Das Verhältnis Luxemburgs zu Oligarchen ist ein verwickeltes. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine belehren Politiker und Leitartikler das Publikum über Oligarchen. Sie unterscheiden zwischen guten und bösen Oligarchen.
Platons Bruder Glaukon fragte, was eine Oligarchie sei. Laut Platon antwortete Sokrates: „Die nach der Schatzung geordnete Verfassung, sprach ich, in welcher die Reichen herrschen, die Armen aber an der Herrschaft keinen Teil haben“ (Politeia, 550c).
„Schätzeng“ wurden auf Lëtzebuergesch die Steuern genannt. Im 19. Jahrhundert waren nur die reichen Steuerzahler wahlberechtigt. Sokrates hätte das Großherzogtum eine Oligarchie genannt. Im anschließenden Arbed-Staat änderte sich das ansatzweise. Im Finanzplatzstaat herrschen die Oligarchen unbemerkt: Die Gesellschaft verinnerlicht ihre Befehle als ökonomische Sachzwänge.
Über die guten Oligarchen verlieren Politiker und Leitartikler selten ein Wort. Wenn ein Familiy Office winkt, nennen sie sie ehrfurchtsvoll „high-net-worth individuals“. Aristoteles nannte die Oligarchen in dem Fall „Aristokraten“.
Die Ukraine wurde „Brotkorb Europas“ genannt. Sie zählt weltweit zu den wichtigsten Produzentinnen von Weizen und Gerste. Laut der Datenbank Landmatrix ist der zweitgrößte Landbesitzer in der Ukraine luxemburgisch. Es ist die Kernel Holding S.A. in Hamm.
Die Holding gehört dem ukrainischen Oligarchen Andrej Werewskij. Er war bis 1998 Vizedirektor der staatlichen Getreidefirma „Brot der Ukraine“. Nun besitzt er 507 611 Hektar ukrainisches Ackerland. Das entspricht zweimal dem Staatsgebiet des Großherzogtums.
Der ukrainische Staat brauchte Geld für Schulen und Krankenhäuser. Andrej Werewskij wollte keine Steuern zahlen. Luxemburg half ihm dabei. Auf Kosten der Ukrainer. Sie haben keine Freunde in Luxemburg. Außer, wenn sie ihren Kopf für „unsere Werte“ hinhalten. Deshalb ist das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner in Luxemburg das höchste und in der Ukraine das niedrigste Europas: 136 701 Dollar gegen 4 828 Dollar.
Russland, die USA und die Europäische Union streiten seit Jahren um die Ukraine. Mit guten Worten, Geld und nun Haubitzen. Andrej Werewskij wusste sich stets anzupassen. Er war Parlamentsabgeordneter von Julija Tymoschenkos Partei. Sie wurde von der EU ausgehalten. Dann von Wiktor Janukowytschs Partei. Sie wurde von Russland ausgehalten. 2013 gewannen die USA und die EU. Andrej Werewskij konzentrierte sich aufs Geschäft. Er ist ein guter Oligarch.
Nach dem Konkurs der Sowjetunion machten die Weltbank, der Internationale Währungsfonds und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung gemeinsam Druck: Russland und die Ukraine sollten den Kapitalismus durch Überrumpelung wieder herstellen. Sie nannten Sozialabbau, Austerität und Privatisierungen „Schocktherapie“. Der „Bal Russe“ im Cercle Cité tanzte dazu.
Die 1931 gegründete Kryworischstal im ukrainischen Krywyj Rih war einer der größten Bergbau- und Stahlkomplexe des Kontinents. 2005 wurde Kryworischstal privatisiert. Die Stahlgruppe Arcelor aus Luxemburg bot 4,82 Milliarden Dollar. Der Stahlbaron Lakshmi Mittal aus England bot 4,84 Milliarden Dollar. Danach kaufte er auch Arcelor. Premier Jean-Claude Juncker herzte den Oligarchen auf dem Clairefontaine-Platz.
Die russischen Oligarchen werden derzeit nicht geherzt. Sie werden als Kriegsfeinde behandelt. Ihre Geschäftsinteressen werden für die Vernunft gehalten, zu der sie ihren Staatspräsidenten bringen sollen. „[L]es opérateurs luxembourgeois ont gelé des avoirs de personnes et entités sanctionnées à hauteur de près de 4,267 milliards d’euros.“ So Finanzministerin Yuriko Backes am 7. Juni.
Die Jagd auf die Bankguthaben, Luxusyachten und Privatjets der russischen Oligarchen hat Tradition. Bisher um ihren Besitzern Hilfe bei der Steuervermeidung anzubieten. Nun um sie als Feindvermögen einzufrieren.