Nächsten Donnerstag erwartet Mobilitätsminister François Bausch (Grüne) Reporter aus der ganzen Welt. Dann hält er um 14 Uhr im Neien Tramsschapp auf dem Kirchberg eine internationale Pressekonferenz zum Gratistransport ab, der drei Tage später Realität wird. Vermutlich fällt das Medienecho nächste Woche noch größer aus als nach der Veröffentlichung des Koalitionsvertrags der zweiten DP-LSAP-Grüne-Regierung mit dem Gratisversprechen darin. Schon damals war die Weltpresse beeindruckt. US-Senator Bernie Sanders lobte Luxemburg per Twitter. Nun wird das Versprechen tatsächlich eingelöst.
Doch wenn sich am Donnerstag wieder eine schöne Gelegenheit zum Nation Branding ergibt und Party-Begeisterte am Samstagabend im Tramsschapp bis in den 1. März hineinfeiern können, stellt sich die Frage, was danach sein wird. Ob das Gratisprinzip dem öffentlichen Transport zu so viel Zuspruch verhilft, dass viele ihr Auto stehen lassen? Die grünen Minister hatten bislang erklärt, dass sie damit nicht rechnen: Solange das Angebot des öffentlichen Transports nicht wesentlich verbessert ist, sei der Gratistransport eine „soziale Maßnahme“. Doch solche Reden lassen sich nicht mehr so einfach führen, nachdem die Regierung ihre klimapolitischen Pläne publik gemacht hat, in zwei Monaten die Spritakzisen erhöhen will, um dem Tanktourismus an den Kragen zu gehen, und 2021 eine „CO2-Bepreisung“ kommt. Die soll zwar „sozial kompensiert“ werden, doch wie, soll erst der Entwurf zur Steuerreform zeigen. Bis dahin stehen vor allem die Grünen in der Gefahr, eine leichtsinnige politische Kommunikation zu betreiben – und es entsteht Druck, zu zeigen, dass der bald kostenlose öffentliche Transport schon jetzt besser ist, als François Bausch sagt, und als Alternative zum Auto taugt. Ob das wohl so ist?
Von Ettelbrück nach Donkols Angenommen, jemand wollte diese Woche ohne Auto von Ettelbrück nach Donkols reisen. Genauer gesagt, vielleicht vom Ettelbrücker Spital, wo ein erkrankter Verwandter besucht wurde, zurück nach Hause in das Dorf unweit der belgischen Grenze. Am Dienstag dieser Woche, am frühen Nachmittag und im Bus. Linie 507 hält pünktlich um 14.12 Uhr nahe dem Eingang zum Krankenhaus. Der Bus ist nur schwach besetzt. Vermutlich wegen der Ferien ist auch der Verkehr am Kreisverkehr vor dem CHNP nur schwach. Dort muss drei Minuten später umgestiegen werden. Das ist kein Problem, zumal der Anschlussbus der Linie 822 aus Colmar-Berg nach Bastogne zwei Minuten Verspätung hat. Die fährt er unterwegs aber wieder herein, denn die meisten Passagiere scheinen belgische Goodyear-Arbeiter zu sein. Nur ein Fahrgast verlässt in Ettelbrück den Bus. Die anderen 19 schlafen, sehen erschöpft aus, nur einer tippt in sein Handy. Als sich der Bus Heiderscheid nähert, beginnt es zu regnen. Ein buntes Schild an der Landstraße lädt zu einem Konzert der „Original Trei Sei“ ein.
Pünktlich um 14.49 Uhr wird Pommerlach erreicht. Wer nach Donkols will, muss hier umsteigen. Leider hat die Haltestelle auf der Straßenseite Richtung Donkols kein Wartehäuschen. Wer keinen Regenschirm bei sich trägt, wird nass, denn in Pommerlach müssen 31 Minuten Aufenthalt überstanden werden. Ein Fahrplan hängt an der Haltestelle nicht: Falls der fiktive Donkolser seinen Fahrplanverlauf nicht im Kopf hat, muss er im Regen ausharren, bis sein Bus kommt. Andernfalls könnte er in einer nahegelegenen Tankstelle einen Kaffee nehmen oder sich bei Aldi unterstellen, ist Pommerlach doch ein Dorado für Tanktouristen und Einkäufer. Die Haltestelle auf der anderen Straßenseite, wo es ein Wartehäuschen gibt, bietet ebenfalls Schutz vor dem Regen. Schließlich kommt der Bus der Linie 622 nach Rambrouch, mit zwei Minuten Verspätung um 15.22 Uhr an. Die Donkolser Kirche erreicht er um 15.26 Uhr. Seit der Abfahrt am Ettelbrücker Krankenhaus sind eine Stunde und 14 Minuten vergangen. Der Webseite mobiliteit.lu des Verkéiersverbond zufolge wäre die 30,7 Kilometer lange Strecke im Auto in 34 Minuten zu schaffen – günstige Verkehrslage vorausgesetzt.
