Fair Trade

Wie ich Griechenland zu retten versuchte

d'Lëtzebuerger Land vom 20.05.2010

„Prends la Grèce, c’était ce qu’on appelait autrefois une de nos humanités. Et maintenant on ne parle que de la dette de la Grèce“, meinte Jean-Luc Godard letzte Woche in Télérama. „C’est bien normal que les Grecs n’aient rien foutu depuis trente ans puisque les touristes allemands, qui ont tout saccagé, leur apportaient de l’argent.“

Also gehe ich zum Supermarkt um die Ecke griechische Produkte kaufen. Damit das Land Geld verdient und nicht unter seinen 273,4 Mil­liarden Euro Schulden zusammenbricht. Deutsche und französische Banken haben ihm viel Geld geliehen, um fast so viele deutsche Panzer auf Pump zu kaufen wie sein Nachbar Türkei. Nun verlangen Deutschland und Frankeich, dass es hungert, um seine Schulden zurückzuzahlen.

Kaum jemand kauft Produkte aus Griechenland. Mit einem bescheidenen Beitrag zur griechischen Handelsbilanz kann ich vielleicht den griechischen Rentnern helfen. Sie leben von duchschnittlich 400 Euro Rente und künftig sieben Prozent weniger.

Zwischen Kartoffelsäcken zu 4,95 Euro und lustlosen Schnittblumen stehen eine junge Frau und ein junger Mann vor dem Supermarkt. Mit halb geschlossenen Augen sammeln sie die letzte Kraft, um sich in den Laden zu schleppen und eine Dose Bier zu klauen. Oder die mütterliche, nicht mehr ganz junge Kassiererin zu beschimpfen.

Auf großen Plakaten wirbt der Supermarkt für gesunde Rinder und gesunde Schweine. Die Grillkohle liegt griffbereit gestapelt. Die Primärschule gegenüber heißt jetzt Grundschule. Neben dem aus dem Stadtzen­trum abgeräumten Springbrunnen blickt ein Dealer nervös die Straße hinauf und hinab.

Solidarischer Konsum muss ja nicht immer übersüßte Schokolade sein. Auch wenn Linkskatholiken sie mit einem Ablass handeln. Philhellenismus ist schließlich keine neue Erfindung. Auch hierzulande sammelte das romantisch bewegte Bürgertum einst Geld und Lyrik für den griechischen Freiheitskampf. Das war sein ferner Trost für die politische Restauration unter Großherzog Wilhelm. Heute heißt die Romantik Ökologie, die Restauration ist mit Juncker schon ganz in Ordnung, und die Griechen werden als faule Säcke beschimpft.

Mit einem grünen Plastikkorb ausgestattet, beginne ich beim Konfekt, den Keksen und der Schokolade, nach griechischen Produkten zu suchen. Nichts als die gängigen, großen Marken aus Deutschland, Belgien und der Schweiz. Auch gegen­über, in der Kaffee- und Teeabteilung, stammt alles aus Frankreich, Belgien, Deutschland, Italien, selbst die fast unerreichbar tief oder hoch ausgelegten Waren mit unbekannten Namen, die einige Verrenkungen abverlangen, bis sich ihr Herkunftsland überprüfen lässt. Die Verkäufer in weißen Kitteln gehen achtlos vorüber. Im Bahnhofsviertel zählen viele kauzige Gestalten zur Kundschaft.

In den Kühlregalen mit Fleisch, Geflügel und Wurstwaren liegen fast nur einheimische Waren. National ist auch in Europa die beste Werbung gegen Rinderwahn und Hühnergrippe. Plastikverschweißter Aufschnitt stammt aus Deutschland, dunkelrote Wurst aus Italien. Das Regal mit exotischen Fertiggerichten und Gewürzen ist ­schmal. Die Vorliebe gilt Chinesischem und Japanischen, auch wenn es in den Niederlanden vorgekocht wurde. Niemand hat Mitleid mit den Griechen.

Zahnpasta und Seife, Shampoo und Scheuermittel sind globalisierte Produkte bekannter Firmen, die sich laut Kleingedrucktem als Tochtergesellschaften einiger US-Konzerne entpuppen. Sicher putzen sich auch die Griechen mit denselben Marken die Zähne. Schließlich schauen sie sich auch dieselben US-Krimis an, deren DVDs für 9,99 Euro im Drehständer stehen. Plastiksandalen, Shorts und Regenschirme sind gleichzeitig im Sonderangebot. Soviel wirtschaftliche Wendigkeit fehlt den Griechen. Das kommt sie nun dank Euro teuer zu stehen.

Beim Anblick der Gemüseabteilung denkt der Urlauber sehnsuchtsvoll an Tomaten. Denn im rückständigen Griechenland schmecken sie nach Tomaten. Doch selbst die Oliven kommen aus Frankreich und Marokko. Das Olivenöl stammt aus Italien und Spanien, die Fischkonserven sind portugiesisch beschriftet. Dabei exportiert Griechenland vor allem landwirtschaftliche Erzeugnisse und Lebensmittel. Doch in der südöstlichsten Ecke des Euro-Raums ist die Produktivität zu niedrig.

Zum Glück kommen noch die Kühlregale mit den Milcherzeugnissen. Wenigstens der griechische Käse ist auch im Ausland ein Begriff. Vielleicht kann sich Europa mit Jogurt und Tzatziki für Aristoteles und Sophokles erkenntlich zeigen. „Le ­Yaourt à la Grecque“ heißt es in eckigen Lettern auf einem Plastikbecher. Auf dem Deckel sind schneeweiße Häuser vor mittelmeerblauem Hintergrund gemalt. Darüber steht: „Nestlé“, und der griechische Jogurt kommt aus Frankreich.

Blauer Himmel, blaues Meer und weiße Käsewürfel: auch das vakuumverpackte Stück Salakis wirbt mit den griechischen Nationalfarben und „Schafmilch 100%“ sowie selbstverständlich „Natur“. Nur am Fuß der fünfsprachig bedruckten Rückseite heißt es: „F-12250 Roquefort sur Soulzon, France“ und: „Fabriqué en France“.

Die letzte Hoffnung sind Pappschachteln mit Bildern von blauem Meer, weißen Mauern und blauen Stühlen. Auf der Schachtel der Tzatziki-Becher steht nicht bloß: „griechische Spezialität“, sondern tatsächlich auch: „griechisches Produkt“. Kurz entschlossen packe ich alle acht Portionen in den Einkaufskorb. Auch wenn das die Griechen wohl nicht heraushauen dürfte. Griechenland hat zwar bis über beide Ohren Schulden, aber nichts, das es auf dem Weltmarkt zu Geld machen kann. Deshalb giftet diese Woche im Spiegel ein greiser deutscher Bundesbanker, dass es ein unverzeihlicher Fehler war, solche Habenichtse in die Währungsunion aufzunehmen.

Griechenland lebt von der Schifffahrt und vom Fremdenverkehr. Hierzulande würde das eine „moderne Dienstleistungsgesellschaft“ heißen. Vielleicht sollte man im Sommer mit der Luxair nach Griechenland fliegen.

Romain Hilgert
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