Frank Schneider trägt eine elektronische Fußfessel. Nach mehr als einem halben Jahr im Gefängnis steht er unter Hausarrest. Der Sendebereich der Fußfessel ist begrenzt. Er reicht nicht vom Wohnhaus bis zu den Pferdeställen. Frank Schneider wohnt im französischen Grenzgebiet. Die Heimat ist nur 30 Kilometer entfernt. Er fühlt sich von ihr im Stich gelassen.
Vielleicht hat Frank Schneider Mitgefühl für Julian Assange. Beiden steht die Auslieferung an die USA bevor. Frank Schneider wehrt sich durch alle Berufungsinstanzen. Er befürchtet, in den USA zu einer jahrelangen Gefängnisstrafe verurteilt zu werden.
Er misstraute nicht immer den USA. Er begann seine Laufbahn als Foreign Service National in der US-Botschaft auf dem Limpertsberg. Die Botschaft ist auch die lokale CIA Station. So wechselte er zum Luxemburger Geheimdienst.
Der junge Mann von der Botschaft genoss bald den Ruf, verschlagener als seine Kollegen zu sein. Er brachte es bis zum abenteuerlichsten Posten im Srel: Direktor für verdeckte Operationen.
Bis dahin sollte der Dienst mit geheimen Mitteln die herrschenden Verhältnisse schützen. Nun sollte er sie auch fördern. Er sollte in den Dienst der Privatwirtschaft treten. Er sollte den Banken, Industrien und Fluggesellschaften helfen, zwischen Hochstaplern und Oligarchen zu unterscheiden. Er sollte ihre Steuervermeidung vor fremden Spionen und Saboteuren schützen. Public-private partnerships (PPP) waren in Mode.
Frank Schneider hatte dafür den richtigen Geschäftssinn. Die Agenten bewirteten obskure Geschäftsleute und Strippenzieher. Sie bereisten „rogue states“, um ins Geschäft zu kommen. Befreundete Geheimdienste waren auf dem Laufenden.
Der Srel verselbständigte sich. Sein oberster Dienstherr Jean-Claude Juncker ließ ihn gewähren. Der Dienst dankte es ihm schlecht: Er zeichnete heimlich ein Gespräch mit dem Premier auf, falls dieser nicht ganz nüchtern sein sollte.
Die PPP legten den nächsten Schritt nahe: die Privatisierung des gewinnbringenden Teils des Geheimdienstes. Frank Schneider versuchte, seine Kollegen zu überzeugen. Nicht alle dachten neoliberal. Er machte sich selbständig: 2008 gründete er seinen privaten Geheimdienst, die Firma Sandstone. Das klang wie „Blackwater“. Mit Kapital der General Mediterranean Holding. Einer der Direktoren war der ehemalige CSV-Premier Jacques Santer. Auch die SNCI und altehrwürdige Banken unterstützten das Geschäftsmodell.
Ruja Ignatova hatte einen Ruf. 2012 wurde sie in Augsburg wegen Insolvenzverschleppung verurteilt. 2013 war sie aus Hongkong an einem betrügerischen Pyramidensystem beteiligt. 2014 begann sie, für Milliarden das digitale Spielgeld „Onecoin“ zu verkaufen. 2015 trat Frank Schneider in Dubai in ihren Dienst. 2017 tauchte sie unter. Schneider arbeitete weiter.
Bis er auf Antrag der US-Justiz in Frankreich verhaftet wurde. Gemäß einer europäischen Rechtsprechung bot Frankreich zuerst Schneiders Auslieferung in sein Heimatland an. In Luxemburg sind die Höchststrafen für Betrug und Geldwäsche niedriger als in den USA. Mit Bitten und Drohen machte Schneider auf sich aufmerksam. Laurent Mosar (CSV, einst General Mediterranean Holding) half mit einer parlamentarischen Anfrage. Aber Justiz und Regierung stellten sich taub.
Sie hatten ihre Gründe: Die ohnehin überlastete Justiz wollte sich keine internationalen Ermittlungen aufhalsen. Sie wollten der US-Justiz keinen Fisch vor der Nase wegschnappen. Ein Prozess drohte, den Finanzsektor mit „Onecoin Luxembourg“ in Verbindung zu bringen. Das wäre schlecht fürs Geschäft. Vielleicht würde der Angeklagte ungeziemend Drittpersonen belasten.
Schneider war an den Skandalen beteiligt, die vor einem Jahrzehnt Geheimdienst und Regierung erschütterten. Im Namen der Staatsräson wurden die Spione nie zur Rechenschaft gezogen. Nach zehn Jahren will die Justiz mittels der US-Kolleginnen Recht walten lassen.