Vor 25 Jahren schoss die DP das Projekt Bus-Tram-Bunn ab. Heute muss sie aufpassen, nicht wie ein Mobilitätsproblem auszusehen

Déi mam Lydie

Lydie Polfer und Yuriko Backes auf der DP-Party nach den Gemeindewahlen
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 05.04.2024

Patrick Goldschmidt hatte Glück. Als er am Mittwoch vergangener Woche neben Hauptstadt-Bürgermeisterin Lydie Polfer saß und die beiden Liberalen der Presse den Mobilitéitsplang der Stadt vorstellten, drückte der Verkehrsschöffe sich verquer aus. Aber nur das Radio 100,7 verbreitete dieses Detail anschließend: „Et kéint een dann domat rechnen, datt den Tram deshalb nëmmen nach all sechs bis acht Minutte wäert fueren. Och an de Stousszäiten, esou nach de Patrick Goldschmidt.“

Schon diese Zahlen waren Sprengstoff. Heute fahren die Tram-Züge tagsüber alle vier Minuten. In den Stoßzeiten kann montags bis freitags sogar ein Drei-Minuten-Takt drin sein. Ein Takt von sechs bis aacht Minuten wäre eine klare Verschlechterung der Qualität.

Diese Aussicht bekam noch eine politische Note. Goldschmidt brachte sie in Zusammenhang mit einem Stück Schienenstrang, gegen das der Schöffenrat, genauer: die Bürgermeisterin, sich nach Kräften wehrt – eine Strecke vom Kreisverkehr Schuman über die Avenue de la Porte-Neuve (die Neipuertsgaass) zum Boulevard Royal.

Patrick Goldschmidt präzisierte: „Ganz kritesch“ wäre es, stünde diese Straße nicht mehr für den Individualverkehr zur Verfügung. „Eng Partei“ habe gesagt: Wir brauchen da kein Auto. „Mee ech als Stater kann net deene vum Kierchbierg oder vum Lampertsbierg, déi awer mol kënnen op den Auto ugewise sinn, zoumudden, fir bis an d’Marie-Thérèse ze fueren.“ Man konnte verstehen: Um es sich mit den Autofahrern nicht zu verderben, soll ein gegenüber heute schlechterer Fahrplantakt im ganzen Tram-Netz sogar im Berufsverkehr gelten dürfen.

Aber Patrick Goldschmidt hatte Glück. Nur wenige hörten ihm genau zu, und eine derartige Verschlechterung, wie er aus Versehen ankündigte, soll es nicht geben. Keinen Takt von sechs bis acht Minuten im gesamten Tram-Netz und sogar während der Spitzenstunden. Aber so gut wie heute bleiben, soll er anscheinend auch nicht. Jedenfalls nicht überall. Die Dinge sind technisch und politisch komplex. Und nicht ungefährlich für die DP.

Vor 25 Jahren hatten die Stater Liberalen mit Lydie Polfer an der Spitze das Bus-Tram-Bunn-Projekt abgelehnt. „Keen Zuch duerch d’Nei Avenue!“ insistierten Polfer und ihr damaliger Infrastrukturschöffe Paul Helminger ab 1998 und bereiteten damit strategisch den Wahlkampf für die Gemeindewahlen 1999 vor. Mit den Bussen gehe es auch, versicherten sie.

Dass es mit den Bussen nicht geht, stellt seit zwanzig Jahren niemand mehr in Frage. Als die Abgeordnetenkammer am 1. Februar ein Finanzierungsgesetz über die ersten beiden Abschnitte einer neuen Tramstrecke verabschiedete, ein Stück auf dem Kirchberg, ein Stück in Hollerich, tat sie das einstimig. Lange vorbei sind also auch die Zeiten, da die ADR für einen „City-Tunnel“ Reklame machte, durch den die Gleise der CFL die Stadt unterqueren sollten.

Stein des Anstoßes heute ist die Neipuertsgaass. Weiter gedacht, verbindet sich damit die Frage, wie das Tram-Netz insgesamt beschaffen sein soll. Über die Neipuertsgaass entstünde ein zweiter Zugang für die Tram ins Stadtzentrum, neben dem schon bestehenden über die Stäreplaz. Im BTB-Projekt Bus-Tram-Bunn waren Gleise durch die Neipuertsgaass auch vorgesehen; sie sollten sogar die einzige Verbindung aus der Innenstadt zum Kreisverkehr Schuman sein.

