Irgendwann verlor auch die Richterin die Fassung. Es wurde bereits rund zwei Stunden über die Bedeutung des Wortes Féck diskutiert, kulturelle Instanzen wie Alain Atten, Ian De Toffoli, Guy Rewenig oder auch T the Boss wurden zitiert, Textzeilen des französischen Rappers MC Solaar sowie Definitionen aus dem Duden, dem Luxemburger Wörterbuch und dem Urban dictionary vorgelesen. Das alles mit größter Sachlichkeit und Nüchternheit, die ein Justizraum erfordert. Aber als Philippe Penning, der Anwalt von Tun Tonnar, die Textzeile des Richtungs-22-Songs „Féck de Parquet. Mir si fir Laminat“ vortrug, musste selbst die Richterin schmunzeln. Und auch die Vertreterin der Staatsanwaltschaft lachte kurz auf.
Dabei ging es beim Streitfall um nichts Geringeres als die Grenzen des Sagbaren. Was darf Kunst, was Satire? Im Oktober 2018 hatte der Rapper Turnup Tun das Musikvideo FCK Lëtzebuerg hochgeladen, bei dem er sich kritisch mit der Luxemburger Gesellschaft auseinandersetzte. Fred Keup, Dan Schmitz und Joé Thein, die allesamt im Song erwähnt wurden, fühlten sich dadurch persönlich beleidigt und reichten Klage ein. Im Mai des vergangenen Jahres sprachen die Richter Tonnar jedoch in erster Instanz frei: Der Tatvorwurf der Beleidigung sei nicht erfüllt. Die Kläger zeigten wenig Verständnis und legten wie auch die Staatsanwaltschaft gegen das Urteil Berufung ein.
Stilmittel „Féck“ sei aber ein grobes Wort. Ob er es denn wirklich benutzen musste, fragte die Richterin den Künstler. Tonnars Antwort war klar: Ja, er musste. Das Lied sei im Wahlkampf 2018 entstanden und eine Reaktion gewesen auf die kruden nationalen Thesen der Politiker Fred Keup (ADR), Joé Thein (Déi Konservativ) sowie des politischen Aktivisten Dan Schmitz. Um sich in den öffentlichen Diskurs einzubringen und seinen Missmut gegenüber diesen politischen Ideen auszudrücken, habe er als Musiker auf sein bevorzugtes Stilmittel zurückgegriffen: den Rap. Er habe niemanden persönlich beleidigen wollen, ja, er kenne Keup, Thein und Schmitz doch nur als öffentliche Personen und habe sich mit seiner satirischen Kunstform lediglich Gehör verschaffen wollen. Und der Begriff Féck sei nun einmal ein äußerst geläufiger Ausdruck im Rap, der nicht wortwörtlich zu verstehen sei. Sondern Féck bedeutet lediglich: „Klibber mech!“
Keine Politiker Die Gegenseite versuchte all dies zu widerlegen: Keup, Thein und Schmitz vertraten die Auffassung, das sie persönlich beleidigt worden seien, dass „Féck den…“ eine Aufforderung zu einer Tat sei, dass sie allesamt auch überhaupt keine Politiker seien, sondern brave Bürger. Ordentliche Professoren. Familienväter. Und: Dass sie schon gar nicht rechtsextreme Ideen verbreiten würden.
Die Richterin schien vor allem bei der Selbstbeschreibung der Kläger als Nicht-Politiker ihre Zweifel zu haben. Immerhin war Fred Keup doch als ADR-Kandidat sowohl bei den National- als auch EU-Wahlen angetreten und wird aller Voraussicht noch in dieser Legislaturperiode anstelle von Gast Gibéryen als Abgeordneter ins Parlament rücken.
Penning vs Penning Die Anwälte beider Seiten forderten dabei das Gericht auf, mit dem Urteil ein Exempel zu statuieren. Philippe Penning, Anwalt von Tun Tonnar, plädierte für das politische Ziel, im Namen der Kunst dem Populismus Einhalt zu gebieten. Alex Penning, Anwalt von Fred Keup, plädierte für die Aufrechterhaltung der Sitten, um die Schleusen für derartige Begriffe nicht zu öffnen.
Und als beide Anwälte mit ihren leidenschaftlichen Plädoyers fertig waren, stellte die Vertreterin der Staatsanwaltschaft leicht amüsiert fest, dass es doch nicht oft vorkomme, dass in einem Gerichtssaal so lange über das Wort „Fécken“ debattiert wird. Es gehe ihr weniger um politische oder moralische Anliegen, sondern um juristische Fragen. Sie überraschte dabei mit einem Schwenk, den die Adepten von Keup und Co. kopfschüttelnd zu Kenntnis nahmen: „Wo kommen wir hin, wenn die Ausdrucksfreiheit nicht mehr gilt. Sind wir dann noch in einer Demokratie?“ Sie machte sich im Namen des demokratischen Rechtsstaats für die Kunst- und Meinungsfreiheit stark und erinnerte daran, dass doch gerade der Kläger Keup sich stets als großer Verfechter dieser Werte in der Öffentlichkeit aufspielte. Sie forderte die Richterin auf, den Freispruch in erster Instanz zu bestätigen. Das Urteil wird am 25. März gesprochen, alles andere als ein erneuter Freispruch wäre eine große Überraschung – um nicht zu sagen: ein Witz.