Heute loben wir die kleinen Fluchten. In anderen Worten: diese Woche lesen Sie einen Pausentext. Haben Sie schon die wohltuend betäubende Rundfunkwerbung der Luxemburger Post fürs Kabelfernsehen gehört? Der Spot geht so: Eine Frau fordert ihren Gatten auf, doch endlich mit ihr aufzubrechen. Der Gatte setzt dagegen: „Ech muss nach zwee Monsteren erledegen!“ Darauf die Frau: „An ech hunn an enger Stonn Rendez-vous mam Kate Moss um Moudendéfilé zu Paräis, an duerno muss ech d’Kanner op der Gespensterinsel ofhuelen!“ Monster, Kate Moss, Gespenster! Die ganze Welt der Erholung in drei Stichworten! Wobei nicht wirklich klar ist, ob es sich bei den drei TV-Schwerpunkten nicht immer um das Gleiche handelt. Nämlich um Kate Moss. Die Trösterin der Politikverdrossenen.
Ja, am vergangenen Wochenende hatten wir das seltene Glück, uns mit Kate Moss für zwei Tage abzusetzen aus den grauenhaften Gefilden der heimischen Politik. Kein Juncker, kein Frieden, kein Asselborn, kein Würth weit und breit – nur noch Kate Moss. Unser Lieblingsgespenst. Unser Luxusmonster. Wir lockten Kate Moss einfach aus der postalischen Fernsehbeglückungsmaschine heraus. Auch das gehört zum Kundendienst der Post: Kate Moss live im Wohnzimmer. Der Service kostet zwar ein paar Kröten mehr, man muss auch wissen, wo sich der Moss-Inkarnierungs-Knopf am Gerät befindet, aber dann wird alles sehr schön. Kabelfernsehen ist wunderbar. Sofort schlagen wir Kate Moss einen kleinen, erholsamen Ausflug vor. Dorthin, wo Luxemburg noch idyllisch und weitgehend politikfrei ist. Nämlich nach Echternach.
In Echternach läuten ständig die Glocken. Das fällt nicht nur Kate Moss auf, sondern auch uns. Naja, irgendwie passt der heilige Lärm ja zur pompösen Basilika. Der Protzbau muss akustisch ein bisschen gerüttelt und geschüttelt werden. Sonst blickt der Wanderer nimmer mit himmlischem Blick nach oben. Doch Kate Moss ist gar nicht happy. „Who the fuck is ringing these fucking bells?“, schreit sie nun schon zum dritten Mal. Auch wir müssen zugeben: Es handelt sich in der Tat um ein höchst obsessives Geläute. Der Herr Dechant von Echternach scheint irgendwie 24 Stunden pro Tag hyperaktiv an der Tastatur des Glockenschalters tätig zu sein. Mein Gott, es läutet und läutet und läutet! Damit Kate Moss nicht entnervt abhaut, erklären wir ihr, bei den ständigen Signalen aus den Glockentürmen handele es sich um ein sogenanntes Wiedergutmachungsgeläute für die zahllosen kirchlichen Missbrauchsopfer. „Fuck it!“, krächzt Kate. Es läutet schon wieder.
Zum Glück gibt es in Echternach nicht nur die Basilika, sondern auch das Trifolion. Damit jetzt keiner umsonst nach Sub- und Metatext forscht, schicken wir gleich voraus: Was nun folgt, ist völlig ironiefrei (wir melden uns später, wenn die Ironie wieder einsetzt). Das Trifolion ist der bedeutendste Ort in Echternach. Ein so tolles Kulturhaus muss man lange suchen. Im Atrium fühlen wir uns geborgen wie in einer etwas überdimensionierten Wohnstube. Für dieses Haus müsste man vielleicht den – leicht opportunistischen – Begriff der „cultural wellness“ schaffen. So, jetzt melden wir uns wieder: die ernsthaften Sätze sind gesprochen, die Ironie ist wieder da. Kate Moss achtet eigentlich kaum auf die sehr sanfte Architektur des Trifolion. Sie ist happy, weil es nicht läutet. „No fucking bells!“
Als wir das Trifolion verlassen, überfällt uns ein grausamer Schrecken. Genau vor den Toren des Kulturhauses reckt sich ein unansehnlicher, fünf Meter hoher Bronzekoloss, eine Art Riesenmilchbubi in wallendem Gewand! Zum Glück flüstern uns ein paar Echternacher Ureinwohner, bei diesem gigantischen Knaben handele es sich um den heiligen Tarzisius, den Schutzpatron der Messdiener. Warum nur, ja warum blickt der tonnenschwere Sakristeigockel denn mit stechenden Augen schnurstracks aufs Trifolion? Ausgerechnet auf die religionsfreie Zone der Stadt? Warum schaut er nicht auf die Basilika, seine angestammte Klause? Soll das Trifolion-Publikum missioniert werden? Mittels klerikaler Drohkulisse? Mit der Bronzekeule?
Nein, nein, wir sind ja in Echternach, um uns zu erholen. Hier also die erholsame Auflösung des Rätsels: In der Nacht zum Pfingstdienstag wird dem Tarizisius-Standbild ein weithin sichtbares Schild mit der Aufschrift „Ich bin ein Missbrauchsopfer“ um den Hals gehängt. Damit die gesamte Springprozession vor lauter Freude über die Reue und Sühne der Kirchenoberen so hoch hüpfen kann wie nie zuvor.
Trotzdem müsste der Knabe nicht unbedingt aufs Trifolion glotzen. Es sei denn, er hat sich schon um die eigene Achse gedreht. Vor lauter Neugier, was denn im außerkirchlichen Bezirk alles so los sei. „Thought, he was Pete“, sagt Kate Moss. Von der Größe her könnte es stimmen. Aber ansonsten hat der gusseiserne Ministrant nichts vom Herrn Doherty. Es läutet wieder. Unsere kleine Flucht ist vorbei. Ende der Betäubung. Ciao, Kate. Nächste Woche kommt es wieder kirchturmglockenhart. Versprochen.