Bis 2035 werden die Fahrten innerhalb des Großherzogtums um 40 Prozent steigen. Der ehemalige Mobilitätsminister François Bausch (déi Gréng) und seine Beamten ermittelten, dass nur sechs Prozent aller weiteren Fortbewegungen mit dem Auto getätigt werden dürften, um einen Dauerstau zu verhindern. Und auch der ländliche Raum führte bei seiner Verwaltung zu Kopfzerbrechen: Eine kaum besiedelte Region, mit unterschiedlichen Bedürfnissen und weit auseinander liegenden Ortschaften. Aus einer Verkehrsstudie von 2017 geht dabei hervor, dass 24 Prozent aller Fortbewegungen im ländlichen Raum bleiben. Das Verkehrsministerium setzte deshalb auf eine erhöhte Anzahl an Buslinien. Aber die ländlichen Buslinien brummen oft ohne Fahrgäste durch die Gegend. Während die Express-Buslinien und Bahnachsen, die die Fahrgäste ins Ballungsgebiet befördern, stark beansprucht werden. An diese Linien sind zumeist Park & Rides angegliedert.
Der damalige CSV-Abgeordnete Aly Kaes sagte Mitte Mai 2023 in der Chamber: „Mam Haaptstadbrëll op der Nues a geblent vum Tram, gesäit een d’Realitéit net“, und die Städter verstünden deshalb nicht, weshalb die Bewohner des Öslings aufs Auto angewiesen sind. Und fragte, weshalb kein Rufbus Mitfahrende auf Bestellung abholt. Der Mobilitätsminister entgegnete mit Studien und meinte, der Rufbus ist „keng Wonnerléisung“ und er koste „eng Staang Geld méi“. Der Bestelldienst müsse mindestens einen Tag im Voraus bestellt werden und sei mit einem hohen administrativen Aufwand verbunden. Doch das RGTR-Busnetz kostet ebenfalls nicht wenig – um die 220 Millionen Euro jährlich. Bauschs Nachfolgerin Yuriko Backes hat noch keine konkreten Maßnahmen in der Mobilitätspolitik angekündigt; meinte jedoch vor einer Woche gegenüber RTL-Radio, sie werde die Politik ihres Vorgängers weiterführen.
Verkehrssoziologen wie Andreas Knie vom Berliner Zentrum für Sozialforschung zeigen sich mittlerweile skeptisch, was den Ausbau von rein ländlichen Buslinien betrifft. Deren Anzahl zu erhöhen, führe zu nichts; es bedürfe eines Angebots, das die Menschen in ihrer Wohngegend abholt und dorthin fährt, wo sie hin wollen. Also steigen die Dörfler wieder ins Privatauto? Eben das muss nicht sein: Über On-Demand-Programme könnten Ruftaxis, Leihautos und Mitfahrgelegenheiten zunehmend bequemer und kostengünstiger organisiert werden. Es gilt Fahrdienstleistungen gerecht zu regeln, bevor ein Unternehmen wie Uber beginnt, den Verkehr für seine Tasche zu organisieren.
Obwohl sich der Individualverkehr stark in die kulturellen Gewohnheiten eingenistet hat, erfährt der öffentliche Zugverkehr ein Comeback. Die Bahngesellschaft CFL verzeichnet für 2023 einen Rekord: Die Zahl an Fahrgästen schoss von 22 Millionen im Jahr 2022 auf 28,7 Millionen in die Höhe. Ein Trend, der sich womöglich fortsetzen wird, denn die CFL hat fürs kommende Halbjahr 34 neue Triebwagen bestellt. Und in zwei Jahren sollen auf den Gleisen 38 750 Sitzplätze mehr rollen, das ist eine Steigerung von 46 Prozent. Mit 274 Kilometern bleibt Luxemburgs Schienennetz heute jedoch begrenzt – früher waren es mal fast 400. Eine vom Auto faszinierte Nachkriegsgesellschaft und die von ihr gewählten Regierungen investierten nicht mehr in Bahngleise. Klimawandel, Abhängigkeit vom Erdöl und Massenstaus waren noch kein Thema. Vor allem die Schmalspurbahnen, von deren Beliebtheit die Kosenamen Charly, Benny und Jhangeli zeugen, wurden still gelegt. Im Zeitalter der Multimodalität bringt nun wiederum das Auto Fahrgäste zu dem nächstgelegenen Bahnhof. Eigentlich sollten einen auch die hochsubventionierten Fahrräder an die Hauptzuglinien bringen, aber das ist nur selten der Fall. Vielleicht weil die Radpisten – auf den ehemaligen Schmalspurbahnen – eher Freizeit- als Verkehrszwecken dienen.
In punkto Personenverkehr ist die CFL selbst auf den Zug der Multimodalität umgestiegen. Seit Februar 2018 betreibt CFL-Flex den umfangreichsten Carsharing-Dienst – an mehr als 60 Stationen sind 130 Fahrzeuge ausleihbar. Zu Beginn nutzten knapp 400 Kunden den Dienst, mittlerweile sind es über 15 000. Das Autoteilen scheint eine Altersfrage zu sein: Ältere Teilnehmer zeigten laut einer Ilres-Umfrage kein Interesse am Carsharing-Prinzip. Ab Februar lässt die CFL zudem einen autonomen Pendelbusdienst in Belval verkehren. 14 Passagiere sollen in den fünf Meter langen Minibus der neuseeländischen Firma Ohmio reinpassen. Ganz autonom fährt der Pendelbus allerdings nicht: Aus Sicherheitsgründen ist stets ein Fahrer an Bord. Und besonders schnell ist er auch nicht unterwegs – seine Höchstgeschwindigkeit beträgt 25 Stundenkilometer. Trotz der vielen Innovationen kam es am Schienennetz zu einem gravierenden Verrat: Eigentlich besitzen gedrucktes Papier und Züge eine tiefe Verwandtschaft. Für den Autor Tim Parks sind das Publikationswesen und das Bahnnetz Kinder des 19. Jahrhunderts – und an jedem Bahnhof florierte das Kioskgeschäft mit Büchern und Magazinen für Reisende. Doch seit drei Jahren befindet sich in der Bahnhofshalle kein Zeitungsladen mehr mit einem breiten Angebot. Auch die Initiative „E Buch am Zuch“ wurde eingestampft. Bis 2016 wurden am 23. April, am Welttag des Buches, im Bahnhof 6 000 Bücher mit Textauszügen von hiesigen Autoren verschenkt. Nun kann sich L’Essentiel in Bahnhofshallen konkurrenzlos breit machen.