Hinter den Fusionsplänen der Forschungszentren Henri Tudor und Gabriel Lippmann stehen Ideen zur Neuordnung der gesamten öffentlichen Wissenschaftslandschaft in Luxemburg

Eine Branche wird 25

d'Lëtzebuerger Land vom 27.04.2012

Henri Tudor hieß der Luxemburger Ingenieur, der den ersten brauchbaren Bleiakkumulator baute. Gabriel Lippmann war der Physiker, der in Bonneweg zur Welt kam, aber schon bald nach Frankreich zog, und der dort ein Verfahren für die Farbfotografie entwickelte, für das er 1908 den Physik-Nobelpreis erhielt.

Dass die zwei öffentlichen Forschungszentren, die nach den beiden Erfindern benannt sind, vergangenen Donnerstag erklärten, fusionieren zu wollen, und dafür den Arbeitstitel „New CRP“ angaben, hat allerdings weniger damit zu tun, dass womöglich ein dritter namhafter Wissenschaftler als Namensgeber für das neue Zentrum ausfindig gemacht werden müsste und die Wahl nicht ganz leicht fallen könnte. Der Grund ist eher: Was da geplant ist, reicht über das CRP Henri Tudor und das CRP Gabriel Lippmann hinaus – weit hinaus sogar, und bis hinein in die Forschungspolitik.

Denn mit der Gründung der drei CRPs – das CRP de la Santé war das Dritte im Bunde – nahm vor 25 Jahren die organisierte öffentliche Forschung in Luxemburg ihren Anfang. „Tudor“ war das ingenieurwissenschaftlich ausgerichtete Zentrum; „Lippmann“ hieß zunächst CRP Centre universitaire und bündelte Forschungsfelder, zu denen am damaligen Centre universitaire, dem Vorläufer der Universität Luxemburg, Lehre stattfand. Ein Vierteljahrhundert später ist nicht nur die Uni Realität. An den drei Forschungszentren haben Umstrukturierungen stattgefunden, Konzentrationen auf das Wesentliche. Es gab eine Zeit, da verfügte Lippmann auch über eine Abteilung für Wirtschaft und Recht, und Tudor versuchte sich unter anderem auch im Bereich Multimedia  und in der Entwicklung elektronischer Schaltungen.

Heute sind Tudor wie Lippmann in Materialforschung, Umweltforschung und IT tätig. Das sieht nach Überlappung aus, wenn nicht gar nach Konkurrenz; etwa um die Gelder des nationalen Forschungsfonds FNR oder um Kunden aus Industrie und Verwaltungen. Sollte das in einem kleinen Land so sein?

Dass die Antwort Nein lautet, ist nicht erst seit heute klar. Noch vor zehn, zwölf Jahren wurde Forschung an den CRPs auch opportunistisch betrieben. Da stieg zum Beispiel Tudor in die Wasserforschung ein, die es bei Lippmann schon gab, weil der Forschungsfonds ein extra Wasser-Programm betrieb. Mittlerweile bemühen sich beide CRPs, überall komplementär zu sein und stimmen ihre Schwerpunktsetzungen ab. 

Und immerhin: „Ein Gebiet wie die Materialwissenschaft ist riesengroß“, sagt Lippmann-Direktor Fernand Reinig. „Man könnte da ohne weiteres 2 000 Forscher beschäftigen, unser CRP hat hundert.“ In Nancy sei kürzlich ein Institut für Materialforschung eröffnet worden, das allein in diesem Bereich mehr Wissenschaftler zählt als Tudor und Lippmann in all ihren Abteilungen zusammengenommen. 

Doch: Längst nicht alle heimischen Industriebetriebe verstehen gut, worin beide Zentren sich unterscheiden. „Da wird immer wieder der Wunsch nach einem einzigen Ansprechpartner laut“, erklärt Tudor-Direktor Marc Lemmer. Gut verstanden wird dagegen, „dass vor allem die Materialforschung sehr kosten- und investitionsintensiv ist“. Kein Wunder, dass die Idee, „Sondierungsgepräche“ über ein Zusammengehen der beiden CRPs aufzunehmen, in ihren Verwaltungsräten entstand, wo auch Vertreter aus der Wirtschaft sitzen.

Aber wenn, wie der Plan nun lautet, die zwei Forschungszentren zum 1. Januar 2014 einem noch zu gründenden Institut fédératif de la recherche publique beitreten, geht es nicht nur darum, dass sie sich innerhalb von zwei Jahren so aufeinander einspielen, dass anschließend die „operative Regruppierung“ erfolgen kann. Die beiden CRP-Verwaltungsräte haben mehr als nur den Weg zur Fusion ihrer beiden Häuser entworfen. „Wir haben uns gefragt“, sagt Reinig, der dem Lippmann-Veraltungsrat angehört, „wie um das Jahr 2020 die öffentliche Forschung im Lande insgesamt im Idealfall aussehen sollte.“ Das Ergebnis lautete: Am besten sollte es neben der Universität nur ein einziges großes Forschungszentrum geben. Die Tudor-Lippmann-Fusion soll dazu den Anstoß liefern.

Forschungsminister François Biltgen (CSV) hat diese Idee aufgenommen und will bis 2013 das föderative Institut durch eine Änderung des CRP-Gesetzes gründen lassen. Es bliebe auch nach der Fusion von Tudor und Lippmann bestehen – und offen für Beitritte anderer Zentren: Für den des CRP-Santé natürlich, aber auch für das Sozialforschungszentrum Ceps-Instead, das derzeit in einer Krise steckt. Es wäre darüberhinaus aber auch offen für sämtliche kleine Institute mit Sonderstatus, von denen nicht unbedingt offensichtlich ist, welchen Beitrag zur Wissenschaft sie leisten, und deren Rolle sich dann klären oder erledigen könnte. Die Initiative New CRP beabsichtigt auch eine Altlastenbeseitigung in der öffentlichen Forschung außerhalb der Universität. 