Von Pommerlach nach Wiltz Eine weitere denkbare Reise im ländlichen Norden wäre eine von Pommerlach nach Wiltz. Denn nur noch bis zum 27. März gibt es im Knauf-Einkaufszentrum eine Filiale der Spuerkeess, danach wird sie, wie noch zehn andere, geschlossen. Die nächstbeste Alternative liegt fünf Kilometer entfernt in Niederwiltz, die zweitbeste in Clerf ist 16 Kilometer weit weg.
Soll von Pommerlach-Knauf nach Niederwiltz gefahren werden, erscheint der Bus besser als das Auto: Linie 622 Richtung Wiltz/Lycée du Nord kommt an diesem Nachmittag pünktlich um 15.36 Uhr an und erreicht zwölf Minuten später, nur um eine Minute hinter dem Fahrplan zurückbleibend, Wiltz Lann. Nur ein paar Teenagerinnen fahren mit. Von Wiltz Lann sind es noch rund hundert Meter Fußweg bis zur Spuerkeess. Wer dorthin im Auto fährt, müsste sich einen Parkplatz suchen. Was wahrscheinlich so viel Zeit kosten würde, dass das Auto mit geschätzten 15 Minuten von A nach B laut mobilitéit.lu schlechter abschneidet als der Bus mit zwölf Minuten – oder elf laut Fahrplan.
2021 wird alles besser Vermutlich ist dem Mobilitätsminister klar, dass sich schon jetzt die Frage stellt, wie der öffentliche Transport im Vergleich zum Auto abschneidet, wenn von Spritpreiserhöhungen die Rede geht, die zwar kaum jemanden ruinieren werden, aber jene zornig machen können, die auf ihr Auto angewiesen zu sein meinen und im ländlichen Raum leben, weil man da preiswerter wohnt. Sie könnten behaupten, der Gratistransport bringe ihnen nichts, da Bus und Zug keine Alternative seien. In den „Strategischen Orientierungen“ zum Energie- und Klimaplan, die die Regierung am 9. Dezember 2019 veröffentlichte, steht der Gratistransport nicht etwa unter dem Punkt „Programmes de soutien renforcés: Klimabonus“ wie die Beihilfen zum Elektroautokauf oder eine Reform der PrimeHouse für Altbausanierungen, sondern als eine „Mesure phare“ für das „Développement conséquent du transport public“. Wonach der Gratistransport also anscheinend doch so schnell wie möglich zu mehr Nutzern führen soll. Vielleicht durch die Reform der RGTR-Überlandbusse? François Bausch macht dafür seit Anfang Februar und bis Ende März in zehn regionalen Konferenzen Werbung. Zur Rentrée 2021 soll Luxemburg „das dichteste Busnetz Europas“ haben, mit zusätzlichen Expressbus-Linien und direkteren Verbindungen zwischen regionalen Knotenpunkten, ohne dass die Hauptstadt angefahren werden muss. Der Energie- und Klimaplan, der bis zum
29. März zur öffentlichen Konsultation im Internet steht, verrät auf Seite 71: „Vor allem im ländlichen Raum sollen vermehrt Rufbussysteme mit Minibussen genutzt werden, wodurch Leerfahrten außerhalb der Spitzenstunden und Wochenenden vermieden werden, ohne die Kapazitäten für die Spitzenstunden zu schwächen.“ Noch gibt es Rufbusse nicht.
Arbeitsweg Wiltz-Ettelbrück Dass in den Spitzenstunden der öffentliche Transport konkurrenzfähiger gegenüber dem Auto würde, bleibt zu hoffen. Auf wichtigen Strecken ist er es bereits. Wer etwa in Niederwiltz arbeitet und in Ettelbrück wohnt, konnte am Dienstagnachmittag in 43 Minuten (zwei Minuten später als laut Fahrplan) von Wiltz Lann, Abfahrt 16.55 Uhr, mit dem Bus der Linie 537 zum Ettelbrücker Bahnhof gelangen. Die Fahrt war angenehm, der Bus nicht einmal zur Hälfte besetzt. Für die gleiche Strecke würden mit dem Auto laut mobilitéit.lu 40 Minuten benötigt. Da vermutlich die wenigsten gleich beim Ettelbrücker Bahnhof wohnen, hätte das Auto zusätzliche Vorteile für die Fahrt bis zur Haustür. Auch fahren diese Busse nur im Stundentakt. Wer einen verpasst, muss zum Wiltzer Bahnhof laufen, den Zug nehmen und in Kautenbach umsteigen. Eine solche Reise dauert alles in allem 51 Minuten, Fußweg zum Bahnhof inklusive. Was in diesem Fall für den öffentlichen Transport spräche, wäre der Kostenpunkt: Alle Kosten für ein durchschnittliches Auto eingedenk, vom Sprit bis zur Abnutzung, laufen zwischen Wiltz Lann und Ettelbrück Bahnhof nach der Schätzung des Verkéiersverbond auf mobilitéit.lu 11,26 Euro auf. Bus und Zug sind bald gratis.
