Die Regierung befürchtet, Luxemburg könnte bei KI-Entwicklungen abgehängt werden. Die eigentlich politischen Fragen spricht sie kaum an

„Wéi kritt een nach e Message véhikuléiert, deen d’Leit gleewen?“

Corinne Cahen (DP) will das  Parlament auf Techno-Optimismus einschwören
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 31.01.2025

Letztes Jahr im Mai verkündete das Staatsministerium, seit Tagen kursiere in den sozialen Medien ein Video mit Premierminister Luc Frieden, in dem er die Menschen dazu aufruft, Geld in ein Programm für künstliche Intelligenz zu investieren. „Wir möchten darauf hinweisen, dass es sich hierbei um ein gefälschtes Video handelt.“ Ähnliche KI-manipulierte Videos gab es bereits mit DP-Außenminister Xavier Bettel und Bürgermeisterin Lydie Polfer (DP). Das manipulierte Bildmaterial wird von KI-generierten Stimmen der Politiker begleitet, um den Eindruck einer echten Ansprache zu erwecken. Mitte Dezember des vergangenen Jahres tauchte ein gefälschter RTL-Post auf, der den ehemaligen Kommissionspräsidenten Juncker in einem Gerichtssaal zeigte: „Charges against Jean-Claude Juncker confirmed“, so die angebliche Nachricht. In einer (echten) Stellungnahme zum gefälschten Material schreibt RTL, es handele „sich schlicht und einfach, und daran werden wir uns in Zukunft gewöhnen müssen, um eine von künstlicher Intelligenz erzeugte Werbung, die daher völlig falsch ist“.

Fake News hätten einen nachweisbaren Einfluss auf unsere Gesellschaft, sagte Jens Kreisel, Rektor der Universität Luxemburg, Ende Dezember in einem RTL-Interview mit Caroline Mart. „Wir werden sehen, dass die Demokratie doch recht fragil ist“, schätzte er künftige Entwicklungen ein. Mart spielte diese Einschätzung im RTL-Neujahrsinterview mit CSV-Premier Luc Frieden ein und fragte ihn, ob er dem Rektor zustimmt. Russlandfreundliche Regierungen seien das eigentliche Problem, nicht KI, entgegnete der Premier. Er sehe mehr Vorteile als Risiken: „Ech gesinn esou vill nei Méiglechkeeten am Gesondheetswiesen an am autonomous Fueren.“ Allerdings klingt er nicht durchgehend wie ein Optimist, sondern eher wie jemand, der Fomo, Fear of Missing Out, hat: „Mir mussen eis ëmt Domänen wéi Dateneconomie ganz massiv këmmeren.“

Vor sechs Wochen schwor die Budget-Berichterstatterin Corinne Cahen (DP) das Parlament auf Techno-Optimismus ein. Die „neuen KI-Entwicklungen“ könnten uns helfen, den Klimawandel „in den Griff zu bekommen“. Gerade für Luxemburg bringe KI viele „Chancen“. Sie sehe „Nischen“, ruft sie am Rednerpult der Chamber – etwa im Bereich der personalisierten Medizin. Laut Spiegel soll dieser Markt bis 2032 auf 500 Milliarden Dollar anwachsen. „An do muss Lëtzebuerg dobäi sinn.“ Mit dem neuen, EU-mitfinanzierten Quantencomputer, der 2026 in Betrieb gehen soll, würde Luxemburg zudem seine Cybersicherheitsinfrastruktur verbessern – insbesondere im Satelliten- und Militärbereich.Cahen zeigte sich beeindruckt von technischen KI-Wundern: Durch KI-Berechnungen vermeide Starlink tausende potenzielle Kollisionen mit Weltraumschrott.Anschließend verfiel sie in einen Stream-of-Consciousness mit Happy-End: „Wat ass, wa KI a Waffesystemer benotzt gëtt? Wou sinn déi rout Linnen fir Lëtzebuerg? Rout Linnen op der enger Säit – Opportunitéiten op der anerer Säit: Defense, KI, Datafusion, dat muss alles opgebaut ginn. Domat kréie mer dann nei Entreprisen an Talenter op Lëtzebuerg, an do kënne mer da weider drop opbauen.“ Sie sehe „Nischen am Space-Beräich“.

