The Dead Don’t Hurt – nihilistischer und poetischer kann der Titel eines Westerns kaum klingen. Unter der Regie des dänisch-amerikanischen Schauspielers Viggo Mortensen und mit der luxemburgischen Schauspielerin Vicky Krieps in der Hauptrolle präsentiert sich der Film gleichermaßen als Hommage und Fortschreibung des Westerngenres. Mortensens neuer Film wurde bei der Preisverleihung des diesjährigen Luxembourg City Film Festivals gezeigt; zu diesem Anlass erhielt der Regisseur und Schauspieler auch den Ehrenpreis. Mit dem Land unterhielt sich Viggo Mortensen über seinen neuen Film.
Der Western ist fast so alt wie die Filmgeschichte selbst: Nach den Anfängen in der Stummfilmzeit erlebte das Genre eine Hochphase während der klassischen Studio-Ära Hollywoods, mit namhaften Regisseuren wie John Ford oder Howard Hawks, sein breitflächiges Aussterben hat aber dazu geführt, dass Westernfilme zwar nicht vollständig verschwunden sind, heute aber nur noch sporadisch auf die Leinwand kommen: „I grew up with westerns but today it’s difficult to find them“, meint Mortensen. Die Wahl, einen Western zu machen, traf er indes nicht bewusst. Die Idee kam ihm während der ersten Phase des Drehbuchschreibens. Für ihn begann alles mit dem Bild eines jungen Mädchens, das zur Frau wird. Obwohl er den Film nicht wissentlich als Western konzipierte, ergaben sich Zeitraum und Handlungsort für ihn ganz natürlich, daraus erwuchs The Dead Don’t Hurt. Um 1860 angesiedelt, mitten in den Wirren des amerikanischen Bürgerkrieges: Die Franko-Kanadierin Vivienne Le Coudy (Vicky Krieps) verliebt sich in den dänischen Einwanderer Holger Olsen (Viggo Mortensen). Als dieser in den Krieg zieht, muss Vivienne sich auf dem gemeinsamen kleinen Anwesen allein behaupten. Die Situation spitzt sich zu, als der unberechenbare Weston Jeffries (Solly McLeod) anfängt, der eigenwilligen Vivienne nachzustellen.
Die Figurenkonstellation aus zwei Männern und einer Frau erinnert sofort an das klassische Melodrama Hollywoods, es ist die Grundformel, die die Katastrophe heraufbeschwört. Die präzise Verbindung beider Filmgenres, Melodram und Western, machen den besonderen Reiz von The Dead Don’t Hurt aus. Der Western ist ein Genre der männlichen Helden, die meist durch Rache als Handlungsmotiv angetrieben werden. Davon ist in The Dead Don’t Hurt fast nichts mehr geblieben. Mortensen nutzt die semantischen Felder des Genres, um den Western zum einen in der Form ganzheitlich zu affirmieren – da gibt es die beeindruckenden Landschaften, die elegische Filmmusik, von Mortensen selbst komponiert, die typischen Kostümierungen, die Lokale. Zum anderen muss es Mortensen ein Anliegen gewesen sein, das Genre im Inhalt neu auszurichten. Eine Frauenperspektive auf das Genre ist indes nicht gänzlich neu, in Johnny Guitar (1954) von Nicholas Ray war es Joan Crawford, eine prominente Schauspielerin tragender weiblicher Rollen der Zeit, die sich in dieser Männerwelt behauptete. Mortensen geht jedoch noch weiter: Nicht nur richtet er den gesamten Film auf seine Hauptdarstellerin aus – sie ist das Zentrum, über das alle Figuren miteinander agieren –, er nimmt sich als Hauptdarsteller selbst ganz zurück. Und das nicht nur in schauspielerischer Hinsicht, indem er Vicky Krieps oft die Führung überlässt, es ist auch ganz wörtlich gemeint: Holger Olson verschwindet in etwa zur Filmhälfte ganz aus dem Geschehen. Er reitet davon, um anschließend Le Coudys Geschichte zu erzählen.
