Die kleine Zeitzeugin

Pentagon Psycho

d'Lëtzebuerger Land vom 03.09.2021

Ida ist da, und fegt Corona weg, und die Taliban, die frau nicht zu gendern braucht. Noch nicht, die neuen Taliban sind ja angeblich ganz neue, werden bald noch neuere sein. Vielleicht wird es bald Taliban- Transpersonen geben? Falls der Koran sein OK dazu gibt natürlich.

Zumindest auf CNN ist Ida grad der große Feger, dem Sender für globales US-Fast Food, auf dem Nacht für Nacht immer die gleichen Leutlein das Exerzitium der Schockstarre praktizieren. Obschon Trump ja weg ist, also von der Bildoberflächlichkeit, schon flackert er wieder auf und rein, findet gerade alles stupid. Nicht einmal Trumps Abgang brachte dem CNN-Team Erleichterung, unerlöst betroffen stieren sie, ob es sich jetzt um vermutliches sexuelles Fehlverhalten eines New Yorker Gouverneurs handelt, der schon keiner mehr ist, schnell mutierte sein Medienantlitz zur Visage, oder um Louisiana, wo gerade ein Reporter authentisch im gräulich schwappenden Wasser schwankt. Oder um die appetitlich bedeckten Särge, die aus einem Flugzeugbauch geladen werden, von einer schwarz maskierten Totenvogelriege erwartet. Der Obertotenvogel muss kurz vor der Wirklichkeit die Augen verschließen, er kann ihr nicht ins Auge sehen. Noch Kinder! schlagzeilt es, über Fotos von Buben mit Helmen, schon sind die Kinder Helden. So schnell geht das.

HeldInnen haben mal wieder Hochsaison, im vergangenen Jahrtausend in Europa Sozialisierte bildeten sich eigentlich ein, HeldInnen wären out. Blut von gestern. Von Kriegen von gestern, in Europas DNA eingebrannt, das Heldenzeug eine Obsession von gestern. Kriegskitsch. Prähistorisch präsent auf Dorfplätzen, in Stadtzentren, Kathedralen, Versteinerung eines Schmerzes, schon mit Moos überwachsen. Rostiges Pathos, Symbole kaum noch nachvollziehbarer Kämpfe. Das gebrannte Kind Europa ist kein Kind mehr, es ist greise, ein bisschen weise zumindest, es braucht keine HeldInnen mehr. Alltagsheldinnen verbraucht es zwar schon, eine solche zu sein, darum reißt sich aber logischerweise kaum eine. Obschon Aufnahmebedingung nicht mal Totsein ist, nur, schlimmer, Mühsal, Stress, das Verrichten von Dingen, die keiner tun will, nicht mal sehen oder riechen will. Nicht mal wissen will, dass es sie gibt. Wir wollen alle lieber Bilder aus der Toskana sehen. Als Schlauchlegungen in Organismen beizuwohnen, als Unförmigen zuzuschauen, die in Plastikmonturen stehen, beistehen, an Sterbebetten, wie es einst hieß, jetzt weiß ich nicht wie es heißt, ich will es nicht wissen, wahrscheinlich sind es namenlose, amenlose Zonen. Die vor der Tiefkühltruhe. Lang schon schauen wir wieder weg von denen, denen auf Balkonen zugeklatscht wurde. Jetzt werden sie nicht mehr HeldInnen genannt, sondern GefährderInnen. Impfunwillige.

Dreizehn tote US-Soldaten, meldet CNN, die unzähligen afghanischen Opfer werden kaum erwähnt, erst viel später gezählt und, nein, nicht erzählt. Auf CNN haben sie keine Geschichte, keine Gesichter. Nur blutige Fetzen zeugen von ihnen.

Schon ist Ida, Ida who?, längst Wind von gestern. Zumindest für anspruchsvolle Konsument*innen von bewegenden Bildern, denen wird schnell fad vor endlosen abgestandenen Wasserflächen, in denen Bruchstücke von Häusern dümpeln. Und Corona ist wieder da, Inkl. Mutationen, und die Taliban auch. Aber die müssen jetzt ihr eigenes Ding machen.

„We will hunt them down“, sagte George Bush. „We will hunt you down“, sagt Jo Biden. Er meint die Konkurrenz.

Während der fahrige, dünnlippige Herr im Pentagon, der mit oder zu den Medien spricht, die Medien aus schwarz brennenden Augen anschaut. Oder sind sie erloschen? Vielleicht schaudert es die Medien. Weil der Herr, der da zu ihnen spricht, ist sehr berühmt, einst hatte er eine Tankstelle, er wohnte in einem etwas staubigen Haus mit einer zum Skelett abgemagerten Mutter. Er hatte auch eine Dusche. Unter der lag eine schöne, junge, tote Frau. Aber vielleicht bin ich die Einzige, die das weiß.

Michèle Thoma
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