Tatsächlich investiert Luxemburg derzeit in KI-Infrastruktur: Mit dem Supercomputer Meluxina-AI wird auch die an ihn angegliederte AI Factory in Betrieb genommen. Neben Luxemburg beteiligen sich Deutschland, Spanien, Italien, Griechenland, Schweden und Finnland an dem Vorhaben, KI-Systeme zu vernetzen. Das EU-Projekt verschlingt ein Gesamtbudget von 1,5 Milliarden Euro, das durch nationale und EU-Mittel finanziert wird. Luxemburgs Anteil beläuft sich dabei auf insgesamt 126 Millionen Euro – eine letztlich bescheidene Summe, wie die Woxx schrieb. In den USA sollen 500 Milliarden in das Stargate-KI-Projekt investiert werden. Doch wie es genau auf dem höchst volatilen Markt weitergeht, ist unbekannt: Seit dieser Woche macht China mit DeepSeek den Large Language Models aus den USA Konkurrenz, die ihre Return-on-Invest-Probleme ohnehin kaum noch verbergen können. Neben finanzieller und technischer Abgehängtheit sieht sich Luxemburg derweil mit einem weiteren Problem konfrontiert: Kurz vor der Amtsübergabe beschloss die Biden-Regierung, das Großherzogtum von der US-Liste der „engen Verbündeten“ zu streichen, denen unbegrenzter Zugang zu den neuesten Modellen von KI-Chips gewährt wird. Die Regierung muss sich nun überlegen, wie sie an leistungsstarke Grafikprozessoren kommt, um eine performante KI-Infrastruktur aufzubauen.

Die größten Umbrüche und Vorteile erwartet Luxemburg im Finanzwesen. Die naheliegendste Etappe wird wohl eine KI-gestützte, automatisierte Identifizierung von Konten im Zusammenhang mit dem Anti-Geldwäsche-Gesetz und dem Bankgeheimnisgesetz sein. Elisabeth Margue betonte gar gegenüber Paperjam, KI nehme „schon jetzt einen strategischen Platz“ in der Wettbewerbsfähigkeit des Landes ein. Eine rasche Umsetzung des Artificial-Intelligence-Act, des EU-Gesetzes zur Regulierung künstlicher Intelligenz, berge Chancen für „Finanzdienstleistungen“. Die Regierung müsse „aktuelle Hindernisse“ identifizieren, „um zukunftsweisende Projekte nicht zu behindern“. Auch Corinne Cahen will im Finanzwesen „keine Zeit verlieren“. Dabei klingt sie weniger zuversichtlich als unter Zugzwang stehend: „An dat ass een Challenge, fir do direkt, direkt mat virbäi ze sinn“, wie sie im Radio 100,7 sagte. Im Parlament mahnte sie, man müsse „mithalten, mitentscheiden, mitinvestieren“ – Luxemburg müsse ein „first mover“ sein. Die Regierung dürfe den Zug „sécher net verpassen.“ (Der Deep-Learning-Zug ist seit über zehn Jahren unterwegs, der Large-Language-Model-Zug seit über fünf).

In der politischen Debatte wird kaum die Frage adressiert, wie viele Arbeitsplätze durch die KI-Automatisierung verloren gehen könnten. Die Befürchtungen werden zumeist mit dem Hinweis beiseite geräumt, dass einerseits Arbeitskräftemangel herrscht und andererseits durch neue technologische Entwicklungen Jobs entstehen, „von denen man heute noch gar nichts ahnt“, wie Thomas Klein im Wort ironisierend schrieb. Kommt es dennoch zu einem Kahlschlag auf dem Arbeitsmarkt, wie will der Staat die entfallenden Einkommensteuern kompensieren? Denn Algorithmen leisten keine Abgaben, hält der Wort-Journalist der Politik vor. Die Einkommenssteuer macht aber immerhin einen Viertel der Steuereinnahmen aus. Und eine weitere Anmerkung sollte hinterhergeschickt werden: Der Fahrzeug- und Maschinenbaukonzern MAN plant für 2030 die Serienproduktion von fahrerlosen Lastwagen, Premier Frieden mag darin Vorteile sehen, aber welche Optionen will man den geringqualifizierten Fahrern bieten?

