Hier entsteht ein neues Dorf

Baustelle zum Village Central des neuen Dorfes Elmen, das die SNHBM in Kehlen/Luxemburg baut
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 14.02.2020

Wer die Autobahn A6 an der Ausfahrt Capellen verlässt, auf dem CR 103 Richtung Kehlen weiterfährt und in Olm Marios Pizza links liegen lässt, kann diese Baustelle nur ganz schwer verfehlen. Hier realisiert die Société nationale des habitations à bon marché (SNHBM) ihr Projekt Elmen – ihr mit Abstand größtes derzeit. Mitte Juli 2018 begannen die Bauarbeiten. Einen Eindruck davon, wie es hier eines Tages aussehen soll, gibt eine große, am Baustellenrand neben der Straße Rande montierte Schautafel. Man meint, dass hier ein ganzes Dorf entsteht.

Dem ist auch so, denn gebaut wird auf einer Fläche von 16 Hektar (22 Fußballfelder). Genau genommen wird Elmen laut einem Masterplan sogar 27 Hektar groß (fast 38 Fußballfelder) und nicht nur ein Dorf umfassen, sondern drei aneinandergrenzende, von Grünzügen unterbrochen. Gegenwärtig wird am Village Central gearbeitet, mit seinen 16 Hektar wird es das größte der drei Dörfer. Sind alle drei Bauphasen abgeschlossen, sollen in Elmen 800 Wohnungen zur Verfügung stehen und an die 2 000 Menschen wohnen. Für das Village Central stehen 388 Wohneinheiten im Bauplan.

Schon recht weit gediehen ist das links im Bild zu erkennende Parkhaus. Rund 250 Stellplätze soll es bieten. Dass daran offenbar mit Vorrang gearbeitet wird, liegt im Konzept von Elmen begründet: Autos sollen hier nur auf den Hauptstraßen verkehren. Abgestellt werden sollen sie nur in Parkhäusern, nicht aber vor den Wohngebäuden. Parken sollen die engen Nebenstraßen, an denen die Häuser errichtet werden, allenfalls zum schnellen Be- und Entladen erlauben, sowie für Notdienste und die Müllabfuhr. Wenn auf diesen engen Straßen gefahren wird, dann nur im Schritttempo, so der Plan. Auch an der Schule, die im Village Central gebaut werden soll, werden für Eltern-Taxis keine Parkplätze zur Verfügung stehen, sondern nur ein Kiss and Go-Bereich.

Die für Luxemburg ungewöhnliche Einschränkung des Autoverkehrs ist ein wichtiges Element in dem Konzept, das Elmen „inklusiv“ machen soll: Wo kein Auto, da kein Konfliktrisiko mit Fußgängern und Radfahrern und keine Gefahr für spielende Kinder. Der so von Automobilität befreite öffentliche Raum soll Begegnung und Animation ermöglichen. Die Geometrie der öffentlichen Plätze ist laut den Plänen bewusst „unregelmäßig“ ausgelegt, weil dies das Miteinander fördert, die „menschliche Dimension“ der kleinen Quartiers unterstreicht und jedem Quartier die Möglichkeit gibt, mit der Zeit Eigenheiten zu entwickeln.

Hinter dem im Bild dargestellten Parkhaus sind einige Einfamilienhäuser im Bau schon weit fortgeschritten. Sie haben alle eine Holzfassade. Insgesamt 194 dieser Häuser soll allein das Village Central erhalten, außerdem 194 Apartments in Gebäuden mit bis zu drei Etagen und bis zu acht Apartments. Die Grundschule im Village Central soll 180 bis 200 Schüler aufnehmen, eine Maison relais wird sich anschließen. Auch ein Kulturzentrum und einen Supermarkt wird es geben.

Wer die große Baustelle nach den starken Regengüssen von Anfang der Woche umrundete, konnte sich schon ein gewisses Bild von einem originellen Element im Landschaftskonzept Elmens machen: Regenwasser wird sich in offenen natürlichen Rückhaltebecken sammeln. Ist genug Regen gefallen, bilden sie kleine Weiher, die untereinander verbunden sind. Jedes der drei Dörfer wird mehrere Rückhaltebecken bekommen. Im Village Central sollen sie den Mittelpunkt eines Parc Central bilden und den am tiefsten gelegenen Punkt in ganz Elmen markieren.

Das Projekt enthält allerdings auch Widersprüche, die symptomatisch sind für Luxemburg. Elmen liegt in der Gemeinde Kehlen, keine große Stadt. Deshalb wird so viel Wert darauf gelegt, es mit einer besonderen urbanen Qualität zu versehen, doch wer eine Großstadt gewohnt ist, zieht vielleicht dennoch nicht hierher. Der eingeschränkte Autoverkehr wiederum steht in einem Widerspruch zur Autonahnnähe des neuen Dorfes: Einen Bahnhof gibt es hier nicht, auch Kehlen hat keinen. Die Anbindung an den öffentlichen Transport werden Busse besorgen. Doch in Elmen konnte der Bau schnell beginnen, weil die Flächen der SNHBM gehören. Öffentlichen Wohnraum zur Miete oder zum Verkauf in Erbpacht hochzuziehen, obendrein schnell, ist angesichts der Besitzverhältnisse nicht überall möglich, wo Züge halten und bereits urbane Verhältnisse herrschen. Dann werden Kompromisse geschlossen, und als solcher ist Elmen vermutlich kein schlechtes Projekt auf der grünen Wiese.

Peter Feist
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