Solange François Bausch (Grüne) Mobilitätsminister war, hatte er versucht, Lydie Polfer ein Ja zur Tram über die Neipuertsgaass und weiter über den Boulevard Royal abzuringen: Einerseits ließe sich nur über diese Trassenführung eine Tram-Verbindung entlang der Arloner Straße zum CHL realisieren. Anderseits mache ein zweiter Zugang ins Zentrum das ganze Tram-Netz widerstandfähiger gegenüber Störungen und sichere gute Taktfrequenzen. Die Bürgermeisterin blieb ungerührt. Der letzte öffentliche Wortwechsel zwischen Bausch und ihr trug sich am 1. Februar im Parlament zu, als es um das Finanzierungsgesetz ging, dessen Entwurf François Bausch noch im Mai 2023 deponiert hatte. Der Ex-Minister zählte noch einmal seine Argumente und den Werdegang der Diskussionen auf. Lydie Polfer entgegnete cool: „Hien huet ganz recht gehat mat deem, wat en elo gesot huet: Mir waren net enger Meenung!“

Doch Lydie Polfers „Meenung“ hat das Zeug, zum politischen Risiko für die DP zu werden. Schließlich möchte die DP als moderne Partei wahrgenommen werden. Als eine, die sogar Ökologie so gut kann, dass Xavier Bettel „Klimapremier“ hätte werden können, wenn es am 8. Oktober dafür gereicht hätte. Weil es dafür nicht gereicht hat, soll Yuriko Backes als Mobilitätsministerin zeigen, dass die DP Tram und sanfte Mobilität genauso gut kann wie die Grünen. Kommt der Eindruck auf, dass die Stater Liberalen agieren wie ein klientelistischer Club mam Lydie, dem das Autovolk näher am Herzen liegt als das mobile Gemeinwohl, stört das. Deshalb wäre Patrick Goldschmidts Ankündigung eines generell und sogar während der Spitzenstunden schlechteren Fahrplantakts nur weil Lydie Polfer die Tram durch die Neipuertsgaass nicht will, verheerend gewesen, wenn Goldschmidt das wirklich so gemeint und mehr Presse-Publikum das mitbekommen hätte.

Dabei ist an den sechs bis acht Minuten Tram-Takt etwas dran. Er war einem Powerpoint-Dia zu entnehmen, das Tram-Betreiberin Luxtram am 11. Januar im parlamentarischen Mobilitätsausschuss gezeigt hat. Dort wurde über das Tram-Finanzierungsgesetz gesprochen, das drei Wochen später das Kammerplenum passierte: Die beiden neuen Tram-Abschnitte würden die ersten Teile einer neuen Linie Kirchberg-Hollerich. Der eine Abschnitt wird auf dem Kirchberg von Rout Bréck/Pafendall entlang des Boulevard Konrad Adenauer zum Neubaugebiet Laangfur verlaufen. Der andere würde nach dem Hauptbahnhof in die Hollericher Straße einbiegen, das neue Viertel durchqueren, das auf dem Gelände der ehemaligen Tabakfabrik entsteht, und am Bahnhof Hollerich enden. Baubeginn für die beiden Streckenabschnitte soll 2025 sein, die Fertigstellung ist für Ende 2027/Anfang 2028 geplant.

Geht Laangfur-Hollerich in Betrieb, soll auf dieser Strecke alle acht Minuten eine Tram in jede Richtung fahren. Auf der schon bestehenden Strecke führe 2028 zwischen dem Flughafen und dem Stadion in Cloche d’Or alle sechs Minuten ein Zug in jede Richtung. Weil zwischen Rout Bréck und Gare Centrale beide Linien auf denselben Gleisen unterwegs sein werden, soll dadurch auf dieser „Stammstrecke“ alle drei Minuten und zwanzig Sekunden ein Zug fahren, informierte die Präsentation von Luxtram über die „Exploitation envisagée Horizon 2028“. Das klingt gut, heißt aber auch: Zwischen Bonneweg und Hauptbahnhof, wo heute tagsüber alle vier Minuten ein Zug fährt, wäre es ab 2028 nur alle sechs Minuten einer. Idem auf der Verlängerung vom Stadion her, die am 7. Juli eingeweiht werden soll, und ab dem Flughafen.