Eine weitere chronisch heruntergespielte Herausforderung führt zurück zu dem Fake-Frieden, der vergangenes Jahr Geld für KI-Investitionen sammelte. Im RTL-Background wurde die Ministerin für Digitalisierung, Stéphanie Obertin, vor zwei Wochen auf KI-generierte Desinformationskampagnen angesprochen – könnte Europa nicht wiederholt von gesteuerten Polit-Kampagnen überflutet werden? Mit dem AI-Act und dem Digital Services Act (DSA) sei der Schutz vor „illegalen Inhalten“ und „aggressiven Werbungen“ gewährleistet, antwortete sie. Der AI-Act wurde jedoch noch nicht in nationale Gesetzgebung umgesetzt. Wenn es soweit ist, soll er für Transparenz und Nachvollziehbarkeit beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz innerhalb der Europäischen Union sorgen und deren Anwendung je nach Risikobewertung unterschiedlich regulieren. Der DSA konnte zwar bisher erfolgreich gegen einige illegale Inhalte vorgehen, aber er ist eine reaktiv ausgelegte Gesetzgebung, die Hassreden und Ähnliches ahndet, sofern sie gemeldet werden. Ein proaktiver Schutz müsste mit Upload-Filtern vorgehen, was technisch schwer umsetzbar und anfällig für Zensur ist. Deshalb sagte die Ministerin auch: „De beschte Schutz ass, wa Bierger sech informéieren, au Courant setzen, kritesch bleiwen.“ Nur wo bleibt ein zeitgemäßes Konzept, um Medienkompetenz in allen Alterskategorien zu fördern?

Unklar ist auch, wie effizient der AI-Act und der DSA künftig sein werden. Im Herbst hatte J. D. Vance gedroht, wenn „die Nato will, dass wir sie weiterhin unterstützen, warum respektiert die EU dann nicht die amerikanischen Werte und die Redefreiheit?“ Mark Zuckerberg wendet sich ebenfalls gegen die Transparenzanforderungen der EU; sie solle die „Freiheit, Unternehmenspraktiken vor der Öffentlichkeit zu verbergen, akzeptieren“ In einem Gespräch mit Joe Rogan meinte er, er sei „optimistisch“ – Präsident Donald Trump werde sich gegen EU-Vorgaben einsetzen. Bereits jetzt genießen amerikanische Plattformen wie X und Facebook viele Freiheiten und dürfen sich dem Pressegesetz entledigen, weil sie sich nicht als Medienunternehmen ausgeben. Elon Musk mischt sich derweil in den deutschen Wahlkampf ein, indem er die AfD-Kandidatin Alice Weidel auf X hochjazzt. Corinne Cahen erwähnt Elon Musk und die Wahl Trumps am 6. November kein einziges Mal in ihrer Rede Mitte Dezember.

