Unternehmensbesteuerung: CCCTB und andere Unbekannte

Bare Münze

d'Lëtzebuerger Land vom 23.09.2016

Kolonne für Kolonne wird in den Anhängen des Gesetzentwurfs 7031, der Mitte Juli im Parlament hinterlegt wurde, erklärt, wie multinationale Konzerne ihre länderspezifischen Steuererklärungen ausfüllen müssen: Umsatz, Gewinn oder Verlust, gezahlte und geschuldete Steuern, Kapitalrücklagen, zurückgehaltene Gewinne, Anzahl der Mitarbeiter und Aktiva, je nach Gerichtsbarkeit. Dann das Ganze noch einmal für die Filialen, die nach ihren Hauptaktivitäten aufgeteilt werden: Forschung und Entwicklung, die Verwaltung von geistigem Eigentum, konzerninterne Finanzierung oder Versicherung, Verwaltung, Herstellung oder Vertrieb.

Nachdem das Luxemburger Sonderregime für geistiges Eigentum abgeschafft wird, ist dies eine der ersten konkreten Umsetzungen der Beps-Beschlüsse der OCED gegen die Verschiebung von Gewinnen und die Erosion der Bemessungsgrundlage in Luxemburger Recht, und das via Brüssel. Denn die vergangenen Mai verabschiedete EU-Richtlinie 2016/881 zielt darauf ab, die Beps-Aktion Nummer 13 (von insgesamt 15) in der EU umzusetzen, die im englischen Fachjargon Country-by-Country-Reporting genannte Steuererklärung nach Ländern, die dafür sorgen soll, dass Multis einen „gerechten“ Anteil Steuern an jedem ihrer Standorte zahlen.

Laut Finanzformular werden die länderspezifischen Steuererklärungen bei der Steuerverwaltung 350 000 Euro Informatikkosten sowie 290 000 Euro Personalkosten verursachen. Angaben über einen eventuellen Ausfall bei den Steuereinnahmen machen die Autoren des Entwurfs aus dem Finanzministerium keine. Dabei ist das Country-by-Country-Reporting den Angaben des Finanzministers Pierre Gramegna (DP) zufolge eine der Maßnahmen, die riskieren, die Bemessungsgrundlage der in Luxemburg niedergelassenen Unternehmen zu verändern. Beziehungsweise der Ergebnisse, die in Luxemburg versteuert werden und damit das Steueraufkommen insgesamt.

Die andere große Unbekannte in dieser Gleichung ist die Gemeinsame konsolidierte Körperschaftssteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB), welche noch dieses Jahr von der EU-Kommission vorgelegt werden soll. Die Idee dazu ist wahrlich nicht neu. Schon 2004 berichtete der Brüssel-Korrespondent von Le Monde unter dem Titel „Sur fond de dumping social, la Commission ouvre le chantier miné de l’impôt sur les sociétés“ über die Bemühungen des EU-Kommissars Frits Bolkestein auf Drängen Deutschlands und Frankreichs eine gemeinsame Bemessungsgrundlage zu schaffen, um zu verhindern, dass die neuen Mitgliedstaaten im Osten Europas nicht gleichzeitig Strukturfondsgelder einheimsen und Steuergelder aus den alten Mitgliedstaaten herausfiltern würden. 2011 kam ein Richtlinienvorschlag auf den Tisch, der im Europaparlament Zuspruch fand, es aber nicht durch den Rat der Finanzminister schaffte.

Doch vor der Kulisse von Luxleaks und Panama Papers stieg der Druck auf den Präsidenten der EU-Kommission Jean-Claude Juncker derart an, dass er das alte Vorhaben der GKKB wieder aus der Schublade holte. Wenn die Besteuerung der Unternehmen künftig in allen EU-Mitgliedstaaten auf der gleichen Bemessungsgrundlage erfolgen soll, bleibt auch das nicht ohne Folgen für das Steueraufkommen in Luxemburg insgesamt und für die Betriebe im Einzelnen. Werden die nationalen Spezifitäten bei den Absatzmöglichkeiten dadurch abgeschafft, wird die Steuerlast auf den Unternehmen in den verschiedenen Ländern vergleichbarer, als das momentan der Fall ist. So argumentieren auf jeden Fall Steuerspezialisten, die deshalb schon im Vorfeld der Steuerreform warnten, dass der Konkurrenzdruck unter den Ländern, einen möglichst niedrigen Körperschaftsteuersatz aufzuweisen, um so Unternehmen anzulocken, steigen werde. Auch nachdem die Regierung ihre Pläne für die Steuerreform veröffentlicht hat und der Gesetzentwurf im Parlament hinterlegt ist, zeigen die Steuerberater und Arbeitgeberlobbys deshalb gerne Tabellen vor, in denen der Luxemburger Körperschaftsteuersatz mit denen in immer exotischeren Gerichtsbarkeiten verglichen wird, um ihrer Forderung nach einem niedrigeren Satz Nachdruck zu verleihen. Denn die von Pierre Gramegna vorgeschlagene Senkung von aktuell 21 auf 18 Prozent 2018, die, kommunale Gewerbesteuer in der Hauptstadt inklusive, zu einem Steuersatz von 26,01 führen soll, geht ihnen nicht weit genug. Sie befürchten, dass Unternehmen trotz dieser Senkung durch die momentan noch nicht abschätzbare Erweiterung der Bemessungsgrundlage in Zukunft mehr Steuern zahlen müssten.

