Verfassungsrevision

Freiheit der Wissenschaft

d'Lëtzebuerger Land vom 17.02.2012

Nach mehrjähriger Vorbereitung hinterlegte der Vorsitzende des parlamentarischen Ausschusses der Institutionen und für die Verfassungsrevision im April 2009 einen umfangreichen Vorschlag zur Änderung und Neuordnung der Verfassung. Seither befassen sich verschiedene Gutachter mit dem Text; als nächstes wird die Bewertung durch den Staatsrat erwartet. Die Revision beabsichtigt, die obrigkeitsstaatlichen Bestimmungen an eine demokratischere Rechtspraxis anzupassen, den historisch gewachsenen Text logischer zu ordnen und einige weitere Wahlkampfversprechen als nicht einklagbare Absichtserklärungen hineinzupacken.

Die von der Verfassung geschützten Freiheiten, so wie sie derzeit insbesondere in den Artikeln 12 bis 28 aufgelistet sind, sollen lediglich in einer neuen Sektion zusammengefasst werden, aber weitgehend unverändert bleiben. In Zeiten der Terrorismushysterie und der Zwangsverwaltung der Euro-Zone räumt die modernisierte Verfassung den Bürgern sicherheitshalber keine zusätzlichen Freiheiten ein. Das gilt auch für den staatlichen Bildungsauftrag. So ist weiterhin nicht vorgesehen, die Freiheit der Wissenschaft durch die Verfassung zu garantieren. Zehn Jahre nach der Gründung der Universität wäre es aber angebracht, den verfassungsrechtlichen Schutz der Freiheit von Forschung und Lehre – wie der Kunst – in Betracht zu ziehen.

Denn anders als die Luxemburger Verfassung schützt beispielsweise die Schweizer Bundesverfassung nicht nur die Kunstfreiheit, sondern dekretiert in Artikel 20 auch: „Die Freiheit der wissenschaftlichen Lehre und Forschung ist gewährleistet.“ Trotz einer unrühmlichen Tradition akademischer Berufsverbote bestimmt das deutsche Grundgesetz in Artikel fünf: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“ In Österreich garantiert Artikel 17 des Grundgesetzes die „Freiheit des wissenschaftlichen und des künstlerischen Schaffens, der Vermittlung von Kunst und ihrer Lehre“.

Der Kampf um die Freiheit der Wissenschaft ist so alt wie die ersten Universitäten, galt es seinerzeit doch zuerst, die Wissenschaften der Kontrolle der Kirche zu entziehen, welche nicht nur die Philosophie als Magd der Theologie ansah. Hierzulande bleibt, trotz der Abschaffung der „collation des grades“, der Begriff weitgehend fremd. Aber könnte ein aufgeklärter Despot wie  Joseph II., der 1786 das Theologiestudium samt Seminar verstaatlichte, anders, als den Kopf über einer Verfassung zu schütteln, die sich über fünf Artikel mit der Religionsfreiheit befasst, aber mit keinem Wort die Wissenschaftsfreiheit schützt?

Dabei wäre der Schutz der Freiheit von Forschung und Lehre – den selbstverständlich die Verfassung und das Verfassungsgericht nicht alleine gewährleisten können – alles andere als ein Luxus. Auch wenn diese Freiheit heute weniger von der Kirche bedroht scheint und nicht einmal von einem Premierminister, der das Studium mittelalterlicher Poesie für überflüssig erklärte. Der Schutz dieser Freiheit drängt sich vielmehr für eine Universität auf, die sich an die europäischen Bologna-Regeln zur verbilligten Produktion von Akademikern für die „professions intermédiaires“ halten muss. Die sich als ausgelagerte R[&]D-Abteilung der Privatwirtschaft und als Betriebsprüfer für öffentliche Einrichtungen finanzieren soll und notgedrungen das liefern muss, was die Auftraggeber sehen wollen. Und die nach einer Generation dankbarer Aufsteiger aus dem Sekundarunterricht nun Dozenten und Forscher mit prekären Zeitarbeitsverträgen nicht gerade zur Heterodoxie ermutigt. 

Romain Hilgert
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