Man kann das auch als ein politisches Bekenntnis zur weiteren Professionalisierung der heimischen Forschung  verstehen. Den Verwaltungsräten der CRPs gehören genug hochrangige Regierungsbeamte an, dass die Idee zum New CRP nicht allein eine der Industrievertreter gewesen sein kann. Wie bedeutsam die Idee ist, zeigt sich auch, wenn man die Vorgeschichte der Gründung der drei CRPs bedenkt. Ehe es vor 25 Jahren dazu kam, war ernsthaft im Gespräch gewesen, beinah jeder Staatsverwaltung zu einem eigenständigen Forschungszentrum zu verhelfen. Ausgestattet mit eigener Rechtspersönlichkeit, wären sie allesamt berechtigt gewesen, sich an internationalen Ausschreibungen um Forschungsaufträge zu beteiligen, etwa beim Forschungsrahmenprogramm der EU-Kommission. Wäre dieses Szenario Wirklichkeit geworden, dem der damals im Dossier federführende Bildungsminister Fernand Boden (CSV) nicht ganz abgeneigt war, wären im kleinen Großherzogtum nicht drei CRPs entstanden, sondern bis zu dreißig.

Heute dagegen lautet die Vision „RTO“; das steht für Research and Technology Association und bedeutet, in einer solchen Einrichtung anwendungsbezogen zu forschen, zuweilen sogar ziemlich „fundamental“, und dabei stets die Nähe zur Innovation in der Praxis zu halten. Die Institute der Fraunhofer-Gesellschaft in Deutschland zum Beispiel funktionieren so.

Für Luxemburg hat dieser Ansatz noch eine politische Seite: Nach der Gründung der Universität hatten die Handelskammer und der Industriellenverband Fedil den Forschungsminister bedrängt, alle CRPs aufzulösen und ihre Portfolios der Uni zuzuschlagen. Das wäre der US-amerikanische Weg gewesen, denn in den Vereinigten Staaten gibt es Akteure à la RTO tatsächlich nicht. Da das große New CRP mit der Wirtschaft abgestimmt ist, scheint nun endgültig niemand mehr die Existenz von unabhängig von der Universität agierenden Zentren in Frage zu stellen.

Gut geheißen hat Forschungsminister Biltgen aber nicht nur den Ansatz, möglichst viele der verschiedenen Akteure zu fusionieren. Zu Änderungen bei der Lenkung der öffentlichen Forschung soll es ebenfalls kommen. 

Hinter Biltgens Erklärung, den Fusionsprozess „begleiten“ zu wollen, verbirgt sich die Zusage, dafür zu sorgen, dass der neue Akteur und die Universität sich über Strategien abstimmen. Uni-Vertreter sollen dem Verwaltungsrat des neuen Forschungszentrums angehören, Letzteres im Aufsichtsrat der Universität vertreten sein. Darüber hinaus soll ein Ausschuss, dem das Ministerium, die Uni und das New CRP angehören, Strategien für die gesamte öffentliche Forschung entwickeln. „Vonseiten des Ministeriums gibt es zurzeit noch zwei Strategien, eine für die Universität und eine für die Forschungszentren“, sagt Tudor-Chef Lemmer. „Das ist ungünstig.“

Wahrscheinlich wäre es falsch, anzunehmen, dass damit Front gegen die Uni gemacht werden soll. Allein schon, weil sie in den Gremien der CRPs bereits jetzt prominent vertreten ist. Dem Verwaltungsrat des CRP Gabriel Lippmann zum Beispiel gehören Rektor Rolf Tarrach und Vizerektor Eric Tschirhart an; Uni-Aufsichtsratspräsident Marc Jaeger hat Beobachterstatus. In die eine Richtung funktioniert die Durchdringung der Führungsremien also schon, und was mit New CRP zusammenhängt, trägt demnach unter anderem auch die Handschrift der Uni-Spitze.

Dass Uni und New CRP sich aufeinander abstimmen sollen, hat aber auch mit der Erkenntnis zu tun, dass dadurch die Strahlkraft der vergleichweise kleinen, noch jungen Luxemburger Forschung nur gewinnen kann. Das ist mehr als eine Floskel: Beim Forschungsfonds FNR wird zum Beispiel festgestellt, dass sich das Interesse für das Attract-Programm des Fonds noch in Grenzen hält. Attract stellt Mittel bereit, um junge Wissenschaftler aus dem Ausland für eine befristete Dauer in Luxemburg zu engagieren. Eine wichtige Ursache des geringen Interesses erkennt der FNR in den beschränkten Karriere-Aussichten hierzulande. Dabei sei gerade unter jungen Forschern im Ausland das Interesse an Luxemburg gar nicht gering. Beim FNR hielte man es für hilfreich, wenn die Forscherlaufbahnen an Uni und New CRP einander durchdringen könnten. 

Spätestens wenn alle Akteure einander in Belval in der Cité des sciences begegnen und sogar thematische „Häuser“ miteinander teilen, käme der Zeitpunkt für eine engere Zusammenarbeit. Diese Begegnung wird mit dem New CRP vorweggenommen; dass die Karrieren am Forschungspol Uni und am Pol New CRP einander durchdringen sollen, wird von den Vordenkern des Letzteren ausdrücklich gewünscht. Gemeinsame Doktorschulen sind angedacht und gemeinsame wissenschaftlich-technische Plattformen für die anwendungsorientierte Forschung. Was aus all den Ideen wird, entscheidet darüber, ob der öffentliche Forschungssektor in den nächsten Jahren eine wichtige Reifeprüfung zu bestehen vermag. 

Peter Feist
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