Von den tatsächlichen Kosten einer Autofahrt ist selten die Rede. Was sich vielleicht ändert, wenn für Bus und Bahn das Gratispirnzip gilt. Entscheidend sein wird aber auch, wie oft mit öffentlichen Verkehrsmitteln umgestiegen werden muss und wieviel Zeit dabei vergeht. 31 Minuten Stopover in Pommerlach sind viel. Ähnlich war, um am Dienstag um 17 Uhr von Wiltz nach Diekirch zu gelangen, die reine Zugfahrt nicht die beste Option: 77 Minuten dauerte die Reise ab Wiltz um 17.01 Uhr, mit insgesamt 40 Minuten Aufenthalt in Kautenbach und Ettelbrück. Ein Auto schafft die 35 Kilometer in 39 Minuten, beim Kostenpunkt von 12,67 Euro allerdings. Fahrten mit Zug und Bus können 54 Minuten dauern.
Schon das erste Modu-Konzept (Modu für Mobilité durable), das CSV-Transportminister Claude Wiseler 2012 herausbrachte, kündigte die Einrichtung regionaler „Umsteigeplattformen“ an, von denen es zügig weitergehe. Modu 2.0 dachte dies 2018 in „Mobilitätsketten“ weiter: Mit dem Auto könnte zu einem Bahnhof oder einer Bushaltestelle gefahren, das Auto dort abgestellt und in Bus oder Zug umgestiegen werden. Im besten Fall wäre das Auto ein elektrisches und würde an eine Ladesäule angeschlossen. Am Zielort könnte ein Leihfahrrad genommen werden. Oder ein Carsharing-Auto, falls es welche gibt. Aber werden solche Mobilitätsketten tatsächlich viele attraktiver finden als die Punkt-zu-Punkt-Fahrt im Auto?
Das komfortable Auto … Ganz selbstverständlich dürfte das nicht sein. Auch in anderen Teilen des Landes nicht: Wer zum Beispiel in der Gewerbezone Düdelingen-Burange arbeitet und in Remich wohnt, mit dem Bus nach Remich-Gare fahren will, benötigt für die rund 28 Kilometer im besten Fall 73 Minuten. In Bettemburg und Altwies muss umgestiegen werden, was insgesamt 17 Minuten Aufenthalt verursacht. Bei guter Verkehrslage ist die Strecke im Auto in 24 Minuten zu schaffen, wobei jedoch rund 8,45 Euro Kosten auflaufen. Oder eine Fahrt von der Gewerbezone Ehleringen-West nach Kayl-Bréck: 37 Minuten Fahrzeit, darunter eine Viertelstunde Zwischenstopp am Escher Bahnhof. Mit dem Auto lassen die knapp neun Kilometer sich in 20 Minuten zurücklegen, falls es keinen Stau gibt. Im Unterschied zum Bus aber profitiert kein Auto von der Busspur bei Ehleringen.
Was für eine Herausforderung es sein wird, im stark zersiedelten Luxemburg den öffentlichen Transport erfolgreich mit dem Auto konkurrieren zu lassen, gab dem Mobilitätsminister 2017 eine große Studie des Luxembourg Institute of Socio-Economic Research (Liser) am Beispiel der 25 Industrie- und Gewerbezonen im Süden des Landes schriftlich (d’Land, 17.11.2017). Obwohl die Zonen bereits verhältnismäßig gut an den öffentlichen Transport angebunden sind, fahren 90 Prozent der dort beschäftigten Einheimischen und 87 Prozent der Grenzpendler mit dem Auto zur Arbeit. Zwei Drittel der repräsentativ Befragten stört das überhaupt nicht; das Auto sei „komfortabel“. Nach Verbesserungsmöglichkeiten ihrer Mobilitätssituation befragt, wurde an erster Stelle der Wunsch nach einem Firmenwagen geäußert, an zweiter der nach einem Elektro-Firmenwagen und erst an dritter Stelle ein organisierter Werksverkehr im Bus gewünscht. An solchen Realitäten und Einstellungen könnte der Gratistransport nicht viel ändern. Ob das mit Europas besten Überlandbussen gelingt, bleibt abzuwarten. Bis dahin aber könnte jede staatlich verordnete Spritpreiserhöhung von so manchen als Zumutung empfunden und vor allem den Grünen angelastet werden.