Die Frage, warum das so sein muss, hatte Luxtram bis zum Redaktionsschluss dieses Artikels noch nicht beantwortet. Der gegenüber heute offenbar planmäßig schlechtere Takt außerhalb der „Stammstrecke“ passt nicht zu dem Versprechen, das Helge Dorstewitz, bei Luxtram Direktor für neue Linien und ab 1. Juli Generaldirektor, am Freitagabend voriger Woche im RTL-Fernsehen machte: „Sie können sicher sein, dass unsere Pläne, wie auch immer sie aussehen, wie auch immer wir sie umsetzen, keine Verschlechterung unserers Services beinhalten, sondern mindestens die Beibehaltung der Qualität oder im Idealfall eine Verbesserung.“

Dorstewitz hatte sich kurz im Fernsehen geäußert, nachdem die Grünen mit François Bausch an der Spitze Stunden zuvor eine Pressekonferenz gegeben hatten. Bausch weiß natürlich, wie delikat die Situation für die DP ist, und nutzt das gegen sie aus. Lydie Polfer und Patrick Goldschmidt schienen vergangenen Mittwoch Yuriko Backes zu widersprechen, als sie erklärten, eine Tram-Strecke entlang der Arloner Straße zum CHL sei für den Schöffenrat „nicht mehr so prioritär“. Backes hatte Anfang März in einem Wort-Interview gesagt, die Strecke habe „Priorität“ für sie. Das Hin und Her hat selbstverständlich damit zu tun, dass in den Planungen zu dieser Strecke unter François Bausch die Neipuertsgaass enthalten war. Mittlerweile legt die Ministerin Wert darauf zu betonen, sie sei sich mit der Stadt einig und der Schienenweg zum CHL habe dieselbe Priorität wie einer von der Stäreplaz entlang der Escher Straße zur Cloche d’Or (siehe das Interview auf S. 4). Bausch hatte vor einer Woche erklärt, die Strecke entlang der Escher Straße sei noch schwieriger zu realisieren als die entlang der Arloner Straße; zu diesem Vorhaben gebe es noch nicht mal „Vorstudien“. Er wisse das, „schließlich war ich zehn Jahre lang Minister“, und diese Strecke nach vorne zu stellen, komme der Versicherung gleich, „dass in den nächsten fünf Jahren nichts geschieht“.

Für so einen Vorwurf muss Bauschs Nachfolgerin natürlich sensibel sein. Fragt sich natürlich, was genau es heißt, wenn Yuriko Backes sich mit der Stadt nun „einig“ sein will über die „Priorität“ einer Linie entlang der Arloner Straße. Dass Lydie Polfer plötzlich für die Tram in der Neipuertsgaass ist, heißt es wahrscheinlich nicht. Eher, dass weder sie noch Backes sich politisch schon festlegen wollen. Vielleicht ließe sich ja entscheiden, den Straßenverkehr in der Neipuertsgaass auf einer Spur beizubehalten. Oder vielleicht ein Stück vom Park zu opfern; im Wesentlichen wären das drei große und alte Bäume. Einfach darauf zu vertrauen, dass alles noch Zeit hat, wäre dagegen trügerisch: Allein zur Planung der neuen Strecke wären ein paar Jahre nötig.

Und BTB lehrt, was für Probleme ein Minister sich einhandeln kann, wenn er den politischen Vorlieben Lydie Polfers nachgibt. Als die Stater DP vor einem Vierteljahrhundert öffentlichkeitswirksam das BTB-Projekt ablehnte, half ihr das, die Macht nach den Gemeindewahlen vom Oktober 1999 zu halten. Vier Monate zuvor aber hatten die Liberalen die LSAP als Koalitionspartnerin der CSV in der Regierung abgelöst. BTB war nicht mehr das Projekt der sozialistischen Tansportministerin Mady Delvaux, nun musste der Liberale Henri Grethen damit umgehen. Er nahm natürlich Rücksicht auf die Position der Stater und legte BTB zunächst auf Eis.