Auf Vicky Krieps wurde Mortensen durch ihre Leistung als Alma, die willensstarke junge Frau an der Seite von Daniel Day-Lewis in Paul Thomas Andersons Phantom Thread (2017) aufmerksam: „Vicky is a fantastic actress with and without words“, meint Mortensen. Die Rolle der resoluten und freien Vivienne passt dabei ganz in das von Krieps angelegte Rollenrepertoire. Freilich war Mortensen darauf bedacht, keinen fixen Mustern Vorschub zu leisten: „She’s not just a prostitute with a heart of gold or some cliché but actually a flesh and bone woman, who is complex and a strong character but also a woman of her time.“
The Dead Don’t Hurt ist Mortensens zweite Regiearbeit nach Falling (2020). In diesem eindringlich gespielten Familiendrama um einen offen homosexuellen Sohn und sein verzweifeltes Bestreben, seinem demenzkranken Vater, der obendrein ein rassistischer und konservativer Misanthrop ist, zur Seite zu stehen, erwies Mortensen sich als ein virtuoser Regisseur, besonders in der Schauspielführung. Bereits in diesem Regiedebüt thematisierte er die tiefen Risse in der US-amerikanischen Gesellschaft, die Kluft zwischen Konservativen und Liberalen. Die kleine Geschichte in der größeren zu verankern, ist ihm dabei ein Anliegen, um so auch ein historisches Porträt Vereinigten Staaten zu zeichnen. War in Falling noch die Obama-Ära die Hintergrundfolie, so ist es in The Dead Don’t Hurt der Sezessionskrieg, der jedoch nie direkt gezeigt wird – ganz im Sinne der Zurücknahme und der dedizierten Fokussierung auf die Frauenperspektive.
Da, wo das Kino von Demenzerkrankung, Gedächtnisverlust und Erinnerung erzählt, kommen gern Rückblenden zum Einsatz – prominent machte Mortensen davon in Falling Gebrauch. Auch in The Dead Don’t Hurt erzählt er achronologisch, ihm gefällt, wenn die Wirkung vor der Ursache einsetzt. Er mag es, das Publikum in dieser Hinsicht herauszufordern. „I like to respect the audience. If you are interesting in the way you are telling the story, the actors are good and it’s filmed well – even if you are challenging the audience first – there is a point that you begin to fall and then you can deeply connect with the movie.“ Freilich, Mortensen eröffnet seinen Film nicht über die vertrauten Bilder des Genres, sondern mit einem Ritter in voller Montur, auf dem Pferd durch den Wald reitend – wir sind nicht im Wilden Westen Amerikas, sondern im europäischen Mittelalter. Diese leitmotivische Idee des Rittertums strukturiert in Traumsequenzen den gesamten Film – eine gemeinsame Idee der Kontinente übergreifenden Archaik evozierend. Der Cowboy des Wild West und der märchenhafte Ritter des europäischen Mittelalters, beide repräsentieren für Mortensen ein gemeinsames Bild vergangener zivilisierter Leitkultur – sie sind mythisch überhöht, gelten als Leitbilder von Demut, Eleganz und dem Anstand der Dame gegenüber.
„The first fifteen minutes of any movie is like a free pass, you can do whatever you want – weird music, weird acting, weird photography. Something has to happen to get your attention and in the best case it’s the very first scene“, sagt Mortensen. In The Dead Don’t Hurt legt er damit bewusst die gesamte Programmatik des Filmes vor. Diesem Ideal der Ritterlichkeit entspricht auch der von Mortensen verkörperte Holger Olson, ein Mann tiefster Demut, Vergeltung oder Mord aus Rachegelüsten sind ihm fremd – er nimmt Leben nur, wenn sich das einem größeren Ideal verschreibt, etwa den Werten von Freiheit und Gleichheit der Unionsstaaten im Bürgerkrieg. In dieser Hinsicht ist Mortensens Film schon fast übertrieben didaktisch. Dass Mortensen den schauspielerischen Weltruhm gerade mit der Rolle des tugendhaften Aragorn in Peter Jacksons The Lord of the Rings (2001-2003) erhielt, hat er nicht vergessen. Mortensen zitiert das Königsschwert aus der berühmten Filmtrilogie ganz direkt in The Dead Don’t Hurt: „I got special permission“, lacht er, entsprechende Anspielungen sind ihm wichtig, er schreibt damit sein Vermächtnis fort. Die Heldenfigur des Aragorn zeichnet sich besonders durch Weitblick, Edelmut und zögerliche Zurückhaltung aus; Charaktereigenschaften, die Mortensen weiterführte mit Rollen wie dem Cowboy Frank Hopkins in Hidalgo (2004), dem nachdenklichen Mafiagangster in Eastern Promises (2007), dem unkonventionellen, Regeln brechenden, aber reflektierten Familienvater in Captain Fantastic (2017) oder noch mit dem grobschlächtigen, aber besonnenen Italoamerikaner in Green Book (2019). Der Effekt ist überaus wirksam: Die Demut und Eleganz der Rollenbilder Mortensens sind im kulturellen Gedächtnis geblieben – die Rolle des Aragorn etwa wird heute als ein Musterbeispiel positiver Männlichkeit wiederentdeckt –, eine Idee, die nun mit dem Image des Regisseurs von The Dead Don’t Hurt und der Person Viggo Mortensen umso mehr verschmilzt.