„Naiv“ sei unser derzeitiger Umgang mit sozialen Medien, meinte der Professor für Medien- und Telekommunikationsrecht Mark Cole von der Universität Luxemburg vor zwei Wochen im RTL-Kloertext. Die Internet-Öffentlichkeit sei „kein Marktplatz der Ideen“ mehr, auf dem sich die besten Argumente durchsetzen. Das „Tempo der Meinungsbildung geht zu schnell“, um bei Falschmeldungen mit Gegendarstellungen Schritt zu halten. Für Unternehmen wie Meta sei es ein „politisches und unternehmerisches Programm“, dass ihnen „die Regeln egal sind“, weil sie Profit daraus schlagen, „wenn sie disruptiv wirken“. „Desinformation funktioniert ökonomisch und politisch“ – er sehe darin eine Gefahr für die Demokratie. Cole ist eine der klügsten Stimmen, die hierzulande in den letzten Monaten in der KI-Debatte zu Wort gekommen sind. Ebenso hat Jean-Jacques Rommes, Mitglied der nationalen Ethikkommission, im Sommer auf RTL-Télé vor den Herausforderungen durch KI gewarnt: KI-Videos seien nicht nur problematisch, weil sie in die Irre führen könnten, sondern auch, weil sie Internet-Nutzer abstumpfen ließen – wer mit hundert Falschmeldungen berieselt werde, glaube womöglich auch keiner echten Warnung, wenn es darauf ankomme. Eine weitere Gefahr sieht Rommes in kognitiven Rückbildungen: „De Mënsch ass faul. Dat bestätegt sech beim muskuläre Schaffen, mä och beim Denken.“ Man solle ihnen nicht das Denken überlassen. Der ehemalige UEL-Vorsitzende warnte im Kloertext vor zwei Wochen zudem, in Amerika komme derzeit eine ungute Allianz zwischen Wirtschafts- und Politikakteuren zusammen, die Fragen bezüglich Kapital und Machtkonzentration aufwerfe.

Corinne Cahens Analyse, in einer Welt in der Milliardäre Politiker und reichweitenstarke Plattformen kaufen, lautet allerdings so: „Wéi kritt een nach e Message véhikuléiert, deen d’Leit nach gleewen, och als Politik? Mee dorop berout d’Demokratie, dass ee Vertrauen an d’Institutiounen huet. D’Leit solle kritesch si mat deenen, déi an enger Entscheedungspositioun sinn, mee se musse Grondvertrauen hunn an d’Demokratie an an d’Institutiounen.“ Vertrauen aber reicht in einer dysfunktionalen Kommunikationswelt nicht mehr. Und man kennt das alte Sprichwort: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Die Kontrolle ist der hiesigen Politik in punkto sozialer Netzwerke jedoch abhandengekommen. Cahen rät Pressorganen stattdessen, sie sollten mit KI soziale Netzwerke mit „kreativen“ Inhalten füttern, um „an ein neues, weniger zeitungsaffines Publikum heranzukommen“. Um Fake News entgegenzuwirken, wünscht sie sich, dass KI-generierte Inhalte gekennzeichnet werden. Ob sich die Internet-Trolls und Bots daran halten?

KI-Anwendungen

Einige hiesige Privatunternehmen arbeiten bereits erfolgreich mit KI. Antoine Welter leitet das Start-up Circu Li-ion, das über Sensoren KI-gesteuerte Roboter Batterien recycelt. Batterien auseinandernehmen ist eine für Menschen gesundheitsschädliche Tätigkeit. Creos simuliert Eingriffe im Stromnetz mithilfe eines digitalen Zwillings, den die luxemburgische Firma Datathings entwickelt hat. Das KI-Modell ermöglicht es, das Netz effizienter zu verwalten und Schwachstellen gezielter zu beheben. Mit Talkwalker sitzt auf dem Kirchberg ein großer Player, der mit Blue-Silk-GPT Social Listening betreibt, um Verbrauchertrends mithilfe von KI zu entschlüsseln. Statt auf Volumenmetriken setzt das Unternehmen auf Datensegmentierung – das beschleunigt die Rechenprozesse. Auch in der Landwirtschaft setzen einige Betriebe KI ein, wie Landwirtschaftsministerin Martine Hansen (CSV) diese Woche im Rahmen einer parlamentarischen Anfrage der DP-Abgeordneten Luc Emering und André Bauler hervorhob: Sensoren und GPS-Systeme würden in einigen Betrieben automatisierte Dosierungen für Dünger, Pestizide und Saatgut vornehmen.

Stéphanie Majerus
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