Staatenlenker

Schlamasselchef, honoris causa

d'Lëtzebuerger Land vom 17.05.2013

Heute loben wir die authentischen Staatenlenker. Auf diese schockierende Nachricht hätten wir gerne verzichtet: Herr Juncker beschäftigt offenbar seit Jahren einen Doppelgänger, der ihn bei Arbeitsüberlastung ersetzt. In anderen Worten: Während der Premier im Ausland weilt – und dort weilt er immer länger und immer ausgiebiger –, spielt hierzulande ein schwach begabter Laiendarsteller den Juncker. Das Ausmaß dieser Enthüllung lässt sich noch gar nicht abschätzen. Ersten Berechnungen zufolge wäre es durchaus möglich, dass sich Herr Juncker seit Jahren nicht mehr in Luxemburg aufgehalten hat. Er gilt sogar halboffiziell als verschollen im unendlichen Reich der europäischen Preisüberreichungen und Ego-Wellness-Oasen.

Uns Bürgern bleibt ein neuer Volkssport. Nämlich das schöne Ratespiel: Wo ist der echte Juncker, und wo der falsche? Wem hat die Universität Porto zum Beispiel neulich die Ehrendoktorwürde verliehen? Dem echten natürlich. Das schließen wir aus der wunderbar präzisen und junckerkonformen Begründung. Der echte Juncker hat sich nämlich laut Laudatio um die „Entwicklung des europäischen Aufbauwerks“ mehr als verdient gemacht. Ein Freund meinte: Da können wir nur hoffen, dass es sich nicht um das Aufbauwerk namens Stay behind handelt. Schlechte Scherze dieser Art sollte man dem echten Juncker nicht antun. Und übrigens ist Stay behind ja eigentlich ein europäisches Abbauwerk.

Kurz darauf saß der garantiert echte Juncker beim philosophischen Chocolatier Richard David Precht in der ZDF-Edelboutique für rhetorische Pralinen. Zwei ungekrönte Großmeister des Seifenblasenpustens unter sich: da musste zwangsläufig Eintracht herrschen, da spielten sich zwei Komplizen der schöngeistigen Weltbetrachtung gegenseitig die Pointen zu. Ach, das war echt außerirdisch! Eine mitternächtliche Weihestunde fern von mickrigen Bürgern und ständig empörten Zeitgenossen, die Herrn Juncker mittlerweile gar nichts mehr glauben wollen, ein Fest der gut geölten Stimmbänder, ein idyllischer Männerausflug ins leuchtende Wolkengebirge. Zwei durchtrainierte Phantasten und Mundwerkkünstler erproben das „Weltherrschertum“, gediegen und wortreich, neckisch und mit gepflegter Ironie. Da können wir armen, nörgelnden Kleingeister aus dem Kleinstaat nur die Waffen strecken. Ja, das war zweifelsfrei der echte Juncker. Und der echte Precht sowieso.

Was aber sollen wir von jenem Juncker denken, der sich hierzulande immer auffälliger in den Fangeisen des Rechtsstaats verheddert? Da ist eindeutig der talentfreie Doppelgänger am Werk. Verlassen wir kurz das kuschelige, deutsche Fernsehstudio und werfen wir einen Blick in die aktuelle luxemburgische Talkshow der so genannten Geheimdienstuntersuchungskommission. Der Unterschied zu Prechts philosophischer Zuckerbäckerei könnte krasser nicht sein. Auch die Herren Abgeordneten stellen Fragen und möchten etwas erfahren. Doch wie reagiert der falsche Juncker? Jedenfalls ganz anders als der echte beim Star-Croupier des deutschen Denkercasinos. Dort ist der echte gut aufgelegt, entgegenkommend, freundlich, hier benimmt sich der falsche kratzbürstig, abweisend, maulfaul, dort lässt sich der echte auf seinen Gesprächspartner ein, hier wirkt der falsche ausgesprochen herablassend und süffisant. Mit den Luxemburger Abgeordneten springt dieser Doppelgänger um, als seien sie allesamt hergelaufene Wadenbeißer. Man hört buchstäblich zwischen den Zeilen, was er von den versammelten Volksvertretern denkt: Hunn ech dat do néideg, mech hei mat deenen Huelkäpp ofzeginn, déi gi mer all schwéier op de Sak!

Allein die Mimik des falschen Juncker spricht Bände. Er schneidet Leidensgrimassen aus lauter innerer Wut, weil die Untersuchungskommission es sich überhaupt herausnimmt, seine Unantastbarkeit sträflichst zu missachten. Mit allen Gesichtsmuskeln sagt er: Es ist eine Schande, dass ich ausgerechnet hier zur Welt kommen musste, hier in diesem elenden, profillosen, geistig unterbelichteten Kaff! Et mecht Iech Spaass, hei Untersuchungsriichter ze spillen, sagt er aufgebracht zu einem Abgeordneten, und man hört heraus: Ihr werdet euch doch wohl nicht erwarten, dass ich bei eurem miserablen Affenzirkus mitspiele, ihr verdammten Amateure! Ja, wo hat dieser blasse Juncker-Imitator eigentlich sein Handwerk erlernt? Auf einer Dorftheaterbühne in Hintertupfingen?

Langsam sollte der echte Juncker den falschen Juncker zur Räson bringen. Jenen dilettantischen Staatsveräppeler, der im Geheimdienstausschuss tönt: Ich weiß von nichts, ich habe keine Zeit, ich war nicht dabei, ich kann mich nicht um alles kümmern, ich kann mich nicht an alles erinnern, ich wurde hereingelegt, ich bin das Opfer, ich bin der universelle Märtyrer, ich werde von den Mächten der Finsternis verfolgt, meine Neider wollen mich fertigmachen. Unter dem Strich: Ich bin die heilige Kuh der Nation, basta! Dieser falsche Juncker ist mittlerweile ein staatspolitisches Ärgernis. Aber vielleicht ist der echte Juncker wieder maßlos überlastet. Mit der nächsten Ehrendoktorbürde.

Guy Rewenig
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