Heute loben wir die Unfehlbarkeit. Diese Erfindung ist sehr praktisch und bequem. Sie erlaubt ihrem Nutzer, selbst bei gröbstem Fehlverhalten immer schön stur zu bleiben. Der Unfehlbare darf sich monumentale Schnitzer leisten, keine noch so massive Kritik kann ihn auch nur epidermisch erschüttern. Ein gutes Beispiel ist der unfehlbare Herr Ratzinger. Er steht morgens auf, verkleidet sich als Papst, breitet die Arme aus und befindet sich sofort im Zustand der Unfehlbarkeit. Wie kommt es nur, dass wir auf fast allen Fotos den Herrn Ratzinger immer nur mit ausgebreiteten Armen sehen? Handelt es sich hier vielleicht um eine Gymnastikübung gegen Rheumaschmerzen in den Schulterblättern? Oder sagt uns die theatralische Gestik tatsächlich: So dick ist das Sündenregister meiner Kirche? In diesem Fall wären die heiligen Arme des Herrn Ratzinger wohl viel zu kurz. Macht aber nichts. Denn Herr Ratzinger ist ja unfehlbar. Seine Arme inklusive.
Jedes Mal, wenn der unfehlbare Herr Ratzinger einen Sturm der Entrüstung entfacht wegen seiner weltfremden und schlicht gemeingefährlichen Ansichten, kontert er mit dem immer gleichen Drei-Phasen-Schema. Erstens: Ich wurde gründlich missverstanden. Zweitens: Meine Aussagen wurden aus dem Kontext gerissen. Drittens: Ich bin das Opfer einer schändlichen Medienkampagne. Zusammengefasst: Alle Kritik ist nichts als unbedeutendes Geschwätz. Ganz automatisch übernehmen die Papageien des Unfehlbaren die klassische Litanei: „Wir werden es nicht unwidersprochen hinnehmen, dass über die ganze Priesterschaft und den Kreis kirchlicher Mitarbeiter ein Generalverdacht verhängt und ein Drecks-kübel von Schmach und Beleidigung, von Schlamm und Morast ausgegossen wird“, drohte Generalvikar Schiltz am Osterwochenende.
Wer unfehlbar ist, darf also munter Ursache und Wirkung verwechseln. Der „Dreckskübel von Schmach und Beleidigung, von Schlamm und Morast“ wurde ja wohl von keinem anderen als der Kirche über die unzähligen Missbrauchsopfer ausgegossen. Aber der unfehlbare Täter spielt provokant den armen, vom Dämon der öffentlichen Meinung Verfolgten. Die wirklichen Opfer verschwinden einmal mehr im theologischen Nebel. Ad maiorem Dei gloriam.
Der deutsche Bischof Overbeck, zu Gast in der Talksendung Anne Will, schilderte die „unbestreitbaren Vorzüge“ seiner Kirche wie folgt: „Wir verkünden klar und deutlich, wie sich der Mensch zu verhalten hat.“ Auf die erstaunte Frage der Moderatorin, wieso er sich denn so und nicht anders zu verhalten habe, sagte Herr Overbeck : „Weil Gott es so will.“ Na ja, es ist verdammt schwierig mit diesen unfehlbaren Besessenen. Der Mensch ist ja wohl ein Wesen wie Sie und ich. Wenn der Mensch mit Gott nichts am Hut hat, weil er ihn für ein reines Wahnprodukt hält, muss sich der Mensch ja wohl keine Vorschriften von der Pfaffensekte gefallen lassen. Aber genau dies wollen die Overbecks und Ratzingers nicht wahrhaben. Sie sprechen nie für ihren eigenen Verein, sondern immer im Namen der gesamten Menschheit. Das heißt, wenn die Menschheit nicht zufällig homosexuell ist oder Abtreibung für ein fundamentales Recht hält. In diesem Fall droht sofort die unfehlbare Diffama-tion. Folgerichtig lautet die neueste Vatikan-Erkenntnis: die Homosexuellen sind schuld an den zahllosen Missbrauchsfällen. Denn Homosexualität und Pädophilie bedingen sich angeblich gegenseitig. Schon wieder eine unfehlbare Menschenverhetzung.
Wie wenig exponierte Katholiken die Eckbegriffe ihrer eigenen, mörderischen Geschichte beherzigt haben, zeigt ihr höchst fahrlässiger Umgang mit einer historisch belasteten Terminologie. Der Vatikanprediger Cantalamessa setzte die Kritik an der Kirche gleich mit den schlimmsten Exzessen der Judenverfolgung. Er musste sich ein paar Tage später entschuldigen, weil sich die jüdische Gemeinschaft weltweit über die unzulässige Analogie empörte. Ähnlich unglaublich hört sich die Anspielung an, die hierzulande der Gefängnispfarrer und der Wort-Journalist Josef Lorent zum Besten gaben: Es müsse Schluss sein mit der neuen Hexenjagd auf Kirchenvertreter.
Das ist allerdings ein einsamer Gipfel der perversen Rhetorik. Die Hexenjagd ist eine genuine Schandtat der katholischen Kirche. Wenn sich die katholischen Herrschaften jetzt selber gleichsetzen mit Frauen, die wegen ihrer Überzeugungen von der Pfaffenmeute verfolgt und verbrannt wurden, werden die Opfer zum zweiten Mal entehrt und entwürdigt. Die Organisation des Herrn Ratzinger ist so kritikresistent, dass sie lieber in die Rolle ihrer eigenen Opfer schlüpft, als auch nur ein einziges ihrer historisch verbürgten Verbrechen einzugestehen.
Der unfehlbare Herr Ratzinger wird wohl wieder nur uneinsichtig und unbelehrbar die Arme ausbreiten. Hoffentlich heißt dies nicht: Lasset die Kinder Gottes zu mir kommen! Das wäre nach Lage der Dinge schon fast eine Sakralisierung des Missbrauchs.