Allerdings kam er nicht daran vorbei, dass vor allem im Berufsverkehr immer mehr Pendler/innen aus dem Inland und dem nahen Ausland mit dem Auto in die Stadt fuhren. Paul Helminger, Polfers Nachfolger als Bürgermeister, kam daran ebenfalls nicht vorbei. Technisch zusätzlich kompliziert wurde alles dadurch, dass BTB keine Straßenbahn zum Ziel hatte, wie sie heute fährt. Sondern eine „Regionalbahn“ nach dem Vorbild der Stadt Karlsruhe, die sowohl auf den Gleisen der CFL fahren sollte wie auch auf eigenen Gleisen im Stadtgebiet. Zwei Drittel des Eisenbahn-Passagierverkehrs zwischen Esch im Süden und Diekirch im Norden sollten mit Train-Tram-Zügen erledigt werden.

Polfers Nein zu BTB, an dem seit 1996 geplant worden war, schuf auch ein regionales Mobilitätsproblem. Als Grethen im Jahr 2000 BTB endgültig abschoss, begründete er das nicht damit, dass ein „Zuch duerch d’Nei Avenue“ nicht hingenommen werden könne, oder mit technischen Schwierigkeiten. Dass BTB-Züge durch die Neipuertsgaass fahren zu lassen, nicht angehe, war ebenfalls kein Argument. Vielmehr kam eine von Grethen bestellte étude socio-économique zu dem Schluss, dass der volkswirtschaftliche Nutzen des BTB-Konzepts nicht erwiesen sei. Inklusive Rollmaterial sollte es 24 Milliarden Franken kosten.

Am Ende aber schoss Henri Grethen nicht BTB ab, sondern nur den Zuch duerch d’Nei Avenue. Gemeinsam mit Paul Helminger erdachte er allerhand Kompromisslösungen, um die Regionalbahn doch zu bauen, sogar mit einem Tunnel zwischen Dommeldingen und Kirchberg, nur nicht entlang der Avenue de la Liberté. Realisiert wurde davon nichts, es ging nur Zeit verloren.

Würde sich das wiederholen, könnte wahr werden, was der vorige Woche veröffentlichte Stater Mobilitätsplan in umständlichen Worten erzählt: dass die Hauptstadt am Autoverkehr zu ersticken droht, falls bis 2035 die Einwohnerzahl auf 180 000 zunimmt, die Zahl der Arbeitsplätze um 30 Prozent auf 218 000 wächst und es im Vergleich zu 2020 ein Viertel mehr Berufspendler gibt (160 000). Der DP-CSV-Schöffenrat scheint davor jedoch schon insofern resignieren zu wollen, als die Bürgermeisterin in ihrer Schöffenratserklärung nach den letzten Gemeindewahlen den Anteil des Autoverkehrs an den Bewegungen von A nach B in der Stadt auf 40 Prozent senken wollte, während es laut Mobilitätsplan 49 Prozent sein sollen. Auf Seite 68 steht eine Art Offenbarungseid zur Tram: Zwischen Hauptbahnhof und Hamilius werde sich das Fahrgastaufkommen bis 2035 gegenüber dem von 2020 verdoppeln. Auf der „Stammstrecke“ sei dann ein besserer Takt als vier Minuten nicht drin. Ob eine Tram in der Neipuertsgaass daran etwas ändern würde, wird nicht erwähnt, denn der Plan entstand im Auftrag des Schöffenrats. Doch wenn Luxtram offenbar davon ausgeht, dass außerhalb der Stammstrecke der Takt schlechter werden muss, wenn ab 2028 zusätzliche Fahrten vom Kirchberg und aus Hollerich ins Netz kommen, und wenn die Mobilitätsministerin nur versichert, „im Zentrum“ werde der Takt nicht schlechter, dann scheint das Tram-Netz demnächst an ein Limit zu geraten.

Falls das Entscheidungen gegen das Auto bedingt, dürfte viel davon abhängen, wie Yuriko Backes sich gegen Lydie Polfer durchsetzt, denn je mehr die Stadt demografisch und wirtschaftlich wächst, desto nationaler wirkt sich das aus. Klar ist, dass die Zahl der aufs Auto Konzentrierten an der Bevölkerung der Stadt abnimmt. Welche Rolle politische Rolle der Mobilitätsschöffe dabei einzunehmen versteht, der 2029 gern Bürgermeister würde, könnte stark über seine Aussichten darauf entscheiden. Und geht in den nächsten Jahren in der Stadt mobilitätspolitisch etwas richtig schief, spielt das nicht nur der lokalen Opposition in die Hände, sondern innerhalb der Stater DP Corinne Cahen, der Radfahrererin.

 

Peter Feist
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