Die große Aufregung in Spezialisten- und Unternehmenskreisen erklärt sich dadurch, dass es nicht nur um drei Prozent in die eine oder andere Richtung geht, sondern dadurch, dass kaum ein Unternehmen den nominalen Satz von 29,22 Prozent bezahlt. Der Satellitenbetreiber SES ist eines der wenigen Unternehmen, die nicht mit ihrem effektiven Steuersatz hinter dem Berg halten: 2015 lag er bei 11,2 und 2014 bei 11,7 Prozent, also noch niedriger als der von Irland gesetzte Goldstandard von 12,5 Prozent. Damit liegt SES wahrscheinlich ein klein wenig unter dem Durchschnitt. Wo der liegt? Die Beratungsfirma PWC hat in einer kürzlich vorgestellten Einschätzung der volkswirtschaftlichen Folgen von Steuersenkungen in Luxemburg (sie sind wenig überraschend zu positiven Ergebnissen gelangt) einen impliziten Steuersatz von 13 Prozent ermittelt, was also nicht einmal der Hälfte des nominalen Satzes entspricht. Dass in Luxemburg einige wenige Firmen viel Steuern zahlen, während die große Masse nur wenig zum Steueraufkommen beiträgt, ergibt sich auch aus dem für die Steuerreform zusammengestellten Kompendium; 0,73 Prozent der Unternehmen entrichten 75 Prozent der Körperschaftssteuer. 2014 zahlten die 50 größten Steuerzahler 633 Millionen von 1,6 Milliarden Euro insgesamt.

Um die Steuerberater und Arbeitgebervertreter zu beruhigen, hat die Regierung versprochen, nachzubessern, falls die Bemessungsgrundlage durch die anstehenden Änderungen zu groß werde. „La baisse de l’I.R.C. décrite ci-devant correspond à un allègement net de la charge fiscale des entreprises. Le gouvernement s’est engagé par ailleurs à suivre de près l’évolution de la situation internationale et européenne, notamment par rapport à la transposition des règles Base Erosion and Profit Shifting (BEPS) de l’Orgnisation de Coopération et de Développement Économiques (OCDE), pour envisager la cas échéant la possibilité d’ajustements complémentaires. Ceci soulinge la volonté du Luxembourg de maintenir un régime fiscal compétitif au niveau international, tout en respectant les règles internationales applicables en la matière.“

Dass die Regierung Bereitschaft zeigt, den Steuersatz nicht ein-, sondern zweimal zu senken, halten nicht alle Beobachter für eine gute Idee. Werde er einmal gesenkt, werde Luxemburg in der internationalen Presse einmal als Steuerparadies und Schmarotzerland geschleift, das aus der EU geworfen gehöre. Werde er zweimal gesenkt, werde Luxemburg zweimal als Steuerparadies geschleift.

Dass die Entscheidung, den Steuersatz zu verändern, eine politische und nicht nur eine technische, rein mechanische ist, vergessen beziehungsweise verdrängen die Steuerspezialisten gerne, die mit ihren Vergleichstabellen so tun, als ob es keine andere Möglichkeit gebe, als sich der Logik des internationalen Steuerwettbewerbs zu fügen. „Man kann gegen das System sein“, sagte Steuer-Partner Wim Piot von PWC vergangene Woche, doch es sei nun mal da, deswegen müsse man sich danach richten. Dass man die Aussagen derjenigen, die am System verdienen, nicht unbedingt für bare Münze nehmen sollte und ihre Beweggründe hinterfragen sollte, kann man auch an den Ruling-Statistiken der vergangenen Jahre erkennen. Nachdem zum Ersatz des Steuerbeamten Marius Kohl eine Kommission zur Untersuchung der Rulings eingesetzt wurde, beschwerten sich die Steuerberater, das Gremium arbeite zu langsam, lehne zu viele Vorbescheide ab und erkläre nicht weshalb. Deshalb beantragten viel weniger Firmen ein Ruling, was die Berater mit einem Wettbewerbsverlust gleichsetzten. Laut Steuerverwaltung wurden vergangenes Jahr insgesamt 187 APAs – Advance Pricing Agreements – bearbeitet, während den Statistiken der des Joint Transfer Price Forum (JTPF) der EU zufolge 2014 398 beantragt wurden. Doch den Angaben der Steuerverwaltung zufolge scheint sich nach der Gesetzesänderung die Zahl der allgemeinen Steuer-Rulings (Advance Tax Ruling, ATR) erhöht zu haben, von denen sie 2015 539 bearbeitet haben.

Dabei sollte man nicht vergessen, dass Rulings ein Service sind, den die Steuerberater den Kunden gesondert in Rechnung stellen, sie also mehr verdienen, je mehr Rulings beantragt werden. Ebenso sollte man nicht aus den Augen verlieren, ob die Berater mit ihren Forderungen nach weiteren Steuersenkungen die Wettbewerbsfähigkeit des Landes oder vor allem die eigenen Einnahmen im Sinn haben. Denn bei ihren mechanischen Berechnungen zeigen sie zwar die Korrelation zwischen Steuersenkungen und Wirtschaftswachstum auf, nicht aber die zwischen Steuersenkungen und politischem Druck, der von außen der auf Luxemburg ausgeübt wird. Die Antwort auf die Frage, wie hoch der Steuersatz sein muss, damit er für Firmen attraktiv ist, ohne dass es geschäftsschädigend wird, eine Niederlassung in Luxemburg zu haben, bleibt damit unbeantwortet. Dass das kein hypothetisches Problem ist, zeigt sich am Beispiel des Internethändlers Amazon, der im Mai auf Druck von Steuerbehörden in den USA, der EU und von Verbrauchern und Gewerkschaften hin begann, seine bis dahin in Luxemburg gesammelten europäischen Gewinne wieder auf andere EU-Niederlassungen zu verteilen und ankündigte, dort Steuern zu zahlen – trotz unschlagbarem Steuerarrangement in Luxemburg.

Michèle Sinner
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