Kunst der Maskerade

Feuerwerk und Löscharbeiten

d'Lëtzebuerger Land vom 28.06.2013

Heute loben wir die Kunst der Maskerade. Selten war das offizielle Zeremoniell zum Nationalfeiertag so deplaziert und schaurig wie in diesem Jahr. Da bauten sich ausgerechnet jene Staatswürdenträger, die bis über die Ohren im Affärensumpf stecken, in ihrer vermeintlichen Bedeutsamkeit vor dem Volk auf und mimten wacker business as usual. Die erlesene Lächerlichkeit dieser amtlichen Kavalkade kann man an einem typischen Bild ablesen: Juncker und Halsdorf im feierlichen Frack auf der Ehrentribüne bei der Militärparade. Hier wird der ominöse Teppich, unter dem beharrlich und gezielt alle Skandale verscharrt werden, plötzlich zum verräterischen Kostüm. Die beiden Minister, zerzaust von wüsten Fehlentwicklungen im Staat, winken nicht mit dem Scheunentor, sondern mit dem staatsmännischen Frack, der Garderobe der Unbescholtenen, Unfehlbaren und Überlegenen. Nichts ist passiert, nichts läuft schief, wir stehen hier und strotzen vor Selbstgefälligkeit, wie immer und ewig. Wir haben es zwar faustdick hinter den Ohren und unter dem Frack, doch die Volkstäuschung läuft wie geschmiert. Der Kleidertrick scheint zu funktionieren. Aber die Könige sind nackt.

Mitten im Sturm bringt es die Regierung nicht einmal fertig, endlich den offiziellen Festakt loszukoppeln vom penetranten religiösen Varieté in der Kathedrale. Es wäre ein Zeichen zugunsten der weltanschaulichen Vielfalt gewesen, wenn der Staat die katholischen Regisseure und Zeremonienmeister in die Kulissen verbannt hätte. Aber nein. Der Herr Gott ist immer noch der unanfechtbare Despot im Großherzogtum. Da sinken auch Sozialdemokraten, die ansonsten gern mit Atheisten schäkern, untertänigst auf die Knie. Wir bleiben also bis auf weiteres ein trister, obskurantistischer Kleinstaat. Die konfessionelle Umklammerung wird festgeschrieben bis hinein in das neue Schulreformgesetz. Was gibt es da zu feiern? Te Deum laudamus? Wofür? Für die gut geölte Komplizität mit den staatlichen Falschmünzern?

In den vorderen Stuhlreihen der Kathedrale sehen wir ein komplettes Wachsfigurenkabinett. Erstarrte Amtsträger, die nur mehr eines im Sinn haben: krampfhaft Normalität auszustrahlen. Gleich neben dem Votivaltar tummelt sich wie gewohnt die Dynastie. Dass die Monarchie, die höchste Form der Demokratieverhöhnung, immer noch von der Verfassung geschützt wird, leuchtet längst keinem freiheitsliebenden Luxemburger mehr ein. Aber hier scharen sich die Begnadeten selbstbewusst um ihren Deus, ihre allerbeste Erfindung, ihren zuverlässigen, stets einsatzbereiten, allerheiligsten Klabautermann. Gehen wir hin in Frieden: Nichts ist passiert, alles bleibt beim Alten und Uralten. Hier im Gotteshaus kann man die staatliche Sklerose besichtigen. Alle tun, als gäbe es nicht den geringsten Anlass zur Beunruhigung. Gottes Wasser läuft wie immer malerisch über Gottes Land. Im Weihwasserfeuchtgebiet gedeihen wie immer die prächtigsten Sumpfblüten.

Am Vorabend zum Nationalfeiertag sprachen im Fernsehen und im Rundfunk zwei unerschütterliche Architekten des CSV-Staats, die Herren Frieden und Juncker. Sie wurden ihrer selbstverordneten Rolle gerecht: nichts zugeben, alles bestreiten, Optimismus verströmen. Laut Juncker ist der Rechtsstaat gar nicht dabei, Schiffbruch zu erleiden, es herrscht nur „böser Streit“. Was soll denn da „böse“ sein? Ist der Bürger ein Bösewicht, wenn er Kritik äußert? So redet ausgerechnet einer, der früher emphatisch die „Streitkultur“ beschworen hat. Herr Frieden forderte das Volk energisch auf, „unseren Institutionen zu vertrauen“. Ganz so, als seien sie vertrauenswürdig. Kein Wort über die ungeheuerlichen Vorgänge im Staatsapparat, kein Hauch von verhaltener Selbstkritik, keine Introspektion und keine Einsicht. Das ganze Problem ist: Wir Bürger beschäftigen uns mit den falschen Problemen. Dieser CSV-Staat bewegt sich nicht mehr. Er hat sich buchstäblich selbst unter den ominösen Teppich gekehrt. Es regieren die Wachsfiguren.

Soeben merken wir: Diese Kolumne ist wieder furchtbar unanständig und tendenziös. Daher kommt jetzt zum Ausgleich ein versöhnlicher Schluss. Warum sollten wir uns noch länger aufregen über den dramatischen Sittenverfall im Staat? Wir wissen doch, was unsere Entrüstung wert ist. Sie wird elegant nicht zur Kenntnis genommen. Wir „bösen“ Bürger haben es offenbar mit lauter Schwerhörigen zu tun, mit Verstockten und Verbohrten, mit Gedächtnisverlustathleten und systematisch Missverstandenen. Aber diese Menschen sitzen in der Regierung und tragen am Nationalfeiertag einen Frack. Und wir? In Kleiderfragen sind wir reine Amateure, und in Regierungsangelegenheiten sowieso. Und am Nationalfeiertag lästern wir niveaulos über den Staatschef.

Wir haben einfach nur die falschen Ansichten. Es wäre langsam an der Zeit, unsere falschen Ansichten nachdrücklich zu bekämpfen. Wie das geht? Am besten mit Hilfe einer generellen Amnesie. Die kann man sich leicht zulegen. Man muss nur ein bisschen üben. Oder beim lieben Staat nachfragen. Der schickt uns auf Wunsch einen kompetenten Coach.

Guy Rewenig
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