldgebern. Bleibt die Entwicklung in Zhengzhou unter den chinesischen Erwartungen, kann Cargolux auf Song, „ihren“ Mann, verweisen und ihn dafür verantwortlich machen.
Das alles macht die Personalie Song nicht weniger heikel. Ob die Verdächtigungen und Gerüchte gegen Robert Song nicht ausreichten, um das Verhältnis zu den Kunden aufs Spiel zu setzen, wollte am Mittwoch ein Journalist von Paul Helminger wissen, der dies bestritt. Dabei sollte man nicht vergessen, dass sich bei der Rückkehr von Ulrich Ogiermann und Robert van de Weg nach ihrer Gefängnisstrafe wegen illegaler Preisabsprachen in den USA mancher die Frage gestellt hatte, ob die Compliance-Vorschriften beispielsweise amerikanischer Kunden eine Zusammenarbeit mit ihnen noch erlauben würden.
Robert van de Weg selbst wird vorerst nicht ersetzt, seine Aufgaben übernimmt kommissarisch der neue CEO Dirk Reich. Van de Weg und Peter Van de Pas wechseln zu Air Bridge Cargo, dem frühreren Arbeitgeber von Robert Song, die den Flughafen Zhengzhou übrigens täglich bedient. Van de Pas seinerseits wird durch Marcel Funk und Onno Pietersma ersetzt, die zu Senior Vice-Presidents mit Zuständigkeit für die Flugoperationen beziehungsweise der Wartung befördert wurden – dabei gehörten sie zu den Vertretern des mittleren Managements, die schriftlich gegen den HNCA-Deal protestiert hatten. Auch sie sind bei der Belegschaft nicht unumstritten – gegen ihre Nominierung gab es seitens der Personalvertreter Gegenstimmen im Verwaltungsrat.
Weil sich die Situation bei Cargolux in den vergangenen Monaten vollkommen verselbstständigt hat, sind die Erwartungen an den neuen CEO Dirk Reich, alle Mitarbeiter hinter sich zu versammeln und ihnen die Marschroute vorzugeben, enorm. Deshalb ist es wichtig, dass sich alle Beteiligten in ihren Sorgen von ihm ernst genommen fühlen. Besonders in der Anlaufphase der Zhengzhou-Route und wenn die geplanten Joint-Ventures geprüft werden, muss er über jeden Verdacht der Parteilichkeit erhaben sein. „Starten“ soll die Anlaufphase nächsten Monat mit zwei Flügen wöchentlich, danach soll die Frequenz je nach Nachfrage auf binnen einen bis drei Monaten auf vier Flüge hochgeschraubt werden, wie CFO Richard Forson erklärte. „Vor dem 24. April“ soll dann auch das Closing der Aktientransaktion abgeschlossen sein und das Geld fließen, so Robert Song. Man warte darauf, dass die Anwälte die letzten Dokumente ausarbeiteten.